Wenn du noch nie eine Toilette geputzt hast, bist du auch nicht erwachsen!
32000 Kriegstote sind nicht das alltäglichste Umfeld, für mich war es ein Jahr lang Normalität. Meinen Freiwilligendienst habe ich auf einem Soldatenfriedhof in den Niederlanden geleistet, wo ich einige Herausforderungen zu meistern hatte. Was ich jetzt über meine Zeit denke, versuche ich einfach mal 574 Wörtern zu verpacken.
Zunächst das Offensichtliche: Selbstständigkeit.
Ich denke, fast jeder von uns wird im Ausland reifer. Das beginnt mit dem Auszug von Zuhause. Gerade hatte ich noch mein 1,0er-Abitur in der Tasche, hab mich gebildet und erwachsen gefühlt, ertappe ich mich wenig später im Ausland dabei, wie ich „Toilette putzen“ google… naja. Auch Wäschewaschen, Kochen, Putzen und so weiter habe ich hauptsächlich erst vor einem Jahr gelernt. Es ist schon amüsant, dass ich mit 18 dachte, dass Alleinewohnen gar nicht so schwer ist. Ja, Differentialrechnung kann ich, aber wann Kartoffeln gar sind, hab ich im Internet recherchiert!
Das Alleinewohnen im Ausland hat mir für meine Entwicklung ziemlich viel gegeben. Da meine Eltern mir nicht mehr helfen konnten, habe ich vieles zwangsläufig selbst ausprobiert und erstaunlicherweise hat es geklappt. Plötzlich habe ich mein Fahrrad selbst repariert, oder einen Pullover genäht.
Erkenntnis:
Ich kann so viele Dinge selber, ich muss mich einfach trauen und es probieren. Einen Schrank aufbauen ist ja gar nicht so schwer.
Ich bin im Laufe der Monate immer selbstständiger und dadurch selbstbewusster geworden. Ich habe neue Leidenschaften entdeckt, nämlich lange Fahrradtouren (in den Niederlanden einfach Pflicht), Joggen und Krafttraining. Ich habe auch neue Musik für mich entdeckt und neue Interessen entwickelt. Und ich habe gemerkt, dass es mir viel mehr Spaß macht, alleine zu reisen als zu zweit. Warum? Weil ich es einfach mal probiert habe! All die ersten Male, die ich nie vergessen werde, haben mir gezeigt, was ich so schaffen kann. Und was mir gefällt und was nicht.
Hier mal eine kleine Auswahl meiner ersten Male, die ich in den Niederlanden hatte:
- alleine wohnen
- einen Kriegsfriedhof besuchen (und da arbeiten)
- 100km Fahrrad an einem Tag fahren
- Amsterdam, Rotterdam, Den Haag, Maastricht und vieles mehr besichtigen
- bei einem Masters-Schwimmwettkampf teilnehmen
- joggen gehen
- gegen Nazis demonstrieren
- 10kg zunehmen und danach wieder abtrainieren
- Kiffen
- zur Tour de France fahren
- auf einem Rockfestival arbeiten
Habt ihr Freiwilligen euch mal überlegt, was ihr im vergangenen Jahr alles gesehen, gehört und getan habt, was euch in Deutschland niemals begegnet wäre? Das sind Erfahrungen, die einen wachsen lassen und so bin auch ich an vielem gewachsen; vor allem an den Dingen, die mir schwer fielen und nicht so toll waren.
Ich bin durch den Dienst sehr dankbar geworden.
Das Thema Krieg war in meiner Stelle allgegenwärtig. Ich habe Zeitzeugen, Soldaten, Angehörige von Kriegsopfern, Geflüchtete und viele mehr kennengelernt, und all diese Unterhaltungen haben mich verändert. Sie haben mich politischer gemacht und sogar meinen Studiumswunsch beeinflusst. Ich bin dankbar für alles, was ich habe und weiß viel mehr zu schätzen.
Das fängt bei einer soliden Internetverbindung an und hört beim Wahlrecht auf. Durch den Freiwilligendienst bin ich unter Leute gekommen, die anders waren als ich, und das hat mich bereichert. Ich bin offener und toleranter geworden. Das habe ich vor allem meiner Mitbewohnerin zu verdanken, die ein völlig anders ist als ich, mit der es nicht immer leicht war, aber die mich vieles gelehrt hat. Und ich möchte dem Typen danken, der mir im Februar das Herz gebrochen hat. Diese emotionale Tracht Prügel hat in mich aufwachen lassen und ich habe erst danach begonnen zu hinterfragen, was ich wirklich will und was nicht.
Ihr merkt, ich bin vor allem dankbar. Ich werde sicher noch lange von meinen Erfahrungen profitieren und ich hoffe, ihr auch.
Denn wir haben uns selbst herausgefordert, wir haben vieles geschafft und darauf können wir stolz sein!