Weihnachten auf der grünen Insel
„Maybe Christmas, he thought, doesn’t come from a store. Maybe Christmas ... perhaps ... means a little bit more!“ ~ The Grinch
Dieses Weihnachten ist einfach anders - für die ganze Welt sowie für mich im Kleinen. Für die Gesellschaft im Allgemeinen weil ... ihr wisst schon ... irgendwas mit einem Virus.... Und für mich im Speziellen, weil es mein erstes Weihnachten in der Ferne ist, fern von Familie und Freunden, in einem anderen Land und mit ganz neuen Traditionen und Bräuchen. Ich freue mich schon seit Wochen auf dieses große Fest und darauf, über das Kennenlernen von eben jenen Traditionen auch ein Stück mehr in die jeweiligen Kulturen einzutauchen. Nun lebe ich hier aber nicht an einem X-beliebigen Ort, sondern in einer Camphill Community und das bedeutet offensichtlich eine schier unüberschaubare Zahl an Bräuchen mit unterschiedlichster Herkunft: englisch, irisch, deutsch oder speziell anthroposophisch - hier wird einfach alles vermischt. Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen habe ich mich in die Recherche gestürzt mit dem Ziel herauszufinden, welche dieser Bräuche jetzt aus Großbritannien und welche aus Irland stammen, wobei ich die ganzen Camphill Besonderheiten jetzt einmal außen vor lassen werde - davon bekommt man in meinen Blogs wahrscheinlich sowieso schon genug mit.
Auch wenn uns Coca Cola und Co. vielleicht etwas anderes vorgaukeln wollen, ist Weihnachten traditionell ein Fest welches dem christlichen Glauben entspringt. Christen gedenken dabei Jahr für Jahr der Geburt Jesu Christus, welcher der Überlieferung nach unter ärmlichen Verhältnissen in einem Stall in Bethlehem das Licht der Welt erblickte. Sowohl in der Republik Irland als auch in Nordirland fühlen sich über 80 Prozent der Bevölkerung einer christlichen Konfession zugehörig - und auch wenn das längst keine Voraussetzung für die Zelebrierung von Weihnachten als großes Familien- und Geschenkefest mehr ist, so deutet es doch auf ein seit langem etabliertes Gebilde aus Bräuchen rund um diesen Tag hin. Ohne jetzt zu sehr auf die sehr kompilizierte und hochpolitische Geschichte der beiden Staaten eingehen zu wollen, muss aber dennoch festgehalten werden, dass in den zwei Teilen Teilen der „grünen Insel“ durchaus große Unterschiede herrschen, wenn es um den Ursprung von Traditionen und Festtagen geht und besonders Nordirland scheint von vielerlei Seiten her kulturell beeinflusst zu werden. Da ich mich hier in Nordirland befinde, welches offiziell Teil des Vereinigten Königreiches ist und somit gewiss große Teile britischer Kultur übernommen hat, will ich meinen Bericht mit ein paar typisch englischen Weihnachtstraditionen beginnen.
Schon in den Wochen vor Weihnachten stimmen sich die Briten traditionell mit kitschig-fröhlichen Pullovern („christmas sweater“) und Mützen („christmas hats“) sowie tratidionellen „Christmas carrols“ und „christmas movies“ oder auch poppig-modernen „christmas songs“ auf das Fest ein. Bereits in dieser Zeit beginnt auch der Wettkampf nach den meisten Weihnachtskarten, den „christmas cards“, welche nicht nur an enge Verwandte und Freunde, sondern auch an Nachbarn, Kollegen und sogar den langjährigen Briefträger versandt werden. Die häufig gleich im Megapack und inklusive einer Spende an eine Wohltätigkeitsorganisationen erschwingliche, typischerweise quadratischen Karten werden dann ganz stolz entweder auf einer Schnur aufgehängt, oder am Kaminsims („mantelpiece“) aufgestellt, sodass jedem Besucher gleich bewusst wird, dass man es hier mit einem viel bekannten und gern befreundetem Mensch zutun hat. Heiligabend, der 24. Dezember, spielt in England eine deutlich geringere Rolle, als ich es aus Deutschland gewöhnt bin. Zwar hängt man an diesem Abend seinen Weihnachtsstrumpf („christmas stocking“) an den Kamin, beziehungsweise an das Bettende, Geschenke gibt es allerdings erst am Morgen des 25., dem „christmas day“. Diese bringt in Großbritannien nicht etwa das Christkind, sondern „Father Christmas“, der seinen Ursprung als grün gekleideter Vorbote des nahenden Frühlings und damit als Hoffnungsträger in der dunklen Jahreszeit hat, der inzwischen aber (leider) immer mehr Ähnlichkeiten mit dem amerikanischen Santa Claus aufweist. Während für mich ein prächtig geschmückter und nach frischer Tanne duftender Christbaum kaum wegzudenken ist, kam dieser Brauch erst im 19. Jahrhundert durch den deutschen Ehemann von Queen Viktoria, Prinz Albert, in das Königreich und wird auch heute noch in leicht abgewandelter, vielleicht stark amerikanisierter Form - als Plastikbaum mit kleinen LED-Lichterketten - aufgestellt. Richtigen Bäume oder echten Kerzen hingegen bin ich in meiner Zeit hier bisher nur äußert selten begegnet. Deutlich romantischer muten hingegen die Motive der immer präsenten Servietten, Karten, Tischdecken und Tabletts an: von den typischen tiefgrünen Zweigen und dunkelroten Beeren der Stechpalme bis hin zu putzigen Zeichnungen von Rotkehlchen („robins“ - dem inoffiziellen Nationaltier des Vereinigten Königreiches) finden sich viele naturnahe Bilder und Symbole.
Umumstrittenes Highlight des „christmas day“ (nach dem Öffnen der Geschenke am Morgen) ist wohl das große „christmas dinner“ am Nachmittag, welches häufig im Kreis der Familie gefeiert wird. Neben den vielen kulinarischen Höhepunkten ( Zwischen gefülltem Truthahn, Rosenkohl mit Speck, Mince pies und Figgy Pudding muss man schließlich auch mal eine kleine Verdauungspause einlegen) gibt es eine Reihe an weiteren Bräuchen, wie sie mir vor allem aus Filmen wie „Mr. Bean“ vertraut sind. Da wäre beispielsweise die Tradition der Weihnachtskracher („chrismas chracker“), welche man im Kreis sitzend jeweils mit seinen Sitznachbarn zum Platzen bring und so an die im Inneren versteckten Papierkronen, Scherzfragen oder Witze und kleinen Geschenke gelangt. Ebenfalls weithin verbreitet ist der Brauch des „Kiss under the mistletoe“, von dem wohl jeder schonmal gehört hat. Auch das Verfolgen der Weihnachtsansprache der Queen im Fernsehen oder über Youtube ist für viele ein absolutes Muss.
Der darauffolgende Tag, der „boxing day“ erhielt seinen Namen aus der Tradition heraus, dass adlige Herrschaften an diesem Tag ihre ungeliebten Geschenke in Boxen verpacken und an ihre Angestellten weiter verschenken ließen, eine für damalige Verhältnisse überaus nachhaltige und karitative Haltung wie ich finde.
Kommen wir jetzt anschließend zu ein paar Traditionen, die speziell in Irland zelebriert werden. Sowohl in der Vorweihnachtszeit, als auch an Weihnachten selber scheinen Kerzen und Licht eine große Rolle zu spielen. Wie in Deutschland ist es hier Brauch für die vier Wochen vor Heiligabend einen Adventskranz aus grünen Zweigen zu flechten und wöchentlich eine Kerze anzuzünden. Allerdings findet man in Irland anstelle der von Zuhause bekannten 4 roten Kerzen insgesamt 5 - drei davon lila, eine rosa und eine weiße, welche dann erst an Heiligabend entzündet wird. Als ich gestern solch einen bunten Kranz in einer Kapelle an der Nordküste von Nordirland entdeckte, war ich zuerst etwas verwundert, aber da zeigt sich eben die Nähe des Nachbarstaates und sein ständiger Einfluss. Weitere Kerzen werden beispielsweise am Heiligen Abend in die Fenster der Häuser gestellt, angeblich um Maria und Josef, den Eltern Jesu, den Weg zu weisen. Trotz dieses christlichen Gedankenguts bringt auch in Irland Father Christmas die Geschenke am „christmas day“, legt diese allerdings nicht in ausgehängte Socken, sondern kleine Säckchen. Für streng gläubige Christen gehört natürlich auch die Mitternachtsmesse zum Programm zwischen Heiligabend und Weihnachtstag und diese findet häufig wortwörtlich um Mitternacht statt. Neben dem üppigen „Christmas dinner“ am Weihnachtstag, welches sich (vielleicht bis auf die deutlich höheren Mengen an Wiskey) nicht sehr von dem englischen Festmahl unterscheidet, halten ganz abgehärtete Iren an der Tradition des Weihnachtsschwimmens fest. Wer sich zu dieser Jahreszeit ins Meer traut ist wohl entweder wirklich von der hartgesottenen Sorte oder hat schon genügend Guiness intus...
Der 26. Dezember heißt in Irland übrigens nicht „Boxing Day“, sondern wird als „Stephens day“, als Gedenktag des heiligen Stefan (des ersten christlichen Märtyrers) begangen. Vielerorts ziehen an diesem Tag Gruppen von Kindern mit Stechpalmenzweigen an denen Figuren von Zaunkönigen (eine Vogelart) befestigt sind durch die Straßen, Singen in verschiedenen Häußern und erhalten dafür Geld oder Süßigkeiten. Die Zaunkönige sind eine Anspielung auf die Legende nach der der heilige Stefan durch einen Zaunkönig verraten wurde.
Eine weitere schöne Tradition gibt es um den 6. Januar, der das Ende der irischen Weihnachtszeit bedeutet. An diesem Tag, der auch gerne „kleine Weihnacht“ oder „Weihnacht der Frauen“ genannt wird sollen alle Frauen jegliche Arbeit ruhen und sich stattdessen von ihren Männern verwöhnen lassen. Zu deren Tätigkeiten gehört dann unbedingt auch das abnehmen der Dekorationen, welche man bis zu diesem Tag hängen lassen sollte, wenn man nicht Unglück über seine Familie beschwören will.
Damit wären wir auch schon am Ende meines kleinen Guides „Weihnachten auf der grünen Insel“ angelangt. Natürlich habe ich nicht jede britische bzw. irische Tradition erwähnt, sondern nur die für mich interessantesten oder bekanntesten herausgepickt und überlasse es jedem selbst, noch weitere Kennenzulernen. Ich jedenfalls freue mich darauf! Schreibt aber gerne in die Kommentare, welche Weihnachtstraditionen euch besonders wichtig sind, welche ihr eher bizarr findet und welche ihr überhaupt nicht fühlen könnt!
In diesem Sinne wünsche ich euch allen ein frohes Weihnachtsfest und ein paar ruhige Tage, auch und gerade unter den aktuellen etwas sonderbaren Bedingungen!
Merry Christmas, everyone!
Verwendete Literatur (letzter Zugriff auf alle Internetquellen am 24.12.20)
- http://www.weihnachten-in-england.de/
- https://https://www.geschenkideen-und-tipps.de/Anlass/Weihnachten/Laender/Weihnachten-Irland.
- https://www.geschenkideen-und-tipps.de/Anlass/Weihnachten/Laender/Weihnachten-Irland.html
- https://www.gruene-insel.de/blog/2020/religionen-in-irland-katholiken-protestanten/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Nordirland#Religion
- https://carmen-bauer.blogspot.com/2011/12/weihnachten-in-nordirland.html
- https://www.ireland.com/de-de/artikel/8-irische-weihnachtstraditionen/
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