Vorhersehbar wär ja langweilig!
Einige Beispiele dafür, dass es beim Freiwilligendienst alles gibt - außer das, was man "Alltag" nennt ;)
Wenn ich eins bis jetzt in meiner Zeit hier über den Freiwilligendienst an sich gelernt habe, dann ist es, dass es sinnlos ist, Pläne zu machen; sie gehen niemals auf!
Ich probiere es wieder und wieder, aber meist scheitere ich schon daran, einen Plan für nur einen Tag zu machen. Es kommt immer anders, als man denkt. Immer!
Es fängt bei kleinen Sachen an. Zum Beispiel stand ich eines Morgens auf und wollte duschen, doch hoppla, das Wasser war leider abgestellt. Da hieß es einfach warten.
Ein anderes Mal schmiedeten Julia, eine andere Freiwillige, und ich beim Muffins backen für die Abschiedsparty ihrer ehemaligen Mitbewohnerinnen den Plan, ich könne ja zu ihr ins Haus ziehen. So schrieben wir gleich eine E-mail an unsere Organisation und sie waren einverstanden! Den folgenden Samstag wollte ich dann in aller Ruhe aus der einen Wohnung in das andere sehr schnuckelige, kleine Haus ziehen. Aber nichts da! Den Freitag vor dem Umzug bekam ich dann während der Arbeit einen Anruf, ob es nicht eventuell möglich wäre, schon heute umzuziehen, da sie vergessen hätten, dass ja auch zwei neue Freiwillige ankämen und wir sonst eine Nacht zu fünft in einer Vierer-WG schlafen müssten. So machte ich mich also direkt nach der Arbeit daran, die wichtigsten Sachen in meinen riesigen Rucksack zu stopfen und Richtung neuem Zuhause aufzubrechen. Das Gute an der ganzen Sache war, dass ich so auch gleich die eine der neuen Freiwilligen, aus Estland, die zuerst angekommen war, kennenlernte. Außerdem wurde ich auf dem Weg zum Haus noch von einem netten Herren angesprochen, der gleich fragte „Germania?“. So ein großer Trekkingrucksack ist scheinbar relativ auffällig. Obwohl er kein Wort Englisch oder Deutsch konnte, konnte ich mich ein paar Minuten mit ihm „unterhalten“. So habe ich zum Beispiel verstanden, dass er mich fragte, was ich hier in Moldawien mache, wie lange ich in Chișinău bleibe und welche Sprachen ich spreche. Ich war sehr stolz, als ich seine Fragen sogar einigermaßen beantworten konnte!
Am darauffolgenden Tag verlief dann tatsächlich mal etwas nach Plan und so schafften Julia und ich es, meine gesamten Sachen plus Koffer unbeschädigt über die brüchigen Straßen Chișinăus zu unserer Wohnung zu transportieren. Zum Glück ist der Weg nicht sehr weit, circa 15 Minuten zu Fuß.
Das nächste Ereignis ließ allerdings nicht lange auf sich warten und so verließen Julia und ich eines Tages nichtsahnend das Haus mit einem riesigen Berg Wäsche, weil wir zuhause keine Waschmaschine haben und die Sachen bei Freunden waschen wollten. Aber wir hatten die Rechnung ohne die etwa fünf alten Damen gemacht, die auf einer Bank vor unserem Haus saßen und Langeweile hatten. Diese sprangen auf einmal auf und waren fest davon überzeugt, dass wir Einbrecher seien und gerade das Haus leerräumen wollen. Bis Julia und ich begriffen, was überhaupt ihr Problem war, verging schon einige Zeit und in dieser Zeit kamen noch einige andere Leute dazu, die alle lautstark auf Russisch diskutierten, ob wir nun kriminell seien oder nicht. Nicht einmal als wir den inzwischen sehr aufgebrachten alten Damen unsere „Beute“ zeigten; Bettlacken, Handtücher, T-shirts; waren sie überzeugt. Zum Glück waren alle anderen Menschen auf der Straße auf unserer Seite und so wies uns ein Mann an, einfach zu gehen. Sie würden sich um den Rest kümmern. Während wir also gingen, diskutierten etwa zwanzig Leute noch bestimmt eine halbe Stunde weiter, obwohl die vermeintlichen Einbrecher in Blümchenröcken und Chucks mit ihrer Bettwäschen-Beute schon längst über alle Berge waren.
In der anderen Wohnung angekommen, hatten wir dann eine super Story zu erzählen (mal wieder!) und kamen nicht wie geplant dazu, Rumänisch zu lernen. Wer hätte das gedacht?!
Wir haben aber auch immer wieder Erfolgserlebnisse. So gelang es uns, auf dem Piața Centrale, dem großen Markt im Zentrum der Stadt, auf dem es wirklich alles gibt, „Abflussreiniger“ pantomimisch und mit drei Wörtern (Acasă – zuhause; Apă – Wasser; Nu – nein) darzustellen. Das Badewannen-Abflussreinigen war letztendlich trotzdem noch ein Abenteuer und der Staubsauger roch danach nicht mehr so sehr gut, aber das ist eine andere Geschichte. Immerhin können jetzt zwei Personen an einem Tag duschen, ohne nach acht Stunden Ablaufzeit immer noch knöcheltief im Wasser zu stehen und man kann sogar noch seine Klamotten in der Badewanne waschen. Alles am gleichen Tag! Das ist keine Selbstverständlichkeit, liebe Leute, DAS ist Luxus!
Genauso wie es Luxus ist, im eigenen Haus abends nicht mit Skijacke zu sitzen und ernsthaft zu überlegen, ob man sich Handschuhe anzieht. Ja, wir warten sehnlich darauf, dass die Heizung angeschaltet wird! Immerhin ist unser Wasser sofort heiß, wenn man den Gasboiler anschaltet. ;)
Ich kann sowieso behaupten, dass wir relativ kreativ geworden sind, was Haushalt und Kochen angeht. Sechs Liter Tee auf einmal kochen, Haare vom Abflusssieb mit Backpulver und Essig wegätzen oder die gesamte Küche voller selbstgemachter Apfelringe hängen. Alles ganz normal.
Mindestens genauso chaotisch wie unser „Alltag“ wird es, wenn wir alle zusammen feiern gehen. Der ein oder andere mag jetzt denken, das sei doch kein Thema für einen Blog über interkulturellen Austausch in einem anderen Land, aber genau das ist es! Ich hatte bevor ich hier herkam und auch noch während der ersten Wochen hier Bedenken, nur Kontakt zu Freiwilligen zu haben und kaum mit der hiesigen Bevölkerung in Berührung zu kommen. Doch dem ist zum Glück nicht so! Nach jedem Wochenende kenne ich mindestens fünf neue Leute, was nicht unwesentlich daran liegt, dass wir nie dort landen, wo wir eigentlich hinwollten. Diese neuen Leute sieht man dann mit relativ großer Wahrscheinlichkeit am nächsten oder übernächsten Wochenende wieder. Mein Bekanntenkreis vergrößert sich zur Zeit so unglaublich schnell, dass ich zugeben muss, manchmal mit den Namen oder der Herkunft durcheinander zukommen. Doch so geht es glücklicherweise nicht nur mir. ;)
Im Projekt läuft es auch immer besser. Die Studenten, die zur Hausaufgabenhilfe dort waren, sind nun seit etwa zwei Wochen weg und ich habe endlich mehr zu tun. Das ist manchmal ganz schön stressig und ich bin jedes Mal dankbar, wenn ein Kind mein Nein auch wirklich ernst nimmt und nicht trotzdem das Treppengeländer von außen hochklettert, während drei andere an meinen Beinen kleben. Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich mich selbst an ihrer Stelle auch nicht ernst nehmen würde. „Kommt hier her und kann kaum etwas sagen, als „Nein!“, natürlich mach ich das trotzdem!“ Es wird einfacher werden, wenn ich ihnen erklären kann, warum sie dies und jenes nicht tun sollen. Ob die Erklärung sie dann abhält, ist eine andere Frage.
Am anstrengendsten, man glaubt es kaum, sind die Hausaufgaben. Ich schaffe es inzwischen, einigen Kindern bei Mathe, Englisch oder Französisch zu helfen. Das Problem ist nur, dass jetzt alle mit mir Hausaufgaben machen wollen. Vier Kinder, die an einem ziehen, während man versucht, von einem anderen Kind eine Antwort auf die Frage zu kriegen, ob vier größer oder kleiner als sieben ist. Das ist wirklich Arbeit. Auch habe ich das Gefühl, dass sich nie jemand mit ihnen hinsetzt und ihnen erklärt, wie etwas geht, wenn sie es nicht verstehen. Für viele sind einfache Rechenaufgaben in der dritten Klasse, Hunderterzahlen untereinander addieren zum Beispiel, schon sehr schwer, da scheinbar niemand ihnen das System erklärt hat, nie jemand nochmal wiederholt hat, dass man hinten anfängt und die untereinander stehenden Zahlen zusammenrechnet, nicht die nebeneinander stehenden.
Die Kinder sind wirklich alle sehr lieb und süß auf ihre Art, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig verprügeln. Man kann ihnen das aber nicht einmal übel nehmen, da man einfach merkt, dass sie eigentlich jemanden bräuchten, der mal einen ganzen Tag nur für sie alleine da ist und sie spielen können, ohne Angst zu haben, dass ein anderes Kind ihnen ihre Sachen wegnimmt oder auf ihr Bild kritzelt und ohne dass sie immer um Spielsachen und vor allem Aufmerksamkeit kämpfen müssen.
Das Ganze erinnert mich ein bisschen an mein Praktikum in einer Reha-Klinik auf der Kinderstation letzten Sommer. Während und auch noch nach dem Praktikum habe ich mich jedes Mal gefreut, wenn ich ein Kind auf der Straße rennen, hüpfen oder Ball spielen gesehen habe, da mir klar wurde, was für ein unglaubliches Glück das ist. Jetzt freue ich mich, wenn ich Eltern mit ihren Kindern draußen sehe. Aufmerksamkeit, Liebe und eine gute Erziehung mit Grenzen ist so viel mehr wert, als man sich manchmal bewusst ist und deshalb kann ich den Kindern auf der Arbeit auch nicht wirklich böse sein, wenn sie mal wieder etwas anstellen, denn dort zu leben ist bestimmt nicht einfach.
Diese Woche wollen die anderen zwei Freiwilligen in meinem Projekt und ich erstmals eine Halloweenparty für die Kinder veranstalten. Die müssen wir allerdings noch planen. Und wir wissen ja wie das mit den Plänen ist. Also, drückt uns die Daumen! ;)
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