Vor uns die Sintflut
Noch immer werden die Unweltprobleme der Welt oft zu wenig Ernst genommen und teils auch absichtlich zu Gunsten der Wirtschaft vernachlässigt. Auch in Griechenland sieht man die Folgen einer solchen Politik sehr deutlich.
Eine schwache Brise weht durch die dunklen Straßen. Ich schaue in die Schwärze der Nacht. In der Ferne grollt ein Donner. Oder war es wirklich ein Donner? Ich schaue in die Richtung, aus der ich glaube, das Geräusch ausgemacht zu haben. Ein Knirschen kommt hinzu, es wird immer lauter. Es tost, es berstet. Was ist das? Plötzlich kracht es explosionsartig in mein Sichtfeld. Geradewegs auf mich zu rast ein Schwall aus Konservenbüchsen, Styroporverpackungen, Plastiktüten, Plastikflaschen und Coffee-to-go-Bechern. In Mitten der schwimmenden Masse mitgerissene Bäume, Autos und Dächer. Vor mir die Sintflut, die Welle. Eine „Wall of plastic“.
Das hohe Müllaufkommen und die problematische Entsorgung ist schon seit Jahren ein akutes Problem in Griechenland. Jedes Jahr im Sommer spitzt sich der Konflikt zwischen Müllarbeitern/ Gewerkschaft POE-OTA und den Politikern zu. 10 000 Arbeiter sind nur kurzfristig Angestellte, da es dem Staat aufgrund der Sparkurse untersagt wurde, unbefristete Verträge zu ermöglichen. Unzufriedenheit durch unsichere und schlechte Arbeitsbedingungen ist die Folge. Unter den zahlreichen daraus resultierenden Streiks leidet ganz Athen. Das Ausmaß an Müll auf den Straßen ist unbeschreiblich. Jede Grünfläche ist übersäht von Verpackungsmüll, halbvergammelten Essensresten und Plastikflaschen. Und bei 40 Grad im Schatten entwickelt dieser unschöne Anblick einen bestialischen Geruch, der sogar nach Angaben des Griechischen Gesundheitsamtes gesundheitsschädlich ist.
Hinzu kommt, dass Griechenlands Emissionspotential sich bei einem Skalenwert von 8 befindet, was einen äußerst kritischen Zustand darstellt. Das bedeutet unter Anderem, dass ein Großteil der Abfälle unvorbehandelt deponiert wird. Die große Mülldeponie Athens befindet sich im Westen der Stadt. Eine große Forderung der demonstrierenden Arbeiter ist, eine weitere Mülldeponie zu eröffnen, da diese derart ausgelastet sei.
Die Auslastung ist insbesondere auf das geringe Umweltbewusstsein in der Gesellschaft zurückzuführen. 40% des griechischen Haushaltsmülls sind Verpackungen. Coffee-to-go, Plastiktüten im Supermarkt und nicht recyclebare Plastikflaschen. Der Konsum dieser Güter ist ähnlich wenig hinterfragt wie eine Schlägerei zwischen Panathinaikos und Olympiakos- Fans. Weniger als 10% des Gesamtmülls wird recycelt. In ganz Griechenland gibt es nur eine Sondermüllbehandlungsanlage. Die Vorschriften, teils durch die EU gefordert, werden wenig bis kaum umgesetzt. Die Kosten sind hoch, die Verwaltung ineffizient und die Bürokratie immens. Zudem ist ihnen die EU, insbesondere Deutschland kein gutes Vorbild. Deutschland ist mit 611kg/Person/Jahr und mit 11,7 Tonnen insgesamt Europameister in Sachen Plastikproduktion. In Europa werden im Durchschnitt nur 30% des Plastikaufkommens recycelt. Und das trotz Ländern wie Dänemark, die 90% des Plastiks wiederverwerten. Und doch: Das Bewusstsein des Krisenzustands innerhalb Europas ist da, aber nichts passiert. Keiner folgt Beispielen wie Dänemark hin zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft. Eine einzelne Plastikflasche benötigt 450 Jahre bis sie sich im Meer zersetzt hat. Und auch danach ist sie in Form von Mikroplastikteilchen noch immer vorhanden. Genau dieses Phänomen beobachtete Boyan Slat, der heute 24-jährige Niederländer, als er 2013 zum Tauchurlaub nach Griechenland fuhr. Aufgrund seiner schockierenden Entdeckungen im Meer, gründete er „The Ocean Cleanup“, ein Unternehmen, das durch Crowdfunding und Spenden im Juni 2016 den ersten Prototypen einer Art „Meereswaschanlage“ herausbrachte. Das Plastik soll herausgefischt, weiterverkauft und recycelt werden. So versucht Boyan Slat seine Idee auch für Unternehmen attraktiv zu machen. Er habe „zwölf Jahre lang in der Gas- und Öl-Industrie gearbeitet, und irgendwann [sich] gefragt, will ich weiter daran mitarbeiten, die alte Welt zu erhalten, oder will ich eine neue Welt bauen?“ Neben vielen anderen Ländern der Welt wird auch in Griechenland diese Frage zu selten gestellt.
Und was bleibt? Müllberge in den dunklen Gassen Athens, fernab von neugierigen Touristenblicken. Privilegierteren, wohlhabenden Vierteln bleibt der Geruch bisher erspart. Doch wenn weiter so viel Müll produziert wird, werden die Mülldeponien nicht mehr ausreichen. Wenn nicht mehr Geld für Personal und Entsorgung investiert wird, werden bald Athens Straßen im Müll versinken. Dann wird die braune Welle, der Schwall – die Sintflut bis an den Fuß der Akropolis schwappen. Nur ein radikaler Bruch mit dem derzeitigen Verhalten könnte dies noch aufhalten.