Viele kleine Erlebnisse
Über Sprachbarrieren, Glück im Unglück, Projekte und Reisen
„Tu viens d'où?“ (Woher kommst du?) - Das ist wirklich jedes Mal die erste Frage beim Trampen, wenn ich gerade ins Auto gestiegen bin. Ich kann meinen Akzent einfach nicht verstecken, auch wenn ich es so gerne tun würde. Ansonsten bin ich mit meinen Sprachkenntnissen recht zufrieden. Dafür, dass ich schon lange aufgehört habe, mir alle neuen Wörter aufzuschreiben und zu wiederholen, geschweige denn, Grammatik zu wälzen, halte ich mich recht gut. Französisch kommt mir sogar mittlerweile viel leichter von der Hand als Englisch. In meiner WG sprechen wir noch immer Englisch, aber ich habe das Gefühl, dass ich mich in dieser viel zu einfachen Sprache gar nicht mehr so sehr ausdrücken kann. Die Jonglage der drei Sprachen bedeutet für mich eine Weile Reflexion und Nachdenkzeit, bevor ich etwas sagen kann, sogar auf meiner Muttersprache, da die Vokabeln auf den anderen Sprachen ständig im Kopf aufploppen.
Bei der Arbeit bin ich auch sehr zufrieden. Bei dem „Printemps des poètes“ (Frühling der Dichter) habe ich sogar mit einer orientalischen Musikgruppe meinen ersten Auftritt hinter mich gebracht. Zu dieser Gruppe hat mich mein Kollege schon seit Anfang des Jahres eingeladen, ich habe jedoch nicht den Mut gehabt, dort aufzutauchen. Eines Tages gab es ein Missverständnis mit der Uhrzeit, sodass die Menschen schon losgefahren sind und ich alleine zurück blieb. Zeitgleich fand die Probe dieser Gruppe statt und seitdem bin mit dabei. Glück im Unglück sozusagen.
Auch bin ich gerade dabei, eine Weltkarte aus alten Kaffeesäcken zu fabrizieren. Dafür haben wir mit einem Atelier Recyclage die Jutesäcke aufgeschnitten und zu einer riesigen Fläche zusammengenäht. Um die Oberfläche zu spannen, habe ich mit dem Atelier Jardinage im gemeinsamen Garten an einen Rahmen aus Bambusstäben gewerkelt. Mit Leuten aus den Französischkursen haben wir dann mithilfe eines Videoprojektors alle Länder dieser Welt auf die Säcke gezeichnet. Nach ca. ein drittel der Arbeit hat ein Kind am Projektor gerüttelt und folglicherweise alle Grenzen verschoben. Die nächste halbe Stunde verbrachten wir dann damit, die ursprünglichen Proportionen wieder herzustellen. Im nächsten Schritt werde ich mit dem Atelier Tricot et Broderie die Grenzen mit Nadel und Faden nachsticken. Die Karte ist am Ende für die Französischkurse gedacht, sodass alle 150 Lehrnende ihren Herkunftsort markieren können.
Außedem stecke ich viel Arbeit in ein gemeinsames Projekt der fünf Strukturen, in denen wir fünf Freiwilligen arbeiten. Kurz vor der Europawahl wollen wir für Europa sensibilisieren. Unsere Zielgruppe sind Kinder, Menschen mit Behinderung, Schüler und alte Damen, die nicht weiter als über ihren Gartenzaun schauen.
Mir bleibt noch ein voller Arbeitstag, um ungefähr die Hälfte eines Magazins fertig zu layouten und zu drucken. Ich habe keine Ahnung, wie ich all das schaffen soll, aber ich habe das Vertrauen, dass es klappen wird. Meine Kollegen sagen mir „Thea Marie, du atmest nicht mehr“. Ich sage „doch“ und springe auf, um ein paar Streckübungen zu machen, nur um mich dann gleich wieder an den PC zu begeben und weiter konzentriert auf den Bildschirm zu starren.
Nächste Woche geht es dann für mich auf Reisen. Ich habe mir meine Urlaubstage für das schöne Wetter aufgehoben, sodass ich zwei Wochen im Süden Frankreichs verbringen werde. Und ja, alleine. Es gibt sehr viele Menschen, die das nicht machen würden oder unglaublich reagieren, wenn ich ihnen von meinem Vorhaben erzähle. Aber alleine zu reisen, bedeutet für mich, dass ich viel mehr in die Kultur einsteigen kann, mich nur mit Einheimischen unterhalte nnd mich mit mir selbst beschäftige. Ich werde natürlich couchsurfen. Ich habe diese Art zu Reisen liebgewonnen und so lernt man nicht nur wunderschöne Orte, sondern auch wunderbare Menschen an den wunderschönen Orten kennen.
Ich habe mich in der letzten Zeit auf zwei kleine Tripps begeben. Während meine Mitbewohnerinnen es vorzogen, Serien zu schauen, habe ich mich aufgemacht zum nächsten großen Kreisverkehr, um die vielen verbleibenden Reiseziele auf meiner Liste nach und nach abhaken zu können. Manchmal bringt mich ein Auto nur zum nächsten Kreisverkehr, manchmal bis zur übernächsten Stadt. Ich habe somit Brest und Vannes bei einem alle fünf Minuten wechselnden Wetter besichtigt.
Ein weiteres Ereignis, das mir viel bedeutet: Seit 7 Monaten nehme ich jede Woche an einem Theaterimprovisationskurs teil. Natürlich auf Französisch, was mich das ein oder andere Mal sehr demotiviert hat, da es bei Improvisation auf Schnelligkeit und Zuhören ankommt und genau diese zwei Punkte auf einer Fremdsprache Zeit brauchen. Wenn ich die völlig aus dem Kontext gerissenen Wörter nicht kenne, die mein Spielpartner wie Feuer aus seinem Mund auf die Bühne speiht, kann ich den Feuerball nicht so elegant zurückwerfen. Eines Abends hat jemand anderes die Gruppe geleitet und bei einer Übung sollte einer in einem ganz langsamen Tempo sprechen und spielen, der andere umso schneller und entarteter. Für mich war von vorn herein klar, dass ich die Langsame spielen werde. Als ich dann im Off meinem Spielpartner gegenüber stand und er einfach nicht auf die Bühne kam, bin ich in einem langsamen Tempo in die Szene eingestiegen. Daraufhin kam mein Spielpartner in einem noch langsameren Tempo an, sodass ich ungewollt mein Spiel ankurbeln musste. Der Leiter schlug mir vor, es auf Deutsch zu machen, ich erst ganz perplex, da dies mir noch niemand vorher vorgeschlagen hatte, dann aber dankend annehmend. Ich habe den anderen vollgelabert, bin über die Bühne gehetzt, habe Gesten benutzt, ab und zu mal ein paar französische Wörter eingeschmissen, da keiner Deutsch versteht. Am Ende ist es eine der gelungensten Improvisationen geworden und alle waren begeistert, dass ich so frei spielen konnte. Und mich hat es gelehrt, dass ich doch nicht so schlecht bin wie es oft scheint. Das einzige Mal, dass ich in Frankreich auf Deutsch improvisiert habe, war eines Nachts mit einem Österreicher auf einem Seminar. Aber es fehlt mir, die Worte kreativ zu benutzen. Jedes Mal, wenn ich bei einer der vielen Präsentationen über mein Land, mein Publikum raten lasse, wie viele Buchstaben das längste deutsche Wort hat und sie die enorme Summe von 80 Buschstaben erst glauben können, wenn ich ihnen das Wort auch aufgesagt habe, bin ich schon ein bisschen stolz auf meine Muttersprache. Vor meinem Auslandaufenthalt habe ich Deutsch für hart, hässlich und penibel gehalten. Die Sprache bleibt zwar hart, aber die Tatsache, dass wir so viele Wörter wie wir nur wünschen aneinanderreihen können und ich die Sprache so gut beherrsche, dass ich mit ihr spielen kann, hat mich etwas Positives gelehrt.
Morgen um 6h30 geht es für mich auf zum Angeln (von einem Boot aus). Es ist eine Aktion mit meiner Arbeit und mein so über Fischen passionierter Kollege fragt mich seit einer Woche „Est-ce que tu es prête?“ (Bist du bereit?). Auch wenn ich keine Fische esse, ja, ich bin sowas von bereit auf das Fischen im Meer...auch wenn ich vielleicht vor lauter Ekel die Seeschlange wieder zurück ins Wasser werfen werde. Aber die Erfahrung zählt und davon mache ich ganz viele hier.
Ich habe realisiert, dass mir noch genau 2 Monate bleiben. Und ich nun langsam, aber sicher in die deutschen Umstände zurückgeworfen werde. Aber mir ist die Freiheit des Menschen sowas von bewusst geworden, sodass ich überall glücklich sein kann, wenn ich mich dafür entscheide.