Unverhofft kommt oft
Mit der Absicht, feiern zu gehen, landet Svenschka völlig unerwartet auf einer Parade der Tallinner Studenten. Das hält sie aber nicht davon ab, sich mitten ins Getümmel zu stürzen: singende Esten sind offenbar sehr mitreißend und ein echtes Erlebnis.
Liebes Tagebuch,
gestern (Montag) bin ich umgezogen. Ins Studentenwohnheim der Tallinna Pedagogiline Seminar - der Hochschule für Pädagogik.
Okay, ein wenig anstrengend war es doch, mein vieles Gepäck plus Töpfe, Pfannen, Bettdecken et cetera in den fünften Stock (natürlich ohne Aufzug) zu schleppen. Aber Jana, Studentin an dieser Uni und Mitarbeiterin in Jüri, hat mir geholfen. Sie musste allerdings gleich wieder gehen und verwies mich stattdessen an ihre Freundin Katrin und die Studentenschaftsvorsitzende Katrin (eine andere ;-) ).
Diese luden mich direkt ein, abends mit ihnen auf eine Party zu gehen, da die Studentenwoche hier in Tallinn gestern begann. Party? Ja sicher doch - da sag ich ja nicht Nein!
Um 18.00 Uhr also traf ich mich mit Katrin Nummer 1, die mir direkt fünf andere Mädels vorstellte, deren Namen ich mir bei Gott nicht merken konnte. Wir gingen gleich in das Studentenschaftszimmer, wo wahnsinnig viele andere Leute waren, die mich alle auf Englisch oder Deutsch begrüßten. Was mich wunderte: Alle trugen seltsame Mützen, die beiden Präsidenten Priit (zumindest glaube ich, das er so hieß) und Katrin auch noch seltsame Jacken. Und eine riesige Fahne schleiften sie mit sich, noch dazu zwei Pauken. Na ja, mir war’s egal, ich freute mich auf die Party.
Dann sind wir ins Zentrum gefahren, kaum aus dem Bus und durch die Unterführung, war ein Riesenlärm zugegen und Hunderte von anderen, jungen Leuten, die ebenfalls seltsame Mützen und Jacken trugen. Okay, wo ist die Party, bitte?
Ja ja, nix Party: Parade. Mann, ich bin selten dämlich. Trotzdem sah ich mich fünf Minuten später auf einem der Umzugswagen, mit mir völlig fremden Personen, um die TPS, die Tallina Pedagogiline Seminar, zu vertreten. Fluchs hatte ich auch ein paar Luftballons in der Hand und gröhlte mir die Stimme aus dem Hals. Mal eine etwas andere Stadtrundfahrt. Na, wer kann mit einer cooleren Stadtrundfahrt auftrumpfen?
Danach wurde gesungen - Estlands Nationalsport Nummer 1, würde ich mal behaupten. Der Autor des Reiseführers "Estland entdecken" - Klaus Schameitat - schrieb in seinem Buch, in etwa: "Man mag die Esten durchaus als kalt und emotionslos empfinden, bis man einmal ihre Sangesfreude erlebt hat." Und was soll ich dazu noch großartig sagen? Ich habe keinen Esten, den ich bisher kennen gelernt habe, als kalt und emotionslos empfunden, aber wenn sie singen - der Wahnsinn. Ich konnte natürlich nicht mitsingen, aber mitschunkeln, das kann ich schon dreimal. Hunderte Studenten, friedlich beim Singen vereint, tolles Erlebnis. Jeder, wirklich jeder (okay, außer mir eben), hat mitgesungen. Aus vollem Halse, die einen leicht angetrunken, die anderen völlig nüchtern. Besonders die Nationalhymne war sehr ergreifend, estnische Flaggen wurden geschwenkt und nach den letzten Tönen wurde lauthals "Eesti, Eesti, Eesti!" (Estland, Estland, Estland) gerufen. Klar, für eine Sängernation (Stichwort: Singende Revolution).
Danach gab es dann auch die erwartete Party. Katrin, Janas Freundin, hatte ich schon längst irgendwo verloren, und dann soll man mal unter Hunderten von Menschen jemanden im Dunkeln wiederfinden, den man erst zwei Mal gesehen hat. Also hielt ich mich an Katrin, die Präsidentin. Die stellte mir dann auch direkt ein kostenloses Bier zur Verfügung und es wurde noch munter gefeiert, bis um etwa 23.00 Uhr das Festzelt geschlossen wurde.
Natürlich habe ich wie immer keine Fotos gemacht, aber ich denke, die Fotos werden vielleicht noch auf der Unihomepage erscheinen, dann werde ich sie verlinken ;-)