Ungarndeutsche
Was für mich Solidarität beantwortet, versuchte ich als Angehörige der deutschen Minderheit in Ungarn zu beantworten. Bei mir sind Jugendliche, Kultur und Politik auf jedem Fall unerlässliche Komponente. Solidarität wird anhand von Erlebnissen im Zusammenhang mit den Ungarndeutschen, ganz konkret mit der Saarer Tanzgruppe gedeutet.
"Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.“
(Gustav Mahler)
Wenn man zu einer Minderheit, oder wie man das politisch korrekt sagt, Nationalität gehört, dann hat man das Schicksal der Solidarität als Erbe bekommen. Nicht anders ist es bei den Ungarndeutschen, die die zweitgrößte anerkannte Minderheit in Ungarn sind. Wie passt es aber das zur Solidarität? Das möchte ich jetzt über meine eigene Geschichte beweisen.
Laut des Duden Wörterbuches wird Solidarität als "unbedingtes Zusammenhalten mit jemandem aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele" oder als "Zusammengehörigkeitsgefühl und das Eintreten füreinander" definiert, welche Begriffe im Falle des Ungarndeutschtums zutreffend sind. Was ist das größte Ziel, was die Ungarndeutschen zusammenhält? Die Sprache, die Traditionen und Bräuche der Ahnen weiterzugeben, wieder zu beleben und zu zeigen, dass die Rechte der Minderheiten ein Brennpunktsthema im 21. Jahrhundert sind.
Dieses Ziel wird auf Landesebene durch verschiedenen Kultur- und Bildungsinstitutionen, auf Ortsebene durch verschiedene Vereine gesichert, was uns zum zweiten Deutung, also zum Zusammengehörigkeitsgefühl führt. Alles fängt mit einem kleinen Schritt an, so wie es bei mir auch der Fall war. Als Kind habe ich einen deutschen Nationalitätenkindergarten und eine Grundschule besucht, und fing mit 8 an in der örtlichen Nationalitätentanzgruppe, in der Saarer Tanzgruppe zu tanzen. Außer meiner Familie waren diese, die in mir die Bindung zum Ungarndeutschtum unbemerkt befestigten.
Wenn man das Wort Tanzgruppe hört, denkt man wahrscheinlich in erster Linie auf ein Hobby, eine Quelle des Spaßes. Das stimmt zwar, aber viel mehr steckt sich hinter dem Namen der Saarer Tanzgruppe. Tanzen ist heutzutage in, aber wenn man Teenager dazu bringen will, dass sie jahrhundertalte Tänze in Tracht vorführen, dann hat man es meistens schwierig. Nicht aber in der kleinen Ortschaften Saar/Szár und Neudörfl/Újbarok. Die 21-jährige Tanzgruppe, die jetzt ca. 90 aktive Mitglieder zählt, hat insgesamt 120 Tänzer aus zwei Dörfern mit einer Einwohnerzahl um die 2000. Wer sind alle dabei? Jungs und Mädels zwischen 7-30, sogar 8-10 Erwachsene im Alter von 40-60 Jahren, von denen die meisten zu den Ungarndeutschen gehören. Hier bin ich auch seit 15 Jahren Mitglied. Diese Zeit, was mir die schönsten Erlebnisse und Erinnerungen brachte, ist mir plötzlich im Zusammenhang mit der Einigkeit eingefallen. Denn die Tätigkeiten der Gruppe wachsen über die Traditionspflege hinaus, beinhalten Gemeinschaftsförderung, Pflege und Schutz unserer Umwelt, Förderung der Aktivitäten der gleichgesinnten Jugendlichen im Land.
Als Ausgangspunkt soll natürlich die Hymne der Ungarndeutschen genannt werden, die das Zusammengehörigkeitsgefühl als ein Leitsatz setzt: „Seid gegrüßt ihr deutschen Brüder, /Wachet auf, es ruft die Zeit! /Laßt uns rühmen, laßt uns preisen, /Uns'res Volkes Einigkeit!“ Nur alleine die Hymne am Anfang jeder Veranstaltung der deutschen Minderheit in Ungarn macht deutlich, warum die Ungarndeutschen auch noch heute leben und blühen: sie haben diese Zeilen wirklich verstanden und gemeinsam füreinander durch die Jahre gearbeitet.
Willst du mehr vom Zusammengehörigkeitsgefühl erfahren? Spaziere durch irgendeine Großstadt in Europa in Tracht mit uns und dann wirst du es spüren! Niemand weigert sich auf den Straßen zu tanzen, singen und musizieren, wenn die Saarer Tanzgruppe unterwegs ist. So haben wir ein Lächeln an dem Gesicht der Menschen unter anderem in Budapest, München, Padua, Tartu, Prag oder Riga gebracht.
Das kulturelle Erbe der Ahnen leistet eine wichtige Basis zur Solidarität der Ungarndeutschen, doch sind sie auch politisch gesehen aktiv. Da die Minderheit die Kraft und das Engagement des Nachwuchses fördern möchte, haben junge Erwachsene, wie auch ich die Möglichkeit, für unsere Volksgruppe eine wichtige Arbeit zu leisten. So bin ich mit 18 im Förderprogramm Young Potentials Academy (YOU.PA) der Otto Benecke Stiftung e.V. „gelandet“ und mit 19 Jahren Abgeordnete in der örtlichen deutschen Nationalitätenselbstverwaltung geworden. Das alles geschah vor fünf Jahren. Während dieser fünf Jahren ist mir dank der Qualifizierungen bewusst geworden, dass die deutsche Minderheit in Ungarn nicht alleine kämpfen soll, denn in den (Nachbar)Ländern in Mittel- und Ost-Europa sich überall Vertreter der deutschen Minderheit zu finden sind, die aufgeschlossen und kooperativ zusammenarbeiten. Das haben wir schon mit unseren gemeinsamen Ideen, Programmen und Plänen für die Zukunft bewiesen.
Wir sind solidarisch. Wir halten zusammen. In Vielfalt geeint. Miteinander. Füreinander. Für ein vielfältiges, gemeinsames und friedliches Europa, in dem alle Nationalitäten ihren eigenen Beitrag zur Solidarität mit der Weitergabe des Feuers leisten.
Ich bin Viktória Nagy, 24, Studentin der ELTE Budapest, „Auslandsdeutsche des Jahres 2017“ und das ist meine Definition von Solidarität vom Blickwinkel einer Ungarndeutschen.
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