Und in der Sauna waren wir uns sau nah –
Erinnerungen an Midsommar
Vor drei Monaten fing der Sommer an, es war ein wichtiger Meilenstein. Vor drei Monaten feierten wir Midsommar. Es war eine unerhörte Geste an das Leben.
Ich weiß es noch genau, wir luden Bier und Wein und einen verbeulten Champagneeimer in Tobis Auto und fuhren an einem Freitagnachmittag los – mit Dubstep aus kleinen wilden Opelboxen. Den Champagneeimer fanden wir auf einem Tresen stehend in einem überteuerten und schrecklich schicken Club am Stureplan, wo einem von Musik und Leuten ganz unwohl wurde. Zerbeult wurde er, als wir ihn die 60 Meter lange Rolltreppe am Östermalmstorget runter poltern ließen. Das Scheppern war zwei Stationen weiter noch zu hören.
Wir fuhren also mit Dub-Step auf Anschlag zuerst Richtung Norden raus aus der Stadt, vorbei an der Ausfahrt, auf der Oslo steht, dann Richtung Westen durch flaches Land, Acker und Wald Richtung Västerås.
Midsommar ist eine Instanz, ein Widerstand, dem man nicht ausweichen kann, fünf Jahre im Voraus im Kalender eingekreist, eine Feierlichkeit, in der Stockholm ausstirbt, weil alle aufs Land fahren. Die Tradition ist einfach und schnell erklärt. Wikipedia weiß folgendes zu berichten:
Der Baum:
Am Mittsommerabend wird ein geschmückter Baumstamm aufgerichtet, der Mittsommerstange (midsommarstången) oder Maistange (majstången) genannt wird. Maj hat hier nichts mit dem Monat Mai zu tun, sondern geht auf das altertümliche Verb maja („mit Blumen schmücken“) zurück. Die Stange sieht in den verschiedenen Regionen des Landes jeweils etwas anders aus, auch einzelne Orte haben oft ihre eigene Tradition. Der Stamm wird mit Blättern und Blumen geschmückt und aufgerichtet, danach wird im Kreis um ihn herum getanzt, wobei verschiedene Spieltänze üblich sind.
Zum Fest zieht man sich fein an, die Mädchen und Frauen haben meist weiße oder blumige Kleider an; viele tragen zu dieser besonderen Gelegenheit auch ihre Trachten. Einige binden Kränze aus Blumen oder Birkenzweigen und setzen sie sich oder ihren Kindern auf.
Der Brauch ähnelt in vielem dem deutschen Maibaumaufstellen.
Magische Natur
Früher glaubte man, dass die Natur in der Mittsommernacht (der Nacht zwischen Freitag und Samstag) magisch sei. Elfen tanzten und Trolle standen hinter den Bäumen. Außerdem hieß es, dass der Morgentau kranke Tiere und Menschen heilen konnte. Deshalb sammelte man etwas Tau in einer Flasche. Dieser wurde auch zum Backen benutzt; das Brot und die Brötchen wurden davon groß und lecker, so glaubte man.
Sieben Blumen
Unverheiratete Mädchen pflücken in der Nacht sieben Sorten wilder Blumen von sieben verschiedenen Wiesen, die sie dann unter ihr Kopfkissen legen. Dann sollen sie der Legende nach von dem träumen, den sie irgendwann einmal heiraten werden. Sie müssen aber beim Pflücken absolut still sein und am nächsten Tag dürfen sie niemandem erzählen, von wem sie geträumt haben, sonst geht der Traum nicht in Erfüllung.
So viel zu den Traditionen. Für uns war Midsommar die Gegengerade zur Vernunft. Wir hatten keine midsommarstången, pflückten keine Blumen – aber es gab magische Momente. Wir, das waren ungefähr 15 Leute aus Russland, Ukraine, Bulgarien, Uzbekistan, Norwegen, Schweden und Deutschland. Alle auf dem Weg zum Sommerhaus der Eltern einer Freundin. Elena kommt auch aus Russland. Sie wohnt aber schon ein Weilchen hier in der Schweden.
Ich weiß noch, dass das Wetter bewölkt war und auch Ende Juni nicht ganz so warm, wie noch ein paar Wochen zuvor, aber die Sonne schien recht lang an diesem Tag. Das Sommerhaus war auch eines der Sorte, das man nicht findet, wenn man nur weiß, dass es gelb ist. Jedes zweite Haus war gelb in einer Gegend, wo es kaum Häuser gab, aber lange Feldwege, die sich verzweigen und ins nichts führen. Wir mussten drei Mal auf dem Acker wenden, bis wir es endlich fanden.
Das Sommerhaus war eines der Sorte, das man staunend und mit Ehrfurcht betritt. Ein kurzer Flur, dann eine große Küche mit Kochinsel und Kühlschrank mit Eiswürfelausspuckfunktion und allerlei Schnickschnack und daran angeschlossen ein geräumiges Wohnzimmer mit Tür zur überdachten Terrasse. Auf der saßen wir alle gemeinsam, oder drängelten uns gemeinsam, denn der Platz war so gut wie erschöpft und hielten ein großes Fressgelage mit allerlei Salaten, Kuchen, Brot und eine Art Kuchenbrotteig mit eingebautem Hähnchen. Gott weiß, wie man das macht aber wie das heißt, aber Mensch, schmeckte das Zeug lecker!!! und Schnaps natürlich. Mintuu aus Finnland, das ist ein Wodka, der so nach Zahnpasta schmeckt, dass man gar nicht merkt, dass es Wodka ist. Fruchtliköre gab es und natürlich Sekt – den trinken die Schweden ganz gerne, Wein und Bier und Rum gab es auch. Und vor jedem Glasleeren galt es, ein Schnapsvisa zu singen, ein kurzes, auf den Genuss des Trinkens einstimmendes Liedchen, das meistens auf Skol oder -lalalala endet.
Den zerbeulten Champagneeimer füllten wir mit Eiswürfel aus dem Eiswürfelspucker des Kühlschranks und lagerten dort unsere Bierreserven.
Und ich weiß noch, wie wir Kubb spielten. Ein Spiel, bei dem man mit Holzscheiten aufgestellte Holzscheite umwerfen muss. Ein wenig überschneiden sich die Regeln mit Flunkyball, wobei Kubb die gemütliche und nüchterne Art ist, klobige Dinge über eine Wiese zu schmeißen.
Ich glaube, unser Team verlor. Die Regeln sind auch nicht so plump wie bei Flunkyball, sondern setzen etwas mehr Logikverständnis und etwas weniger Grobmotorik voraus. Etwas, das einige der Leute zu diesem Zeitpunkt vermissen ließen.
Und ich weiß noch, wie wir in der Sauna saßen, zehn Leute in einem kleinen Raum unausstehlicher Hitze, der für vielleicht vier Leute konstruiert wurde. In der Sauna waren wir uns sozusagen sau nah! Die Hälfte stand nur aneinandergeklebt herum und niemand konnte sich mehr bewegen. Bis auf den Arm mit der Aufgusskelle in der Hand – sie knechtete uns alle!
Und während ich im letzten Atemzug in unerträglich steigender Hitze aufsprang und zur Tür taumelte, rot und schwarz vor Augen beim Streiche meines dünstenden Hirns, rutschte ich aus und fiel mit dem Nacken auf die Kante der Bank. Einen kurzen Moment fühlte ich mich wie in einem startenden Düsenjet, wenn sich die Organe von innen an den Rücken drücken. Dann stand ich auf, lachte einfach drauf los und rannte nackt nach draußen in die kühle Abendluft über den Kiesweg direkt zum Pool, der aussah wie eine riesige runde Badewanne aus Holz. Das tolle nach einer Sauna ist, dass das Wasser so kalt sein kann wie nur irgend möglich – selbst null Kelvin wäre nicht zu kühl. Das unangenehme Gefühl des Frierens stellt sich einfach nicht ein.
Und ich erinnere mich, wie wir nackt im Wohnzimmer tanzten, total fertig und total gut gelaunt mit Drinks in der Hand. Die Röte im Gesicht war keine Scham, das war noch der Bluthochdruck aus der Sauna. Darauf rückblickend hoffe ich, dass Gott Atheisten genauso ignoriert wie umgekehrt.
Und es gab auch friedliche Momente. Zum Beispiel das Dinner am nächsten Tag draußen auf der Wiese. Wir bauten eine lange Tafel voller Schlemmereien in den Garten und saßen dort Stunde um Stunde und aßen und erzählten und lachten und auf dem Fensterbrett vor dem geöffneten Wohnzimmerfenster feuerten dicke Boxen dumpfe Bässe energetischer Elektromucke über die weite Flur.
Und ich werde nie vergessen, wie wir mit der elektrischen Fliegenklatsche auf Jagd gingen. Es gab im Haus dieses Gerät, das aussah wie ein Tennisschläger. Zwischen dem runden Rahmen waren Drähte gespannt und durch die floss gerade so viel Strom, dass Mücken und Fliegen eines grausamen Todes starben. Manche zischten, manche pfiffen leise – aber alle lösten sich in Rauch und unangenehmem Geruch auf. Mit dem Gerät konnten wir uns auch ins Gesicht hauen. Dann funkte es kurz an der Nase.
Und Surströmming. Boah – dieses Zeug. Wir waren gerade auf der Terrasse am Monopoly spielen, als irgendjemand die Idee hatte, eine Dose Surströmming zu öffnen. Das ist nichts anderes als ein im Zustand der Fermentierung eingelegter Fisch. Wie furchtbar dieser riecht, kann man sich vielleicht vorstellen, wann man sich folgende Zeilen durchliest:
In Deutschland verteilte zu Weihnachten 1981 eine Mieterin im Treppenhaus Surströmmingtunke. Ihr wurde fristlos gekündigt. Das Landgericht Köln bestätigte die Kündigung, nachdem in der mündlichen Verhandlung eine Dose Surströmming geöffnet wurde (LG Köln v. 12. Januar 1984 – 1 S 171/83, WuM 1984, Seite 55)
Den Geruch zu beschreiben ist schier unmöglich. Es ist einfach nur Gestank. Und die verursachende Sache kann man also essen. Es schmeckt derbe salzig und ich würgte es nach wenigen Sekunden wieder aus. Nicht, weil es irgendwie allzu eklig schmeckt, sondern weil man den Geruch einfach nicht aushält. Leider stand kein Mintuu in der Nähe. Den hätte ich danach nämlich gebraucht.
Und es gab ja noch so kaputte Momente. Unvergessen Dima in der Küche vor einer Schüssel voller Bowle. Er öffnete eine Kekspackung, kippte alles in die Schüssel, nahm die größte Grillzange, die er finden konnte, rührte drei Minuten alles um und nahm dann mit der Zange einen Keks aus der Schüssel, so wie man mit einer Pinzette vorsichtig kleine Tierchen anpackt, hielt diesen einen halben Meter über sein Gesicht und lies den Keks in seinen Mund plumpsen. Das ganze zwanzig Minuten lang.
Oder als alle im Wohnzimmer saßen, irgendwann um vier Uhr morgens und Dima und Gleb nackt auf Fahrrädern, nur mit Handschuh und Boxershorts bekleidet um die Wette übers Feld fuhren, hin zu einem Felsen, auf der eine Russin, deren Namen ich schon wieder vergessen habe, Flamenco tanzte. Im Flamencokleid, um vier Uhr morgens, umrundet von zwei nackten Russen auf Mountainbikes im Kreis fahrend, wie ein Rudel gierige Raubtiere.
Ja, Midsommar war ein grandioses Wochenende. Eines der Sorte, an das man sich erinnern wird, wenn man den Rest seines Lebens schon vergessen hat. Eine große Ansammlung Wahnsinn und Durchknall. Der Beweis, dass es im Leben Dinge gibt, die man nur einmal erlebt. Ein Theaterstück frei nach Schnauze eben. Ohne Nachbarn als Zuschauer. Irgendwo in der schwedischen Pampa. Irgendwo in meinem Lebenslauf ist das alles so passiert.
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