Umweltbewusstsein in Ungarn
Wie es um den Umweltschutz in Ungarn und der Welt steht
Fassungslos starre ich auf das Bild, das sich vor meinen Augen ausbreitet. Auf unserem Komposthaufen hinter dem Haus liegen neben dem Biomüll noch Alufolie, Plastiktüten, Wurstverpackungen, leere Konservendosen, Kassenzettel und Pizzakartons. Vom durcheinandergewürfelten Müll starre ich Manuel an, der den leeren Mülleimer in der Hand hält. Meine Augen wandern vom leeren Mülleimer zum Komposthaufen und wieder zurück zum Mülleimer. Hat er gerade ernsthaft den Plastikmüll auf dem Kompost entsorgt?
Wir sitzen im Garten der Freiwilligenwohnung und grillen. Das Wetter ist unserer spontanen Entscheidung gnädig gestimmt, sodass es für einen Aprilabend noch relativ warm ist. Vor einer Woche sind vier neue EVS-Freiwillige angekommen, zwei Mädchen aus Estland und zwei Jungs aus Portugal. Während wir Mädchen uns um den Grill kümmern, kommen die Jungs mit den Abfallsäcken sowie dem Biomüll in der Hand in den Garten. „Ok“, denke ich, „sie wollen den Biomüll entsorgen bevor sie zum Müllplatz gehen, um dort den restlichen Abfall wegzuwerfen.“ Doch als ich mich wieder vom Grill umdrehe, steht der portugiesische Freiwillige, Manuel, schon mit dem leeren Mülleimer in der Hand da.
Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass er gerade den Papier- und Plastikmüll auf den Komposthaufen entsorgt hat. In meinem Kopf stehen zwischen Plastik-, Papier-, Glas-, Bio- und Restmüll jeweils große Mauern und es ist für mich undenkbar, dass diese Mauern abgerissen werde können. Zu mindestens wenn es um Mülltrennung geht. Umweltbewusst wie ich bin, trenne ich immer brav den Müll. Ich habe mir sogar angewöhnt, den Papierschnipsel am Teebeutel abzureißen, bevor ich den Teebeutel in den Biomüll und den Papierschnipsel in den Papiermüll entsorge. Der Umwelt zu liebe. Doch wie sinnvoll ist das überhaupt?
Seit vielen Jahren schon ist bekannt, dass die deutsche Methode der Mülltrennung nicht gerade vorteilhaft ist. „Das System ist ineffizient und teuer und damit ökonomisch gesehen blanker Unsinn", sagt Professor Carl Christian von Weizsäcker, ehemaliger Präsident des Bundesverbandes Wettbewerb, Produktverantwortung und Innovation (BWPI) der WELT.[1] Doch während andere Länder wie Ungarn, Italien und Portugal bestenfalls zwischen Glas und dem Rest unterschieden halten die Deutschen - so auch ich - krampfhaft am Mülltrennungssystem fest. Doch obwohl ich weiß, dass es nicht sonderlich sinnvoll ist und gerade hier in Ungarn am Ende alles in eine Tonne kommt, trenne ich weiterhin brav meinen Müll. Warum? Weil es mir meine Eltern so beigebracht haben. Weil ich es so in der dritten Klasse gelernt habe. Weil ich mir dadurch einrede, etwas Gutes für die Umwelt zu tun.
Umweltschutz in den verschiedenen Ländern
Ich bin immer wieder erschrocken, wie wenig andere Jugendlich über Umweltschutz und die Folgen unseres Massenkonsums wissen. Während in Deutschland jeder die Bilder von überquellenden Legehennen Batterien, Plastikmeeren in Indien und abgeholzte Regenwälder in Südamerika kennt, stoße ich bei meinem Freiwilligendienst oft auf Unverständnis wenn ich erkläre, dass ich kein Fleisch esse, weil ich die Massentierhaltung nicht unterstützen möchte.
Gerade bei Fleisch habe ich oft die vermeidliche Unvereinbarkeit mit der Kultur erlebt. In viele Kulturen beispielsweise der ungarischen ist eine große Tradition, typische Fleischgerichte zu essen. Manchmal kommt das Fleisch noch vom Nachbarn, aber in den meisten Fällen wurde das konventionelle Billigfleisch im Supermarkt gekauft. Man ist froh, dass es nicht so viel kostet und kann sich ein Leben ohne Fleisch nicht vorstellen. Schließlich wird die Kultur und worauf man stolz ist, nicht einfach so über Bord geworfen, nur um ein wenig das Klima zu retten.
Außerdem wird uns der Massenkonsum ohne Rücksicht auf die Umwelt auch von den älteren Generationen, sprich unseren Eltern vorgelebt. Gerade in Ungarn wissen viele Erwachsene nicht, dass die importierte Tomate im Supermarkt sieben Mal so viel CO2 Ausstoß verursacht wie die inländische Tomate.[2] Wir sind es eben alle gewohnt, dass es Tomaten, Mangos, Avocados und Bananen das ganze Jahr über gibt und sind nicht bereit, zu verzichten. Von den Eltern übernehmen die Kinder diese Gewohnheiten. Außerdem ist es auch immer eine Frage des Geldes. Und genau da liegt das Problem.
Ein Privilieg der Bessergestellten
Sich umweltfreundlich zu ernähren ist noch immer ein Privileg der Wohlverdienenden. Wenn man ohnehin schon knapp bei Kasse ist, wird man garantiert nicht zur Biomilch greifen, während die konventionell hergestellte Milch nur ein Drittel kostet. Während meines Freiwilligendienstes in Ungarn bekomme ich mit, dass bei den meisten Menschen der Preis bei den Lebensmittelauswahl die größte Rolle spielt. Die meisten Ungarn legen auch keinen großen Wert darauf, sich umweltschonend zu ernähren, sondern Hauptsache, es ist günstig.
Doch das größte Problem ist das Bewusstsein, das die Bedingung für alles andere ist. Während 34% der Deutschen Umweltschutz als das wichtigste Thema für EU-Politik nannten [3], wird es in Ungarn und auch anderen Ländern wie Portugal und Italien hinter anderen Themen wie Arbeitsplätze und Infrastruktur angestellt. Umweltschutz wird nicht so ernst genommen, es sei denn, es geht um den See im Dorf oder den angrenzenden Wald. Doch über den globale Klimawandel und dass jede aus Spanien importierte Tomate diesen verstärkt, wissen hier viele Menschen einfach noch nicht Bescheid. Bis es so weit ist, werde ich wohl meine Mitfreiwilligen an der Supermarktkasse weiterhin nerven müssen, keine Plastiktüte sondern lieber die Papiertüte zu benutzen.
Quellen:
[1] https://www.welt.de/print-welt/article700089/Warum-Muelltrennung-Muell-ist.html 12.05.2019
[2] https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/16676-rtkl-landwirtschaft-und-klima-warum-tomaten-jetzt-am-klimafreundlichsten Schaubild 14.05.2019
[3] https://www.welt.de/politik/ausland/article193371401/WELT-Umfrage-Deutsche-halten-Umweltschutz-fuer-groesste-Herausforderung-der-EU.html
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