Tai geros darbo dienos tau!
Die Tage in Litauen fliegen dahin, mal gut, mal schlecht, wie es halt kommt. "Es ist kein Urlaub, das war es nie, und das ist gut so."
Wie jeden Tag verlasse ich heute morgen das Haus, warte auf den nächsten Bus, da ich, wie immer, den letzten um nur eine Minute verpasst habe, finde mich dann zwischen einer Masse von Menschen zusammengequetscht zwischen den Sitzplätzen wieder, von der man nicht denken würde, dass es sie im kleinen Kaunas gibt, und steige erleichtert nach etwa zwanzig Minuten aus, wieder Luft atmen zu können.
Mittlerweile sind meine Turnschuhe nass, ja, ich sollte mich jahreszeitengerecht anziehen, ich weiß, meine Hose ist bis oberhalb der Knie ebenso nass, da irgendein Autofahrer es immerwieder schafft, bei vollem Tempo durch die Pfütze zu fahren, an der ich vorbeigehe.
An der Unterführung in Vilniaus gatvė angekommen habe ich mich wie jeden Tag auf die Atmosphäre in dem kleinen Tunnel gefreut, Schnickschnackstände, Straßenkunst, schlechte Gitarristen, mein Lieblingsplatz.
Ich steige die steilen Treppen hinunter und rieche terpentinähnliche Chemikalien, Angestellte der Stadt säubern die Wände nach wohl zehn Jahren des Vollschmierens - und mein liebstes Graffitti, das Profil einer Frau, ist weg.
"Hanaite, kaip sekasi šiandien?", wie es mir denn ginge, fragt Krystina, meine Chefin mich, als ich mir dann die klitschnasse Jacke ausziehe.
"Nežinau...šiandien negerai...blogas oras, aš galvoju kad gal aš sergu."
Was auch immer gerade los ist, ein bisschen scheint der Herbstblues mich wohl gepackt zu haben. Draußen ist es viel zu grau, viel zu nass, der Nebel versteckt die Dächer der Stadt in milchigem Weiß und ich verlaufe mich in der Taikos prospektas, weil ich bei all dem Nebel das Bushaltestellenschild nicht sehe.
"Ooh! Nebel ist also die Tarnkappe der Natur!", hat Piggeldy einst so schlau gesagt. Das bringt mich wieder zum Lächeln. So kleckern die Tage dahin.
Es ist alles eine Sache des Blickwinkels, alles ist in einem selbst. Und es ist wahr:
Vorgestern noch denkt mein (fast) Nachbar Alessandro, ein Freiwilliger aus Sizilien, übers Abbrechen nach, weil er nicht sieht, dass er seinem Projekt irgendwie nützlich sein könnte. Heuten lese ich seine SMS, "Weißt du, was gerade passiert ist? Zwei Mädchen, die sich nie getraut haben mit mir zu reden haben mich heute ganz strahlend gefragt, ob ich ihnen denn Schlagzeugspielen beibringen könnte!"
Ich selbst habe immer mehr Probleme mit der Familie, mit der wir hier zusammenwohnen. Probleme ist nicht das richtige Wort, aber zumindest Unstimmigkeiten, ein großes Unwohlsein, wann immer ich das Haus betrete. Und sah es erst so aus, als würde es sich nicht verbessern, nur noch verschlechtern, kam jetzt das "ja" zum Umziehen unserer Koordinatorin Janina. Es wird nach einer neuen Whonung gesucht, meine erste Wohnungssuche, unabhängig von einer Vermieterin, die einem bei so vielem über die Schulter schaut!
Und hatte ich heute Morgen das erste Mal seit nun anderthalb Monaten meiner Zeit bei dem Projekt "Aid to the Victims of Trafficking and Prostitution" keine Lust auf meine Arbeit, da ich von all den Schlechtwetterfronten, die ich einfach nicht aus meinem Kopf bekam, zu viel hatte, so war auch das nur eine Sache, die ich mir einfach umdenken konnte.
Meine neue Klientin Viktorija, eine etwas schüchterne, aber sehr herzliche Frau, hat sich in den Kopf gesetzt, bald nach Deutschland auszuwandern, um dort mehr Geld zu verdienen. Jeden Donnerstag werde ich nun versuchen, ihr zumindest so viel Deutsch beizubringen, dass sie sich nicht ganz verloren fühlt zwischen den seltsamen Zisch- und Knacklauten.
Dazu kommt der Englischunterricht, den ich den beiden Töchtern unserer Klientin Rasa erteile, der "Diamant" von Caritas, wie meine Kollegin Lina sie immer nennt, da sie nach einer Jugend, die sie ununterbrochen in der Prostitution durchleben musste, nun eine kleine, glückliche Familie aufgebaut hat. Morgens Litauischunterricht, dann Deutschunterricht, nachmittags die Englischlehrerin mimen - ein bisschen wachsen mir die Sprachen schon über den Kopf, zumindest manchmal.
Es gibt immer etwas zu tun bei der Caritas Kaunas. Mittlerweile habe ich eine ganze Dose voller Zettel, auf denen Namen und Adressen der Frauen stehen, die ich besuchen muss, mich ihnen irgendwie in einer unbekannten Sprache annähern muss, irgendwie Freiwillige des Europäischen Freiwilligendienstes sein muss.
Es ist kein Urlaub, das war es nie, und das ist gut so. Denn nach Urlaub habe ich nicht gefragt, als ich mich herfür beworben habe, sondern nach dem Gefühl, helfen zu können wo Hilfe gebraucht wird, an Grenzen zu stoßen, die ich noch nicht kenne, zu entdecken, dass es immer die Möglichkeit gibt, sich das Leben schlecht zu denken, oder eben schön zu denken.
Und da kommt dann meine Zeit in Litauen ins Spiel!