Szenenauswahl
Keine lange Ankündigung, nur einige Szenen die mir aufgefallen sind. Ich weiß nicht genau warum, aber sie sind äußerst hartnäckig bei mir hängen geblieben.
Keine lange Ankündigung, nur einige Szenen die mir aufgefallen sind. Ich weiß nicht genau warum, aber sie sind äußerst hartnäckig bei mir hängen geblieben.
Heidenspaß
Sonntag war ich auf dem Great North Walk, einem acht Meilen langen Lauf zugunsten der britischen Krebsforschung. Seit wann ich wohltätig aktiv bin? Gar nicht, das war im Rahmen der Walking Group geplant und für mich eine interessante Erfahrung. Stattgefunden hat es im Tal des Flusses Wear. Wir starteten in einem Ort unten und stiegen dann die nicht besonders herausfordernden Hügel hinauf.
Landschaftlich war es ausgesprochen schön. Zuerst ging es durch baumbestandene Strassen hoch und in der gnadenlosen Sommersonne zwischen den endlosen, trockenen, violetten Heidefeldern der Gipfel entlang, die mich sehr an die Yorkshire Dales erinnerten. Wenn ich mich umdrehte sah ich einen endlosen Strom Menschen durch die sonnenbeschienenen Felder des Tals hochkommen. So muss der Osterspaziergang ausgesehen haben.
Die ersten vier Meilen bin ich mehr oder weniger gerannt, mich dauernd durchdrängelnd und schwitzend wie ein Puma. Zu allem Übel mit der Polyesterschicht meines Rucksackes auf dem Rücken, aber ohne eine große Flasche Wasser wollte ich mich nicht auf den Weg machen.
Immer vorwärts, Schritt um Schritt
Oben in der Heide, da war dieser alte Soldat. Ein merkwürdiges Bild, als er plötzlich vor mir auftauchte. Ein alter Mann in seiner Weltkriegs-Wüsten-Uniform, die weißen Haare unter seinem alten Stahlhelm auf dem schief nach rechts liegenden Kopf und ein Holzgewehr über der Schulter. So ist er langsam, sehr langsam vor sich hin gelaufen. Zwischen den vielen bunten, schnellen Menschen ein Fremdkörper, nur auf sich und den nächsten Meter konzentriert.
Es hat mich irgendwie gerührt und weiß nicht genau warum. Vielleicht war es der Kontrast zwischen der Jugend und Kraft, die seine Uniform immer noch ausstrahlte; dem erkennbaren Drill, der nach sechzig Jahren noch in ihm steckt; und ihm selbst, wie er sich schweigend und allein voran quälte. Nein, er quälte sich nicht und war auch nicht allein. Ich sah ihn später sprechen: ein lustiger und fröhlicher Mann. Und trotzdem... Was bringt ihn dazu, seine ganze Ausrüstung so lange zu behalten, sie wieder anzulegen? Ich weiß, dass die Veteranen hier stolz sind und gerade das Ende des Krieges feiern. Da war etwas von Mitleid und tiefem Respekt in mir.
Pfeifenkonzert
Kurze Zeit später kamen wir an einem Kontrollpunkt vorbei. Da stand ein alter Dudelsackspieler; nicht mit dem normalen schottischen Instrument sondern der nordenglischen Version mit nur zwei Pfeifen. Mit seinem weißen Bart stand er vor dem Hintergrund der Heidefelder, die bis zum Horizont gehen und nichts als starres, lila Kraut und in schattigen Löchern liegende Schafe haben; stand da und spielte eine einfache, weit tönende Musik die so natürlich zu dieser Landschaft zu passen schien... Spielte, als ob ihn die tausenden Läufer nichts angingen, als ob er auch sonst allein in den Feldern stünde.
Haben wir zu Hause so etwas? Haben wir solche volkstümliche Musik, die nicht vollkommen lächerlich ist? Es gibt doch alle Nase lang irgendwelche Dorfmärkte und Veranstaltungen und nicht immer wird Schlager gespielt. Aber es scheint mir so unmöglich, dass so etwas ohne die englische Heide glaubwürdig ist. Ich will keinen uckermärkischen Akkordeonspieler, der nur für Besucher da ist.
An dieser Stelle entschied ich, langsam zu gehen, um mehr von der Landschaft zu sehen. Später kam ich mit einer anderen Läuferin ins Gespräch und war zuerst ganz froh über etwas Gesellschaft. Später hat sie mich dann mehr und mehr genervt. Hat mich doch ernsthaft gefragt, was ich von Hitler halte.
Wissen & Mut
Vor einigen Wochen war ich mit Hanni und ihren Gasteltern bei einer Übertragung des Live8 Konzerts im Hyde Park in einem Stadion in Gateshead. Das war natürlich sehr enttäuschend, da ich ohnehin kein großer Fan dieser Geschichte oder zumindest nicht von Bob Geldof bin, mal ganz abgesehen von der schrecklichen Auftrittsliste.
So sind wir um fünf unter einem immer dunkler werdenden Himmel schon wieder verschwunden. Hanni und ich gingen in einen kleinen Baumarkt mit Café in der Nähe von Wheatley Hill. Das war zwar schon zu, aber sie hatten eine Art Park mit Teichen, wo ich mich müde auf eine Bank legte. Hanni stand daneben und musste sich gerade entscheiden, ob sie einen Abend für sich allein brauchte oder lieber einen Freund bei sich hätte.
Dieses Bild hat mich fasziniert: Hanni’s Gesicht über mir vor einem wild-grauen Himmel, nachdenklich und unentschlossen herab blickend, die Haare im auffrischenden Wind flatternd. Ein grauer, zerrissener Himmel, der Sturm verspricht. Ich sage ihr, wenn sie alleine sein will, geht sie nach Hause und ich nehme den nächsten Bus.
Nach einer langen Weile höre ich sie, „Komm, es ist Zeit zum Bus zu gehen“. Ich kenne niemanden sonst, der sich so entscheiden würde.
Verabschiedet sich und geht die lange Strasse hinab aus dem Ort hinaus. In ihrer blauen Bluse, schnurgerade und ohne sich einmal umzudrehen. Ich weiß, wie schwer es ihr fällt. Dieses Mädchen, das seit sechs Jahren alleine durch die Welt zieht. Wie stark muss man sein, so klar zu entscheiden und zu handeln? Nicht nur zu wissen, was man will, sondern es auch zu tun? Und wenn man es nicht weiß, zu entscheiden? Nächsten Samstag zeige ich Hanni Edinburgh.
Schnipsel
Ich kann zurzeit so furchtbar schlecht schlafen. Sobald ich nur ein wenig Zeit zum Nachdenken habe, quälen mich Gedanken an das Ende und die Wochen und Monate danach. Diese letzten Wochen scheinen manchmal so sinnlos. Es ist gar nicht so sehr, dass ich hier wieder weg muss, sondern viel mehr, wohin ich gehe. Inzwischen schaffe ich es halbwegs pünktlich ins Bett zu kommen, aber nun bleibe ich absichtlich lange auf um nur ja totmüde zu sein.
Jetzt werd ich meine Nachfolgerin sogar noch persönlich sehen. Am Flughafen kommt sie eine Stunde vor meinem Rückflug an. Genug Zeit, sie in einer dunklen Ecke zu überfallen, zwei Gesichtsmasken anzufertigen, sie mit meinem Gesicht und Papieren in den Flieger zu setzen und als Rebekka aus dem Terminal in ein weiteres Jahr White Lea Farm zu marschieren.
Und dann waren da natürlich die Bomben. Verdammte Schweine, jagen die einfach an meinem Geburtstag die Tube in die Luft.