Suzhou und Hangzhou – Paradies auf Erden?
Wie wir uns zwischen Regen, Seide und Mandarinen-Enten wiederfanden.
Suzhou und Hangzhou, „kleine“ Millionenstädte in der Nähe von Shanghai. Was erwartet man von einer Rundreise mit einem privaten deutschsprachigen Reiseführer und Privatfahrer? Komfort, viele Eindrücke und straffes Programm. Unsere Erwartungen wurden erfüllt. Zuerst fuhren wir nach Suzhou, wo uns ein sehr gesprächiger Reiseführer, Anfang 60, eine erfolgreicher Karriere als Dolmetscher hinter sich, in Empfang nahm. Das Bild der Innenstadt ähnelte mehr einer Kleinstadt, da die Häuser im Zentrum nicht höher als 24 m sein dürfen. Suzhou ist als „Gartenstadt“ bekannt, denn dort findet man 70 Gartenanlagen mit großen Teichen, besonderer Botanik und Steinkonstrukten. An unserem ersten Tag machten wir uns auf zu dem größten Park Suzhous (5 Hektar). Sein chinesischer Name lässt sich unterschiedlich übersetzen: Der Garten des bescheidenen Beamten, des dummen Politikers, des Anspruchslosen, des Machtlosen. Der ehemalige Besitzer des Gartens züchtete Mandarin-Enten, weshalb man auch heute noch Mandarin-Enten beobachten kann. Im westlichen Teil des Gartens findet man eine große Sammlung an ausgefallenen Bonsai-Bäumen. Über das Gelände verteilt stehen verschiedene Gebäude mit hübschen Dächern und Fenstern (urspräunglich aus Seide statt Glas). In einem anderen, kleineren Garten (des Meisters der Fischernetze), der etwas versteckt liegt und daher weniger Touristen anzieht, setzten wir unsere Gartentour fort. In einem kleinen Hinterhof kamen wir bei überteuerten Getränken etwas zur Ruhe und unterhielten uns über die gemeinsamen Reisen der letzten Jahre.
Die letzte Station des ersten Tages war das nationale Seiden-Museum, in dem uns die aufwendige und ursprüngliche Seidenproduktion vorgestellt wurde. Da Suzhou aufgrund der qualitativ hohen und traditionellen Produktion auch „Seidenhauptstadt“ genannt wird, zählt das Museum definitv zu einem empfehlesnwerten Zwischenstopp. Man kann die Entwicklung der Seidenraupe, die Verarbeitung und das Bedrucken der Seide nachvollziehen. Tatsächlich leben in diesem Museum tatsächliche Raupen, die man anfassen und beim Verspeisen von Blättern beobachten kann.
Am zweiten Tag besuchten wir einen dritten Park, in dem uns zwei ältere Damen ansprachen. Mit 72,73 sahen sie eher aus wie Mitte 50. Sie sagten, es liege an ihrem Sport. Eine der Damen tanze jeden Tag. Die beiden Frauen berichteten uns begeistert von ihrer Europareise von vor ein paar Jahren, während der sie auch Deutschland besuchten. Wir durften die selbstgemachten Jiaozi der „Oma“, wie sie unser Reiseführer nannte, probieren.
Am zweiten Tag standen zwei große Sehenswürdigkeiten an. Wir fuhren den Tigerhügel an, auf dem sich eine Pagode befindet. Dort kann man verschiedene Steine entdecken, zu denen es meist eine Sage gibt. Zum Beispiel wurde uns ein „Schwerprüfstein“ und ein Stein, an dem werdenden Eltern das Geschlecht ihres Kindes durch Werfen eines Kieselsteins verraten wurde. Teils noch heute beständig ist die Ansicht, dass es besser sei, einen Sohn anstatt einer Tochter zu gebären. Hinter dem Stein der 1000 Personen, der sich (aufgrund ihres vergossenen Blutes) leicht rot färbte, befand sich das versteckte Grab. An der Spitze des Hügels konnten wir den „Pisaturm Chinas“ begutachten. Eine Pagode, die mehr als 2 m zur Seite geneigt ist. Pagoden zählen zu den wichtigsten Orten des Buddhismus.
Der anschließende Programmpunkt war die Wasserstadt Tongli, das „Venedig Chinas“. Dort kann man an kleinen Kanälen und vorbei an über 500 alten Häusern spazieren gehen. In kleinen Cafes und Restaurant findet man außerdem sicherlich einen Platz für eine Pause. Die Kanalfahrt und eine Teepause in einem Teehaus, in dem wohl auch die Freunde Maos gerne zusammenkamen, lehnten wir ab. Anstatt dessen setzten wir uns mit Milchtee und Passionsfrucht an einen Kanal und genossen die Umgebung. Wir konnten eine Frau beobachten, die ihre Kleidung hockend im Wasser wusch. An der Ming-Qing-Straße des Dorfes wurden wir von einigen Geschäften überraschten, die frische Schweinehaxe (-angeblich besser als bayrische-) verkauften.
Das schönste unser Zeit in Suzhou war allerdings der Austausch mit unserem Reiseführer, der uns sowohl einiges zu seiner Familie, seiner Vergangenheit und den chinesischen Sitten erzählte. Zum Beispiel erzählte er uns von seiner Tochter, für deren Geburt er und seine Frau in die USA eingeflogen waren. Dadurch erlangte sie die amerikanische Staatsangehörigkeit und ihre Eltern mussten nicht die Strafe (10.000 Yuan) dafür bezahlen, dass sie zu Zeiten der 1-Kind-Politik ein zweites Kind bekamen. Von seinem Vater erzählte er uns, dass er an Demenz erkrankt sei und mittlerweile eine 24h-Betreuung brauche, die die Familie 1000 Yuan im Monat kostet. Die Mutter möchte sich ihre Selbständigkeit möglichst erhalten. Sie lebt bei ihrem zweiten Sohn. Unser Reiseführer selbst hat den Traum, eines Tages ein Haus in der Altstadt Suzhous zu besitzen. Abgesehen von seinem Privatleben konnte er uns viel über die chinesische Kultur berichten. Er erklärte uns einige Symbole. Die Fledermaus stehe für Glück, der Kranich für ein langes Leben, die Kiefer für Gesundheit. Die Winkekatze sei ein Symbol für Mao Zedong, der sein Volk grüße; „Mao“ heißt auf Chinesisch „Katze“. Zum Buddhismus konnte er uns erklären, dass von 700 berühmten Mönchen nur einer ein Chinese sei. Dies komme daher, dass der Buddhismus ursprünglich aus Indien stamme, also die anderen 699 Mönche Inder seien. Den chinesischen Mönch könne man bei Darstellungen immer an seiner Kopfdeckung erkennen. Alle anderen Buddhas seien Glatzenträger. Unser Reiseführer sagte uns außerdem, dass sich die buddhistischen Feiertage an den Mondkalendar anlehnen, der als „Ying“ bezeichnet wird; im Gegensatz zu dem europäischen „Yang“-Kalendar.
Oft zu Sprache kam außerdem, dass die Mao-Zeit hoch gehalten wird, weil Familien seitens der Politik viele Vorteile zugeschrieben wurde. Da auch für Kleinkriminelle hohe Strafen vorgesehen waren, war die Kriminalitätsrate sehr niedrig. Menschen konnten nachts ihre Türen aufstehen lassen, ohne Angst vor Einbrechern haben zu müssen. Auch heute ist die Kriminalitätsrate Chinas niedrig im Vergleich zu anderen Ländern. Der Fokus auf die Unterstützung von Familien ist leider etwas in den Hintergrund geraten. Eltern erhalten Kindergeld in Höhe von 20 Yuan (weniger als 2€) pro Monat. Arbeitslosengeld wird nur gezahlt, falls zuvor 20 Jahre lang gearbeitet wurde. Der Betrag, der anschließend maximal zwei Jahre lang gezahlt wird, reicht allerdings auch nur knapp zum Überleben. Die Sozialleistungen sind also, im Vergleich zu Deutschland, gering. Aufgrund dieser Umstände entscheiden sich viele dazu, die Vorteile als Parteimitglied zu nutzen. Gleichzeitig bewerben sich sehr viele auf die Stelle als Beamte/r. Wie groß die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist, zeigt der Fakt, dass für einen freien Schreibtisch im Amt 6000 Bewerbungen eingehen. Ein großes Thema unter Beamten sei weiterhin Korruption. Auch Affären seien in dieser Branche bekannt. Die Stellung, die Beamte in der Gesellschaft genießen, sei dennoch weiterhin sehr hoch.
Zur Gesundheit erzählte er uns, dass das Durchschnittsalter in Suzhou bei 80 Jahren für Männer und 84 Jahren für Frauen liege. Wichtige Faktoren dafür seien das Klima, aber auch Lebensfreude, Sport und ausreichend Tee, dem Heilkraft zugeschrieben wird. Senioren seien sehr aktiv und genießen die Freiheit, Parks und Gartenanlagen ohne Ticket betreten zu dürfen. Deshalb hielten sie sich viel an der frischen Luft auf. Wegen des Rauchens bleibe die häufigste Krankheit dennoch Lungenkrebs.
Wie ihr seht, also eine Menge an Stoff. Zum Glück notierten meine Mutter und ich immer wieder die Eindrücke, die wir sammelten. Im Rahmen dessen war ich leider darauf angewiesen, hoteleigenes Papier zu entwenden. Aber ich denke, in unserer Situation ist das absolut vertretbar.