"Stopp"
Solidarität ist nicht nur mit Gutem verbunden, meistens muss Solidarität etwas Schlechtes vorausgehen.
„Stopp“
Es war falsch.
Es war falsch zuzusehen, es war falsch wegzusehen und es war falsch, nichts zu tun.
Aber war es richtig, dieses Risiko für jemanden einzugehen, den man kaum kannte?
Seinen eigenen Hals zu riskieren, für eine Fremde?
Ja, war es. Und ich würde etwas unternehmen, wären da nicht die anderen.
… Ja, würde ich tatsächlich etwas unternehmen?
Oder sagte sich das vielleicht gerade jeder der Umstehenden? Sollten die anderen doch etwas tun. Aber wenn jeder das dachte, tat ja niemand etwas.
Ich machte einen Schritt nach vorne. War das falsch? Sollte ich umdrehen?
Nein, definitiv nicht.
Ich öffnete meinen Mund und holte noch einmal tief Luft, dann sagte ich ganz ruhig „Stopp“.
Ich hatte nicht laut gesprochen, aber meine Stimme hatte genug Kraft, dass sie aufwachten, sich umdrehten und mich ansahen. „Stopp“, sagte ich noch einmal, machte einen Schritt vor, nahm sie an der Hand, zog sie in meine Arme, strich ihr über den Rücken und drehte mich um.
Ich war nicht mehr allein, die andern traten vor, einer nach dem anderen, stellten sich hinter mir auf und sahen nach vorn und die Angreifer wichen zurück.
„Stopp“, sagten wir alle und unsere Stimmen hallten über den Hof. Sie flohen, rannten fort. Aber wir würden ihnen nicht folgen, darum ging es nicht. Wir würden das Mädchen in unserer Mitte aufnehmen und solange stützen, bis sie wieder alleine stehen konnte.
Unsere Solidarität galt nun vorerst allein ihr, denn Solidarität heißt, für jemanden einzustehen, ihn zu schützen, bei ihm zu sein, für ihn da zu sein, ob man ihn kennt, oder nicht. Solidarität erfordert Mut, Zusammenhalt und Selbstbewusstsein. Und ohne jemanden, der hinter einem steht, zerbricht man.
~Blanca Victoria Vespermann, 13 Jahre, Hamburg
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