Sommerregen
In Kokkola schien die Sonne, glaube ich. Jedenfalls war es lauwarm und es regnete nicht. Jetzt schaue ich aus dem Flugzeug. Es ist gerade gelandet, in Leipzig, in Deutschland...
Eine wahre Geschichte über falsche Gemütsinterpretationen, Regen im Gesicht und zu laute Musik
In Kokkola schien die Sonne, glaube ich. Jedenfalls war es lauwarm und es regnete nicht. Jetzt schaue ich aus dem Flugzeug. Es ist gerade gelandet, in Leipzig, in Deutschland. Ich schaue aus dem Fenster und es regnet. Und ich denke an Kokkola und plötzlich ist es nicht nur draußen nass, sondern auch in meinen Augen.
Ich bin wieder da.
Erst konnte ich es vor Freude kaum erwarten, bin fast verrückt geworden und nun sitze ich im Zielflughafen und würde am liebsten nie aus dem Flieger steigen. Ich weine bitter und still, die Tränen kullern mir eine nach der anderen über die Wangen. Ich muss aussteigen und versuche, mir provisorisch die Tränen wegzuwischen. Am Ausgang sagt die Crew „Tschüss“ und ich hoffe man sieht nicht, dass ich geheult habe. An das „Tschüss“ muss ich mich auch erst wieder gewöhnen. Fast hätte ich mich wieder, wie gewohnt, mit „Hei hei“ verabschiedet.
Ich gehe den langen Gang entlang, neben mir Geschäftsmänner mit einem, der sich äußerst amüsant über Bandansagen in 17 verschiedenen Sprachen in U-Bahnen aufregt. Verdammt, ich muss schmunzeln. Lieber würde ich mich umdrehen und sie alle kontrollieren lassen, ob ich verheult aussehe.
Da kommt mein Koffer auf dem Band, ich hiefe ihn herunter - und nun nur noch ab durch die Tür. Ich verstecke mich hinter meinem Vordermann, aber als der nach rechts abbiegt, muss ich wohl oder übel, gequält, lachen - da stehen sie und warten auf mich. Erwarten, dass sie in meinem Gesicht lesen können, dass ich vor Wiedersehensfreude fast kaputt gehe. Ah - sind sie doch nicht allein gekommen, hat der allerwerteste Anhang sich doch noch plaziert. Zögerliches Umarmen, wenig Worte, schmales Lächeln. „Ich muss auf Toilette.“ Ich drehe mich um und schlagartig stehen meine Augen wieder voll von Tränen. „Mein Heuschnupfen, Ihr wisst ja...“ - perfekte Erklärung, denke ich mir auf der Toilette, in der ich mich ewig einschließen könnte. Hoffentlich bin ich alleine hier, keiner von ihnen darf mein Schniefen und Schluchzen hören.
Es geht nach Hause. Vorne streiten sie sich schon wieder über das Autofahren, ich hole mir zu laute Musik auf die Ohren.
Fragen. Ein Satz.
„Jetzt ist alles vorbei"“ Danke, dass Du mich daran erinnerst. Und kicher nicht so dämlich. Was weist Du schon. Nichts ist vorbei, überhaupt gar nichts. Finnland ist meine zweite Heimat geworden.
„Ja, zugenommen hast du ganz schön. Oh oh oh...“ Danke für ehrliche Antwort. Wenigstens sagt es jemand. Könnten wir jetzt das Thema wechseln?
Fragen. Kurze Antworten. Nicken. Kopfschütteln.
Nein, kapieren tun sie es nicht, dass ich nicht reden will.
„Ach, die ist mal wieder mürrisch heute.“ Klar - definitiv. Schon Mist, wenn man Emotionen falsch interpretiert. „Traurig und verschlossen“ träfe es wohl es besser, aber was interessiert Dich das schon. Verstehst es doch sowieso nicht, niemand kapiert es.
Und jetzt labert noch jemand klugscheißend über Finnen. Als ob sie was davon verstehen würden...
Oh mein Gott! Eineinhalb Stunden, das halte ich nicht aus, ich will hier raus. Stille Verzweiflung. Ich lege mich schlafen, jedenfalls sind die anderen dank meiner geschlossenen Augen davon überzeugt. Endlich Ruhe.
Vorhin ein Anruf für mich. Viele Worte, Emotionen, Lachen. „Heute Abend hab ich schon was vor.“ Der erste vollständige Satz aus meinen Lippen. Mist, das sollte nicht vor dem Rest ertönen ... Zu spät, erahnende, besserwisserische Mienen in allen Gesichtern. Das geht Euch gar nichts an. Das ist mein Leben. Ich treffe mich mit meinen Freunden, wann ich will. „Danke für deinen Anruf. Bis demnächst. Ich freu mich!“ Der Zweite.
Ich weiß, dass es sie verletzt. Sie, wie sie da um mich sitzen. Und MICH.
Ich weiß nicht, warum es so ist. Können wir unsere Reaktionen lenken? Aber es ist so wie es ist. Ändern kann ich es nicht.
Jetzt sitze ich hier in dieser kleinen, meiner Lieblingskneipe. Sie sind in einer anderen, erwarteten, dass ich mitkomme, obwohl ich bereits verneint hatte. Ich will allein sein. Aber das wissen sie nicht. Wohl mehr als angesäuert, dass ich jetzt hier und nicht da bin. Ich weiß es genau, wie sehr es sie verletzt.
Aber ändern kann ich es nicht.
Und verstehen werde ich es nicht.
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