Schöne Welt
Wie das Ideal der Schönheit uns als Frauen täglich begleitet und beeinflusst
Ich laufe frierend durch die Stadt, vorbei an zitternden Gesichtern halb versteckt unter Mützen, halb versteckt wegen der Kälte, halb versteckt aus Angst gesehen zu werden. Nicht genug zu sein. Ich laufe vorbei an Werbetafeln für eine Erotikmesse. Die zwei nackten Frauen darauf sehen nicht mehr menschlich aus. Ich wurde gefragt ob sie gemalt sind. Meine Antwort war ja. Mit dem Photoshoppinseln auf dem Foto von echten Frauen. Echte Frauen. Sind echte Frauen das, was sich hinter den Mützen versteckt? Sind echte Frauen nicht gut genug, um auf Werbeplakaten zu posieren? Sind echte Frauen nicht schön genug?
Es heißt, Schönheit öffnet Türen. Und als schöne Frau wird man auf seidenen Tüchern durch die Welt getragen. Als schöne Frau wird man akzeptiert, angesehen, begehrt. Auf Erotikplakaten als Weg zur vollen Befriedigung dargestellt. Schön, als Partnerin. Schön, als nacktes Wesen. Schön, als Objekt. Dabei sind Frauen so viel mehr als ihre Haut. Soviel mehr als ihre Haare die wallend von ihren Schultern fallen sollen. Soviel mehr als ihre Taille. Soviel mehr als ihre Beine. Soviel mehr als ihre Brüste. Jedem, dem man sagt, er würde Frauen nur auf ihr Äußeres reduzieren, wird sich vehement dagegen wehren. Und trotzdem. Für die Nacht liegt man lieber neben einer Schönheit als einer Weisheit. Für den Kuss küsst man lieber volle Lippen als die, die nur so vor Wissen sprudeln. Für den Tanz berührt man lieber straffe Beine als die die am schnellsten laufen können. Wortlose Kommunikation ist einfacher wenn man mit einem schönen Körper spricht.
Aber wer definiert Schönheit? Wer sagt, dass volle Lippen, straffe, lange Waden und volles Haar schön sind? Es gibt tatsächlich Unterschiede zwischen den Schönheitsidealen verschiedener Kulturen. Und genauso wie Edelsteine, sind immer die Frauen am schönsten, die am schwersten zu finden sind. In Ländern, in denen Armut und Hunger herrscht, sollen die Frauen mit Kurven gesegnet sein. Volle Brüste, voller Hintern, Volumen. Fett. All das, was der Körper aufbaut, wenn er im Überfluss lebt. All das, was ein Leben in Wonne verspricht. All das, was Reichtum und einen sozial höheren Stand in der Gesellschaft verspricht. In Industrieländern ist dieses System nicht anders. Hier gilt als schön, wer durchtrainiert und dünn ist. Wer sich leisten kann, ins Fitnessstudio zu gehen oder einen Yogakurs zu besuchen. Wer sich leisten kann, selbst gesund zu kochen oder in einem Restaurant zu essen, das frische Lebensmittel anbietet.
Wer in Industrieländern zu der ärmeren Bevölkerung gehört, dem fällt es schwer, raffinierten Zuckern und fettem Essen auszuweichen, einfach, weil es günstiger ist sich von Fast Food zu ernähren, es ist schneller. Dass diese Lebensmittel bei den meisten Menschen nicht zu schlanken Körpern führen, ist bekannt. Als schön gilt also, was soziale Akzeptanz verspricht. Aber es gibt auch weltweit gemeinsame Schönheitsideale. Beispielsweise rote Lippen, reine Haut, große Brüste, große Augen und im Verhältnis zur Taille gesehen breite Hüften.
Das liegt nicht an sozialen Gerüsten oder der Hoffnung auf eine gesellschaftliche höhere Stellung. In diesen Schönheitsidealen verbindet sich, was alle Tiere gemeinsam haben. Unsere Instinkte. Große Augen wecken den Beschützerinstinkt, da sie kindlich wirken. Rote Lippen und reine Haut versprechen Gesundheit. Große Brüste und eine weite Hüfte versprechen Fruchtbarkeit. Die Frau, die diese äußerlichen Merkmale aufweist, zieht Aufmerksamkeit auf sich. Weil sie biologisch gesehen die perfekte Fortpflanzungspartnerin und Mutter der eigenen Kinder darstellt. Weil ihr Körper eine funktionierende Gebärmaschine darstellt, die nötig ist, den zweitgrößten Trieb nach dem Überleben zu befriedigen. Sich fortzupflanzen.
Aber wer definiert Schönheit? Wer sagt, dass allein der Körper eine Frau schön macht? Wie oben schon geschrieben will niemandem vorgeworfen werden, jemanden nur auf sein Äußeres zu reduzieren. Weil man selbst nicht darauf reduziert werden will. Das Wort reduzieren sagt schon aus, dass man dadurch etwas wegnimmt. Kleiner macht. Und wenn man jemanden auf sein Äußeres reduziert nimmt man ihm hauptsächlich all das weg, was er selbst aufgebaut hat. Was ihn ausmacht. Was geprägt wurde durch das Leben das derjenige gelebt hat. Mit einem Körper wird man geboren. Er wächst c.a. 20 Jahre und verändert sich dann mäanderförmig um sein Grundgerüst. Man nimmt ab und zu, altert ab und zu. Mit einer Seele, einem Geist, einem Bewusstsein, einem Unterbewusstsein, eben mit dem, was nicht der Körper ist, wird man auch geboren.
Aber dieses besondere Etwas hört nie auf zu wachsen. Es wächst, es schrumpft, es verändert sich täglich, stündlich, minütig. Mit jeder Information die wir lernen, jedem Gefühl, das wir fühlen und allem was wir erfahren verändern wir uns. Individuell. Kein Mensch weiß, was ein andrer gewusst hat. Man kann sich keine Seele operieren lassen. Persönlichkeiten sind Persönlichkeiten. Und wenn man jemanden auf sein Äußeres beschränkt, reduziert man ihn auf seine Hülle- als ob man eine Wasserflasche auf die Flasche reduziert und das, was sie wertvoll macht, ihren Inhalt, ausschüttet.
Wir sind also individuelle Personen. Was ist dann eine schöne Person? Wenn wir alle verschieden sind, kann man uns dann überhaupt in Gruppen wie schön und unschön unterteilen? Seelische Schönheitsideale gibt es so nicht. Aber es gibt Eigenschaften, die sympathisch sind. Wortreiche Kommunikation ist einfacher, wenn man mit einer schönen Persönlichkeit spricht. Freundlichkeit, Mut, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Willensstärke, Empathie. Verschiedene Personen finden verschiedene Persönlichkeiten schön.
Schönheit liegt mehr als alles andere im Auge des Betrachters. Aber wie viele Augen werden täglich verbunden und wie viele Schleier werden darüber gelegt um Schönheit einheitlich zu halten? Mit dreizehn lesen viele Mädchen zum ersten Mal, was man tun muss, um die Traumfigur zu haben. Seiten werden aus Jugendmagazinen entrissen und mit Kaugummi den man kaut anstatt etwas zu essen an rosa Wände geklebt, Stunden werden damit verbracht Bauchmuskelübungen zu machen um das Ideal zu erreichen. Viel zu früh werden vor allem junge Mädchen herangezogen, die nach einer Sache streben. Schönheit. Die Schönheit, die Kapital verspricht. Kapital durch Eiweißdrinks die Abnehmen versprechen, durch Lippenstift, der Lippen kussbarer macht, durch Produkte die einen selbst kostbarer machen, durch Kleider, die begehrenswert machen.
Ganze Industrien leben von Schönheitsidealen. „Call me ugly to sell me stuff“ wurde dieses System kritisiert. Aber egal wie viel Kritik es gibt, es funktioniert einwandfrei. Fair bestimmt nicht, aber das spielt keine Rolle. Natürlich fordert es Opfer, aber wie das verhindern, wenn man sich selbst zum Opfer macht, sich selbst anfängt als hässlich zu sehen und deswegen Produkte kauft, um schön zu werden? Werbung für Schönheitsprodukte funktioniert, weil Schönheit erstrebenswert ist und man sich als Kunde selbst einredet, sich durch Produkte verschönern zu können. Es ist leicht zu verurteilen. Böser Kapitalismus. Arme junge Mädchen, erdrückt von Erwartungen, schön sein zu müssen, dünn sein zu müssen, gut aussehen zu müssen. Was ist daran schlimm, Schönheit als erstrebenswertes Ideal darzustellen um Geld zu verdienen? Es scheint doch die Wahrheit zu sein, dass man mit Schönheit weit genug kommt um glücklich zu sein? Tut es nicht auch gut, schön zu sein? In den Spiegel zu schauen und zu wissen, dass man schön ist, sein kann, werden kann?
Schönheit verspricht. Ob sie ihre Versprechen hält sei da hergestellt. Reiche Menschen scheinen immer schön zu sein. Gesunde Menschen. Junge Menschen. Beliebte Menschen. Anerkannte Menschen.
Wir können versuchen stundenlang über Schönheit zu schimpfen, Oberflächlichkeit verteufeln, versuchen, nicht mehr in Kategorien wie schön und hässlich zu denken, aber trotzdem werden wir uns immer zum Schönen hingezogen fühlen. Das lässt sich nicht ändern, nur akzeptieren. Was wir aber ändern können, ist Schönheit als Pflicht zu sehen. Als Voraussetzung um Erfolg zu haben, um glücklich zu sein.
Schön aussehen öffnet vielleicht Türen. Aber sicherlich nicht alle. Und sicherlich nicht die, die wirklich zählen.
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