Schöne Fassaden schmücken Beirut, die Hauptstadt des Libanons, aber was steckt dahinter?
In Beirut zu leben bedeutet Hektik, viel Verkehr und unendliche Möglichkeiten - Der ganz normale Großstadtalltag. Hier bemerkt man nichts von den Kämpfen an den Grenzen, von den innerreligiösen Spannungen oder der politischen Krise, und so versuche ich einen Blick hinter die Fassade.
Wenn man den Libanon auf der Karte betrachtet, sieht man ein schmales Land im Nahen Osten direkt am Mittelmeer, zwischen Syrien und Israel. Diese geopolitische Lage begründet auch seine schwierige Situation: Der Bürgerkrieg in Syrien schwächt und spaltet das Land, und zu Nachbarland Israel sind nach dem Krieg die Beziehungen weiterhin sehr schlecht und die Grenzen geschlossen.
Um die aktuelle politische Situation zu verstehen, muss man die gesellschaftliche Spaltung sehen: Der Libanon ist das einzig Land in Nahen Osten, welches keine Staatsreligion verschreibt, wo Muslime und Christen friedliche mit einander leben und trotzdem spalteten die religiösen Gruppen:
Beispielsweise unterstützen die schiitischen Gemeinschaften die Hisbollah, die an der Seite Assads in Syrien kämpfen und sympathisieren mit dem Iran, während die Sunniten mit den anderen Sunniten der Opposition in Syrien stehen. Problematisch ist auch, dass Arbeitsplätze, Staatsaufträge und einige Sozialleistungen anteilig an die verschiedenen konfessionellen Gruppen vergeben werden – Damit stehen sie miteinander in Konkurrenz und die Libanesen werden – trotz der Regionsfreiheit- letztlich gezwungen, sich einer Konfession anzuschließen. Das hat mir auch mein Gastvater Fouad erklärt: "Ohne ein Netzwerk bist du hier ein Niemand, selbst für die geringste Arbeitsstelle braucht man Kontakte, eine Religionsgemeinschaft oder eine Partei."
Diese Vetternwirtschaft hat die Infrastruktur des Landes geschwächt, so wurde die Regierung 2016 im internationalen Ranking auf den 137 eingestuft, in Hinblickt auf die Effizienz und den Umgang mit öffentlichen Finanzen – Und das von 140 bewerteten Ländern. Doch nach langen Zeiten des Bürgerkrieges und der Gewalt sehen sich die Bürger nach Stabilität, was manchmal in Patriotismus umschlagen kann, welcher unreflektiert gefährlich wird: Viele Libanesen wählen einfach gemäß ihrer Religion, die politische Linie der Kandidaten ist dabei erst einmal nebensächlich.
Das Land steckt in einer tiefen politischen Krise, die sich erst langsam auflöst: So wurde das Parlament zuletzt 2009 gewählt, und seitdem verlängert es die Mandate der Abgeordneten selber bis zur nächsten Wahl, die dieses Jahr stattfinden soll. Auch um den 2016 verabschiedeten Staatspräsidenten gab es langwierige Verhandlungen: Das aktuelle Staatsoberhaupt Michel Aoun wurde erst im 45. Anlauf zum Präsidenten gewählt. Diese langwierigen Entscheidungsprozesse und die tief gespaltene politische Elite frustrieren die Menschen, was man ihnen auch deutlich anmerkt: Politik spricht man besser nicht an, wenn man keine Diskussionen oder verbitterte Gesichter hervorrufen möchte.
Trotz der ständigen Krisen und der andauernden Bedrohung durch Syrien und Israel pulsiert Beirut und die Menschen versuchen das Beste aus ihrer Situation zumachen, die dem ruhigen Zentrum in einem Wirbelsturm gleicht. So versuchen sie beispielsweise den Tourismus aufrecht zu erhalten, der einen großen Teil der Wirtschaft ausmacht, und vermarkten sich selber als das liberalste und sicherste arabische Land. Aber diese Fassade bröckelt, wenn die internen und äußeren Konflikte nicht mal gelöst werden können, deswegen müsste das demokratische System und das Wahlsystem erneuert, die Zivilgesellschaft versöhnt und die politischen internationalen Beziehungen verbessert werden. Aber das ist ein langer Prozess, und so fokussieren sich die Menschen lieber auf ihre Religion, verlieren sich in einen erstarkenden Nationalismus oder verlieren die Hoffnung angesichts der scheinbar unlösbaren Situation in Syrien.
Jugendliche im Libanon stehen so vor großen Hürden: Die guten Universitäten sind unbezahlbar ohne elterliche Unterstützung, die Mieten sind so hoch, dass sich niemand ein eigenes Zuhause leisten könnte und Jobs sind knapp. Viele bevorzugen daher, ins Ausland zu gehen, da ihre Mühen dort mehr wertschätzt werden und die Löhne höher sind. Die jungen Menschen, die bleiben, arbeiten hart: So erklärt mir ein Mädchen an der Kasse im Supermarkt, wie sie jeden Tag arbeitet und trotzdem noch studiert, indem sie nie länger als zwei Stunden schläft.
Das ist mein erstes Bild des Libanons, ein Versuch zwischen den Linien zu lesen und das Land zu verstehen. Aber jeden Tag eröffnet sich mir eine neue Perspektive, jede Begegnung bringt einen neuen Aspekt und ich freue mich darauf, noch mehr aus dem Libanon zu berichten!