"Relativ beschäftigte Vorweihnachtszeit"
Irgendwie schwer zu realisieren, dass fast ein Drittel unserer Zeit im EFD vorbei ist. Wenigstens kann niemand sagen, wir hätten nichts gemacht.
"Das sieht nach einer relativ beschäftigten Vorweihnachtszeit aus." Wie ahnungslos ich doch vor drei Wochen war...
Ab nächsten Freitag sind Weihnachtsferien, und man merkt es von Tag zu Tag mehr. Habe das Gefühl, wir sind nur noch mit Backen beschäftigt, mit Weihnachtsmärkten und -geschenken, mit Schnee (und Frühlingssonne), Weihnachtsliedern und -theaterstücken, Pinnwänden und den verdammten richtigen Handschuhen für dieses Land.
Es ist der Abend des fünfzehnten Novembers zweitausendundsechszehn. Noch tippt er, mit seinem Gewissen ganz im Reinen, rhythmisch auf den mattschwarzen Tasten, seine Gesichtszüge durch die Hintergrundbeleuchtung des Displays nur schwach erkennbar. Sein Bart wird immer länger, bis er wohl eines Tages darüber stolpern würde. Doch es fehlt ihm die Zeit, seine wuchernde Gesichtsbehaarung zu bändigen. Er ist beinahe pausenlos damit beschäftigt, in seinem Kopf To-Do-Listen und Aufgaben zu arrangieren; sich an Termine zu erinnern, Termine zu vergessen, Termine aufzuschreiben, um sie nicht zu vergessen. Während er sich die Zähne putzt, beantwortet er ellenlange, historische WhatsApp-Nachrichten von vor mehreren Stunden oder gar Tagen an seinem Laptop, um Tippzeit einzusparen. Im Bett liegen und schlafen kann er dabei leider nicht; hauptsächlich weil er ungern Zahnpasta aus seinem Kopfkissen wäscht. Im Bus wird ihm schnell schlecht, darum kann er dort nicht lesen, genausowenig wie beim Klavierspielen. Wenn er nicht verrückt klingende finnische Städtenamen in schwarz auf brustkorbgroße Pappschilder malt, um seinen unterkühlten Daumen am Straßenrand gen Himmel zu strecken, so sitzt er mit seinen Nächsten bis drei Uhr morgens am Küchentisch, um sich an tierproduktfreiem Karottenkuchen mit klebrig-dickflüssiger Zuckerglasur sattzuessen und mit gespaltener Zunge über Wortschönheiten wie "Möhre" oder "Grießmus" zu philosophieren.
Er schreibt, er backt; er kocht, erwacht; er spricht und rennt; auch schreibt, was unter seinen Fingern brennt; er reist und reißt; er hört und sieht; er denkt, erkennt; verspricht und nickt; lacht und macht... was immer er begehrt, was mehr an der Zeit als an ihm selbst zerrt, was anders befreit und letztlich auch klärt. Sein Leben verändert, sein Leben verstärkt; Ereignis um Zahn, Tag um Nacht; was immer er macht... er lebt. Noch immer.
Kunst beiseite. Jetzt mal rein pflanzliche Margarine bei die vegane Fischalternative auf Soja- und Weizenbasis. Nach Lachs-Art.
Auch die restlichen Aufführungen von "Unisukellus" liefen super. Es hat Spaß gemacht, die Kinder zum Lachen zu bringen und meine verrückt-chaotischen Rollen in urtümlich ulkiger Manier auf der Bühne zu präsentieren. All die graue Farbe und das Puder in meinen Haaren vermisse ich allerdings eher bedingt bis minus fünf. Letzte Woche haben wir schon wieder mit dem nächsten Projekt angefangen, da für die Weihnachtsfeier (nächste Woche, haha) drei kleine Weihnachtsgeschichten theatralisiert werden sollen.
Als Janina über das Wochenende vom 18.-20.11. da war, sind wir viel durch Turku gelaufen, haben in den veganen Shops und anderen Läden gestöbert, in Cafés gesessen, geredet, Filme geguckt, Tofu-Bolognese gekocht und Schokokuchen gebacken. War also ein schönes, leckeres Wochenende, das leider viel zu schnell vorbei war. Schnüff. Wo ist meine Rüschen-Rotzfahne?
Am Dienstag, den 22. war ich ja, wie inzwischen allgemein bekannt sein sollte, bei Bring Me The Horizon in Helsinki. Das war geil. (Für diejenigen, die Definitionsprobleme mit diesem Wort haben sollten: Ein BmtH-Konzert zu besuchen hat schon vielen bei der Selbstfindung geholfen.) Im Gegensatz zu Billy Talent in Turku (no offense, but) standen in Helsinki etwas mehr als 20 schüchterne, hüstelnde Gestalten vor den Schotten der Jäähalli. Etwa... tausend mehr. Oder so. Da kamen schon eher Konzertgefühle auf :) Die Vorbands Basement und While She Sleeps (besonders letztere) haben schon vor der BmtH-Show für ordentlich Stimmung gesorgt und die Bedeutung des Wortes "Moshpit" für mich neu definiert. Ich wusste bisher nämlich gar nicht, dass es einen Moshpit, einen Circlepit und eine Wall of Death zur gleichen Zeit im gleichen Bereich des stehenden (oder stolpernden) Publikums geben kann. Aber man lernt ja bekanntlich nie aus.
Nach dem Konzert bin ich zu Vincenzo in die Innenstadt gefahren, der gerade bei einer finnisch-italienischen Studentenparty war. Die Menschen dort waren genauso nett wie Vincenzo selbst. Ich unterhielt mich mit erst mit ihnen, dann auch mit Vincenzo auf dem Heimweg und in seiner kleinen Wohnung, die er sich mit einem jungen finnischen Pärchen teilt. Am Mittwoch habe ich mir das Zentrum und den Hafen Helsinkis angesehen, in einigen Läden nach dem Sinn des Lebens gesucht und mich in ein veganes Café gesetzt, bevor ich um kurz nach 18 Uhr wieder den OnniBus zurück nach Paimio nahm.
Am Donnerstag in der Woche haben wir uns mal wieder mit Anni im Kirjakahvila getroffen, um über den Stand der Dinge, unsere und ihre Pläne und unser gemeinsames Dinner zu reden. Das wird nun übrigens diesen Samstag stattfinden, wir planen veganes Sushi und gebackene Bananen als Dessert :) Anschließend waren Anni, Dora und ich noch im Kino (aus Kostengründen das erste Mal, seit ich in Finnland bin, juhuu) und haben "Fantastic Beasts and Where to Find Them" gesehen. Es ist schon einige Zeit her, dass ich Harry Potter zum letzten Mal gesehen habe... Aber es dauerte nicht lange, mich wieder in diese Zeit zurückzuversetzen. Der Film hat mir sehr gut gefallen! Geendet hat der Abend damit, dass der Film um 22:35 Uhr zuende war, pünktlich genug, um den letzten Bus nach Paimio zu verpassen. Netterweise haben uns Anni und Juho aber nach Hause gefahren...
Am darauffolgenden Freitag kam dann Sinja aus Kouvola zu Besuch, eine andere deutsche Freiwillige. Mit ihr gingen wir auf den ziemlich hübschen Weihnachtsmarkt in Turku und waren sogar dabei, als der riesige Tannenbaum vor der Kirche feierlich entzündet wurde. Also die Beleuchtung des Baumes wurde... Die wurde angeschaltet. Mit Strom. Kein Feuer.
Außerdem haben wir (natürlich) auch mit Sinja gekocht und abends viel geredet. Es war schön, auch sie nach dem Seminar mal wiederzusehen :) Am Sonntag fuhr ich mit ihr nach Turku, um die Stadt noch etwas zu besichtigen, etwas zu essen und sie nachmittags zu ihrem Fernbus zu bringen (Das ist übrigens der Zeitpunkt, ab welchem ich aufhöre, mich darüber zu beklagen, dass all diese Wochenenden oder Tage mit den netten Menschen zu kurz waren.) - und gleichzeitig auch Anna und Merima abzuholen. Die beiden Österreicherinnen aus Kuopio. Wenn ich vorher gewusst hätte, worauf ich mich da einließ...
Es war an sich schon ein halber Kunstgriff für mich, ihre Dialekte zu verstehen (oder manchmal auch die damit einhergehende Mimik und Gestik zu deuten, was in der einen oder anderen Situation beinahe leichter als die akustische Verständniskomponente war). Dazu kamen dann noch die bereits eingangs angedeuten Küchentischgespräche mitten in der Nacht über ganz unterschiedliche Themen oder auch durch Zahnbürsten- und Zahnpastamünder geschwurbelte 3-Uhr-Diskussionen über die Bettaufteilung - inmitten des Schlachtfeldes, welches ich vor Annas und Meris Besuch mein Zimmer zu nennen pflegte. Kurz: Es war unglaublich cool. Am Montag und Dienstag nahmen sie am Theaterunterricht und der Movement Class teil, außerdem schleppten wir sie am Montagabend mit zum Sprachkurs (wo sie einen Test mitschreiben durften) und anschließend ins Monk-Café! Die Musik dort war mal wieder richtig gut, und es war schön, auch Anni und Juho dort zu treffen, sie Anna und Meri vorzustellen und ein bisschen über alles mögliche zu reden. Leider mussten die beiden am Mittwoch schon wieder gehen... Aber ich sehe sie nächsten Freitag schon wieder, wenn ich über die Weihnachtsferien nach Kuopio fahre. Ich habe beschlossen, auf dem Hinweg einen OnniBus zu nehmen, damit ich mit den beiden um 18 Uhr zu einem (meinem ersten) Icehockeyspiel gehen kann. Schade um den schönen Tramping-Spaß bei gefühlten Trockeneis-Temperaturen...
Ein weiteres kleines Zusatzprojekt hatten wir am Donnerstag, den 01.12. in der City Hall in Paimio. Das "Paimio Summer Theatre" hatte dort eine Probe für ihr Weihnachts-Musical, das für dieses Jahr irgendwie alternativ und modern aufgezogen wurde. Das haben Vici und ich uns angeschaut, ein paar finnische Worte verstanden und danach Feedback an die Regisseurin und die Darsteller gegeben. Trotz der überwiegenden Verständnisschwierigkeiten war es ein lustiges Stück (okay, manche Stellen waren vielleicht nur lustig, weil wir nichts verstanden haben). Außerdem war es interessant, auf die einzelnen Schauspieler zu achten und ihnen am Ende Verbesserungsvorschläge zu geben.
Oh, außerdem (ganz vergessen) waren wir an diesem Tag morgens mit den Schülern des VSKO bei einem Konzert des "Turun filharmonin orkesteri", es wurde unter anderem Musik aus Avatar, E.T. und Star Wars gespielt. Danach haben Vici und ich Rayan getroffen, eine für Immigranten zuständige Mitarbeiterin einer Organisation, bei der wir uns vor einiger Zeit nach Freiwilligenarbeit erkundigt haben. Wir werden mit ihr eine "Friendship Party" am Valentinstag (Da es keine Liebe in Finnland gibt) organisieren. Dafür werden wir uns nächsten Mittwoch noch einmal treffen, um weiter zu planen.
Jetzt sind wir beim letzten Wochenende angekommen... am Samstag sind Vici und ich (Ja, auch Vici!) nach Pori zu Vanessa getrampt. Ja, auch Vici. :D Morgens um gegen 9:30 Uhr machten wir uns auf den Weg in die klirrende Kälte. Die Luft war jedenfalls schön frisch. Zugegebenermaßen ist es zwischendurch etwas kalt geworden, wenn wir "länger" standen (etwa 30 Minuten), aber letztlich haben wir es bis 14 Uhr dank sechs Lifts nach Pori geschafft. Dort trafen wir Vanessa, die wie schon vom Seminar gewohnt ganz heiter die Gesprächsführung übernahm und uns eine erste kleine Stadtführung gab. Vici und ich hatten uns einen Urlaubstag am Montag genommen, um bis Dienstag bei ihr bleiben zu können. (Der 06.12. ist der finnische Unabhängigkeits-, also Nationalfeiertag.) Die Zeit verbrachten wir damit, im "Puuvilla", einer überdimensionierten, zu einem Einkaufszentrum umfunktionierten ehemaligen Baumwollfabrik, einkaufen zu gehen, die Stadt zu erkunden oder Vanessas deutsche Freunde (darunter Au-Pairs und Erasmus-Studenten) kennenzulernen. Selbstverständlich wurde auch wieder gekocht und lange geredet. #Standard. Fancy Kochen gehört wohl irgendwie zu unserem #volunteerlifestyle dazu. Genauso wie fancy fressen. Irgendwann nach Silvester möchte Vanessa uns auch mal in Paimio besuchen kommen! Darauf freuen wir uns auch schon. Der Rückweg aus Pori gestaltete sich etwas "holpriger", aber nicht minder durchwachsen und doch glücklich als meine bisherigen Anhalterreisen. Zuallererst mussten wir von Vanessas Wohnung etwa eine Stunde laufen (Ließe sich Vici beim Laufen nicht dauernd die Schuhe neu besohlen, wäre es vielleicht eine halbe gewesen :D), um an der E8 in Richtung Turku zu stehen, um maximale Erfolgschancen für eine Mitnahme zu haben. Dachten wir. Dann brachen wir meinen Rekord für die Anzahl nicht-anhaltender Fahrzeuge mit sataneljäkymmentäkolme. Plus minus zwanzig. In der Kälte zählt es sich nicht so gut auf Finnisch. Dann nahm uns eine Frau mit, brachte uns ein Stück weit an eine Stelle, an der das achte passierende Fahrzeug dann nach weniger als zwei Minuten hielt, um uns mitzunehmen. Der irakische Fahrer konnte nur wenig Englisch, so kamen wir immerhin mal dazu, unsere schwächlichen Finnisch-Skills unter Beweis zu stellen. Jedenfalls versuchte er uns etwas mit einem Busticket zu erklären, rief dann einen Freund an, der mir kaum verständlich durch das rauschende Handy erklärte, dass unser Lift uns eine Busfahrt von Rauma nach Turku spendieren wollte. Wir waren so überrascht, dass wir es kaum ablehnen wollten. In Rauma brachte er uns zum Busbahnhof, wo wir etwa eine Dreiviertelstunde auf den Bus warteten, um letztlich um 15:10 Uhr in Turku am Busbahnhof anzukommen. Wieder einmal fasziniert von den Erlebnissen beim Trampen machte ich mich von dort auf den Weg zur Autobahnauffahrt in Richtung Helsinki, um bis nach Hause nach Paimio zu trampen. Vici blieb in Turku, um einige Dinge zu erledigen und um 16:45 Uhr den Bus nach Paimio zu nehmen. An der Autobahnauffahrt wartete ich etwa eine halbe Stunde, bis mich ein junger Fotograf mitnahm, der guter Dinge auf dem Weg nach Helsinki war, da ihm seine Freundin, die ihn vor Kurzem verlassen hatte, noch eine Chance gegeben hatte. Er brachte mich nicht nur bis zur Autobahnabfahrt, sondern noch einige Kilometer weiter bis zum Ortseingang Paimios. Ich wünsche ihm alles Gute mit seiner Freundin! Letztlich war ich gegen 16:20 Uhr im Kansanopisto angekommen. Über eine Stunde früher als Vici :D
Und nun das Wetter:
Diesen Donnerstag wird unsere zweite Movie Night stattfinden, natürlich mit Weihnachtsfilmen. Geplant sind Kevin allein zu Haus, Mr. Bean und Merry Christmas. Dazu gibt es vegane Zimtsterne, Vanillekipferl und Glögi. Am Samstag wird das schon erwähnte Dinner mit Anni und Juho stattfinden, diesmal kommen die beiden nach Paimio und wir kochen hier. :) Nächsten Dienstag und Mittwoch findet ein "Student Tutoring" statt, bei welchem die einzelnen Schüler des VSKO eine Art Auswertung des Semesters mit dem Schulleiter erarbeiten. Dafür werden Vici und ich (natürlich) wieder irgendwas backen, vielleicht Lebkuchen oder die finnischen "Joulutorttu". Am Donnerstag wird dann schließlich die Weihnachtsfeier der Schule stattfinden, in die ich natürlich auch involviert bin. Ich werde nicht nur in den kleinen Theaterstücken mitspielen, sondern auch im Chor mitsingen, "Stille Nacht, Heilige Nacht" auf dem Klavier begleitend spielen und mit Anni, einer Schülerin, "Medicine" von Daughter auf dem Klavier spielen und singen. Wie letzteres überhaupt klappen soll, weiß ich noch nicht so ganz, aber ich bin da aus unerfindlichen Gründen zuversichtlich.
Nach diesem regelrechten Romankapitel wünsche ich allen, die dies hier lesen bis auf Weiteres Hyvää Joulua =) Ich melde mich wahrscheinlich wieder, wenn so viel passiert ist, dass ich mir eine Woche Urlaub nehmen muss, um alles aufzuarbeiten. Bis dann!