Åre
Wochenendausflug mit dem Büro meiner Projektstelle
Vorletztes Wochenende lag der alljährliche Büroausflug vor mir. Alle Kollegen waren schon vier Tage vorher total hippelig und freuten sich ungemein auf gemeinsame Tage in den Bergen. Ich packte meinen Rucksack voll Klamotten bis zum Platzen, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommen sollte und fühlte das Gewicht einer lange Reise auf dem Rücken.
Der Zug verließ Stockholm um kurz nach zwei mittags und ich hatte vorher viel Brot gegessen, weil ich wusste, was auf mich zukommen sollte. Die Planung unseres Büroausflugs beschränkte sich nämlich praktischerweise nur auf die Frage, wie viel Wein man noch hatte und wie man diesen mit größtmöglichem Komfort im Zug eingießen könne, da Alkohol in der Bahn verboten ist. Die Zugfahrt dauerte sieben Stunden.
Nebenbei gab man mir zu jeder Stunde ein neues Wort, das ich lernen sollte. Es fing im Taxi zum Bahnhof an mit rusningstrafik (Berufsverkehr) ging weiter über påfylning – ein Wort, dass ungefähr mit Nachfüllung übersetzt werden kann, ein Wort also, dass es in unserer Sprache nicht gibt und soviel wie „wieder voll machen“ bedeutet (aber eben das Substantiv dieser Handlung) – über glesbyggd (in der Pampa gelegen) bis berusad (besoffen) und am Ende wieder nykter (nüchtern).
Zug fahren in Schweden ist etwas öde. Man kann aus dem Fenster schauen, die Augen zehn Minuten lang schließen und wieder aus dem Fenster gucken und es sieht draußen wie kopiert aus. Das selbe Meer aus Bäumen immer noch, der selbe Himmel und ab zu eines dieser kleinen schnieken roten Häuserchen, die man aus tausend Bildern kennt. Irgendwann war mein Kopf voller Rotwein und ich schlummerte ein, während mein biologisches Preset auf nüchtern werden gestellt wurde.
Wir erreichten Åre um halb neun abends und machten uns auf zu unserer Hütte. Wobei Hütte ein etwas niedlicher Ausdruck für diesen Blockhauspalst ist, wo wir wohnen sollten. Ein sehr sehr sehr geräumiges Wohnzimmer mit dem gemütlichsten Sofa der Welt, einem Kronleuchter aus Hirschgeweih, Kamin und den Jagdtrophän eines langen Lebens erstreckte sich über fast den gesamten Grundriss, daran angeschlossen ein mit totaler Hightech ausgerüsteter Kochbereich mit einem riesigen Herd, der eher an einen dieser alten geräumigen Amischlitten erinnerte, ein Kühlschrank mit Eiswürfelausspuckfunktion, eine im Schrank integrierte Kaffeemaschine für faule Leute, die Kaffee nur auf Knopfdruck mögen und allerlei Werkzeuge für lang gereifte Kochkünste.
Beleuchtet wurde dieses Ensamble dekadenten Wohnens von einem über zwei Stockwerke reichendem Panaramafenster, das einen imposanten Ausblick über das Tal erlaubte. Klar, dass bei all der Kaiserlichkeit der Terrassenpool mit Sprudelmassagefunktion und Talblick nicht fehlen durfte. Das Wasser wurde auf 38 Grad geheizt, das Bier durch Armausstrecken gekühlt: der Schneehaufen war in Reichweite.
In diese sprangen wir rein. Wohltemperiert und verschrumpelt zog sich durch Kälteschock die Haut wieder glatt zusammen.
Gekocht wurde natürlich auch. Die Rezepte waren zu kompliziert, um der Mahlzeit einen Namen zu geben. Der Geschmack war zu gut, um dem Rezept einen Namen zu geben (ich werde sie noch protokollieren, dann machen wir schwedischen Abend, wenn ich wieder in Deutschland bin). Der Rotwein wurde zum Glück nicht alle, obwohl wir Trinkspiele spielten (wohlgemerkt, immer noch mit den Kollegen aus dem Büro) und nachts schien ein riesengroßer Mond durchs Fenster. Denn Erde und Mond kamen sich so nah wie seit zwanzig Jahren nicht mehr.
Ich bin Ski gefahren. Denn Åre, dass muss ich noch erwähnen, ist das Garmisch-Partenkirchen Schwedens und Ski fahren ist ganz schön tricky. Die Füße sind auf einmal drei Meter lang, genug um in jeder Situation darüber zu stolpern. Den Berg bin ich nicht runter gefahren, dass sah mir zu halsbrecherisch aus, selbst vom Tal. Aber Langlauf durch den Wald, das hab ich mir gegeben. Sehr entspannt, entspannte Leute auf der Piste, entspanntes Wetter, entspanntes Anstrengungspotential. Nur der Hügel auf der Langlaufstrecke war mir nicht gelegen. Ich wusste nicht, wie man mit Skiern unterm Schuh diesen hochkraxelt und fuhr fehlenden Talents schuldig rückwärts wieder unter. Aber am Ende gabs entspanntes Entspannen im Entspannungspool.
Neben Faulenzen, Pippi Langstrumpf lesen (på svenska naturligtvis) und Spaziergänge durch die Stadt waren wir im Schokoladenmuseum und das war so lecker da. Eine unglaubliche Luft umwehte diese kleine Manufaktur und in drinnen dröhnten und drehten sich Maschinen voll flüssiger Schokolade und eine lustige Frau erklärte uns diese wunderbare Welt ungezählter Kalorien.
Am Montag regnete es den ganzen Tag. Es war genau das richtige Wetter, um nach Hause zu fahren. Im Zug den restlichen Wein verbraucht, gelesen, geschlafen, die Landschaft begutachtet, solange es noch hell war und um elf abends waren wir wieder zu Hause. Schade, dass gute Tage so schnell vorbei gehen. Aber ich weiß jetzt, dass ich im Büro die kuhlsten Kollegen der Stadt habe.