Pequeña España (Kleines Spanien)
Auf dem Weg. Die Erfahrungen während meines EFDs in einem Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung (und) in Spanien: verwirrend, anders und sehr erfüllend.
Ich bin gerade aufgewacht. Es ist schon ziemlich spät und ich habe Lust, den ganzen Tag lang weiterzuschlafen. Ich bin oft sehr müde und schaffe es nicht, die Müdigkeit loszuwerden, egal, wie viel ich schlafe.
Ich dusche, ziehe mich an und gehe in die Küche. Seit einiger Zeit höre ich schon das Radio. Als ich hereinkomme, höre ich den Jingle von „Radio Olé“. Die Flamenco- und Liebeslieder, die dort gespielt werden, mag ich nicht.
Heute bin ich nicht gut drauf. Ich frage mich, wie die Bewohner der Einrichtung, in der ich arbeite, so viel Energie haben können, obwohl sie so wenig schlafen.
Ich entscheide mich, spazieren zu gehen. Hoffentlich bin ich dann nicht mehr so schlecht gelaunt. Nach kurzer Zeit sehe ich drei Bauarbeiter auf einer Auffahrt. Sie haben sich hingelegt und machen Siesta. Ich kann nicht anders als zu lächeln. Ja, Roberto hat recht: Spanien ist anders. Ich laufe weiter und gehe an den Olivenbäumen vorbei. Die Oliven brauchen noch etwas, denke ich, als ich unseren „Amigo“ von der Straßenreinigung sehe, der jeden Morgen die Straße vor unserem Haus kehrt. Jedes Mal, wenn er mich sieht, scheint er sich sehr zu freuen. Ich grüße ihn und gehe weiter.
Das Wetter ist schön. Der Himmel ist hellblau und die Sonne strahlt. Ich habe mich in den Himmel, das Licht und die Frühlingsblumen verliebt. Es sind so viele verschiedene Farben.
Mir geht es schon besser. Ich habe Lust, in die Stadt, nach Madrid zu fahren.
Ich gehe zum Tabakladen, um mir eine Monatskarte für den Zug zu kaufen. Es ist vier Uhr, aber der Laden ist geschlossen... Ach nein! Siesta! Der Bahnhof ist natürlich geöffnet, aber die Monatskarte kann man nur in einem Laden kaufen, wo Tabak, Lose fürs Lotto und - Monatskarten verkauft werden.
Ich setze mich auf eine Bank. Ich wollte noch einen Brief an Wiebke schreiben. Ich beginne zu schreiben. Ab und zu kommen Leute vorbei und ich glaube, dass sie mich komisch anschauen. Na ja, ist mir egal. Es dauert halt noch eine Stunde, bis der Tabakladen wieder öffnet.
Als ich fertig bin, schaue ich mich um. Ein paar Angestellte vom Supermarkt „Ahorra más“ machen auf der Straße in ihrer Arbeitskleidung Mittagspause und essen etwas von „Carrefour“ (ebenfalls ein Supermarkt). So offensichtlich wäre das in Deutschland unmöglich. Vielleicht sind wir Deutschen tatsächlich sehr formal und ernsthaft.
Als ich später wieder Zuhause bin, begrüßt mich die blinde Maruja mit einem enthusiastischem „Hola!” Ich lese ihr ein bisschen aus einem Buch vor, das ich in ihrem Regal gefunden habe.
Etwas später finde ich Noten von Liedern, die wir früher oft in der Schule gesungen haben. Ich singe ein bisschen mit José María, der die ganze Zeit “Sing Kati, sing” sagt. Ich habe sie alle schon sehr lieb gewonnen.
Zum Abendessen gibt es Salat mit Garnelen, Kochschinken, Tomaten, Mais, Avocado und Thunfisch. Außerdem Tortilla de patatas mit etwas Zucchini, Erbsen und Paprika.
Vorm Schlafengehen setze ich mich auf mein Bett. Ich fühle mich unendlich dankbar.
Ich denke nach. Denke daran, dass dieses Jahr mich sehr zum Nachdenken gebracht hat. Manchmal glaube ich, dass dieses Jahr mich „anders“ gemacht hat. Ich bin nicht den „normalen“ Weg gegangen und ich werde ihn nie wieder gehen können. Zu viel ist passiert. Zu viel hat mich geprägt. Es ist so viel Grandioses passiert. Ich habe es wirklich geschafft, Menschen zu helfen und Seiten an mir zu erkennen, von denen ich nicht zu träumen wagte. Dennoch ist auch vieles passiert, was ich nicht verstehe. Dinge, die ich immer noch mit mir herumtrage. Sie waren vermutlich nur der Anstoß für mein Leben auf „dem anderen Weg“ und um diesen Weg zu verstehen, werde ich ihn weitergehen.