Partyguide Bulgarien: eine Parodie über das bulgarische Nachtleben
Ab in den Billigflieger und los geht’s! Der deutsche Klischeetourist will „Party, saufen, Weiber!“ und davon möglichst viel zum billigsten Preis. Ein paar Informationen sollte man zuvor jedoch still zur Kenntnis nehmen um unangenehme Situationen zu vermeiden.
Vorab sei gesagt, dass Sofia und auch die Schwarzmeerküste eine Ausnahme im bulgarischen Nachtleben bilden. Sofia, weil einfach alles anders ist: die Menschen verdienen doppelt so viel Geld (was sie dank der überteuerten Miete recht schnell wieder los werden), das Stadtbild ist extrem westlich, man kann fast jeden Tag feiern gehen und etwa einmal im Monat kommt auch eine hochrangige internationale Band vorbei. Es gibt verschiedene Musikszenen abseits vom Mainstream, die sich in kleinen Undergroundclubs treffen (mehr darüber hier: https://kaleidoskopyian.wordpress.com/2015/08/24/wtf-is-swag-eine-nacht-in-sofia/ ). Die Küste (Goldstrand etc.) ist auch anders, da es im Sommer total überlaufen ist und da es eben nur ums Feiern geht und da Bulgaren die Spots wegen besagtem deutschem Klischeetourist sowieso meiden. (Der Geheimtipp der Bulgaren ist Griechenland, aber pscht!).
Plovdiv hingegen, im Zentrum des Landes und nur schwach touristisch möchte ich jetzt für typisch bulgarisch erklären und mit diesem Beispiel das ganze Land pauschalisieren.
Wichtige Vokabeln:
„Бом бок“ (sprich: Bom bok) – ist nicht bulgarisch, sondern Plovdivski Dialekt. Es hat verschiedene Bedeutungen: Ein unaufgeräumtes Zimmer ist Бом бок, aber vor allem jemand der gerade viel Alkohol konsumiert ist Бом бок, aber auch jemand der am Vorabend viel getrunken hat ist Бом бок. Und ja, die Menschen hier sind gerne Бом бок. Das Nationalgetränk in Bulgarien ist Rakija (Traubenschnaps), den man gerne vor dem Salat trinkt. In Bars wird er aber eher selten bestellt.
„Майна“ (sprich: Maijna) – ebenfalls kein Bulgarisch. Die Leute in Plovdiv sind berühmt für ihre eigene Sprache. Angeblich wurde es in Plovdiv von der lokalen griechischen Community eingeführt und wird verwendet um Zustimmung und Zufriedenheit auszudrücken. Google Translate übersetzt Майна mit „fick“, keine Ahnung was da falsch gelaufen ist! Linguisten behaupten, das Wort habe etwas mit dem bulgarischen „Maijka“ (=Mutter) zu tun. In der Realität hat das Wort jedoch keine Bedeutung und deswegen kann Майна beliebig Майна als Майна Füllwort eingesetzt Майна werden. Weil Menschen in Plovdiv das Wort so oft verwenden, werden sie von Bulgaren aus anderen Städten auch einfach Майна genannt.
„Айляк“ (sprich: Aylak) – endlich ein bulgarisches Wort. Es kommt aus dem türkischen, denn nachdem das Osmanische Reich die Bulgaren bis vor 300 Jahren geknechtet und besetzt hat, hat man auch einige Wörter übernommen. In Türkisch bedeutet aylak „faul“, in der bulgarischen Sprache steht es Sinngemäß für „eine gute Zeit haben“. Erste kulturelle Unterschiede zeichnen sich also bereits in der Sprachentwicklung ab. Und in Plovdiv ist wirklich alles Айляк. Айляк ist ein Lebensstil.
Die Osmanen sind übrigens auch dafür verantwortlich, dass Bulgaren nicken um nein zu sagen und den Kopf schütteln um ja zu sagen. Während der Zeit der osmanischen Besetzung war es nämlich ungesund zu nicken, während man ein Säbel an den Hals gehalten bekommen hat. Zwar hat ein Barmann kein Säbel am Hals, aber es mag trotzdem vorkommen, dass er den Kopf schüttelt, wenn man ein Bier bestellt.
„Наздраве!“ (sprich: Nasdrave) – Prost! Wird gerne und oft gesagt. Achtung! Niemals „Prost“ in Bulgarien sagen! Das bedeutet nämlich „dumm“ und kann zu schmerzhaften Missverständnissen führen!
Die Party:
Bulgaren mögen es gemütlich. Wenn man tanzt kann es schon mal passieren, dass man gefragt wird: „Why are you dancing? Are you drunk?!“. Also: ganz langsam erstmal. Von einer Bar in die nächste, ein paar Bulgaren kennen lernen, erfahren, was man sich am nächsten Tag in der Stadt anschauen soll und (das Schwierigste) herausfinden, wo denn später eine Party ist („I really can’t recommend anything“).
Und doch, es gibt sie, die Partys. Wer sie in sich trägt, kann auf jeden Fall großen Spaß dabei haben, zu Old School Hip Hop oder Deep House zu steppen. Mit 5 weiteren Partygästen. Um 3 Uhr putzen sie noch um deine Füße herum, um 3:10 Uhr ist dann aber wirklich Schluss.
Okay, wer ein bisschen mehr Leute um sich herum haben möchte, muss sich dann doch etwas der Popkultur annähern. Zeit ein großes bulgarisches Phänomen vorzustellen: „Чалга“ (sprich: Tschauga). Es existiert in jedem Balkanland unter einem anderen Namen, das Konzept ist das gleiche. „Popfolk“ ist der beschönigende Begriff hinter dem es sich versteckt. Zwar besitzt diese Form der Popmusik traditionelle musikalische Einflüsse, wird letztlich jedoch vor allem durch eines charakterisiert: Sex, Sex und Sex! Einer der wichtigsten Protagonisten ist Fiki Storaro, sein Hit „Bum“ (https://www.youtube.com/watch?v=JpL2dpcfVbw) wurde mehrere Millionen Mal angeklickt. Wer sich etwas tiefer mit der „Materie“ auseinandersetzen will kann die im Internet vorhandene Sekundarliteratur verwenden: http://lyricstranslate.com/de/bum-boom.html-0
Achtung! Gebe niemals öffentlich zu, dass du Чалга magst! Das ist absolut uncool! Gut, im Internet ist Чалга ziemlich populär, aber auf der Straße würde ein Bulgare niemals zugeben, dass er Fiki mag. Erst zu Hause, ganz heimlich, kann man ungestört „Bum lele, bum lele“ singen.
Die großen Diskotheken sind in der Regel nicht im Stadtzentrum. Busse fahren offiziell nur bis um 22 Uhr (in der Realität bis 20:30 Uhr). Zum Glück sind Taxis super günstig. Außer für Ausländer. Wenn der Taxifahrer einem nicht gerade niemals endende Fotos von Frauen, mit denen er einen verkuppeln möchte zeigt und danach ein verstecktes Taxometer auskramt, dass schon eine Stunde lang läuft und 20 Leva anzeigt, kann es auch vorkommen, dass der Fahrer die Türen von innen verriegelt und nicht öffnet, bevor man ihm 30 Leva gibt (obwohl das Taxometer nur 2 Leva haben will). Vorbildlich hingegen finde ich, dass sich Taxifahrer zuvor noch nach den Berufen der Eltern erkundigen. Wenn beide berufstätig sind kann man ja ruhig etwas „Trinkgeld nehmen“.
Über das, was in den Чалга Clubs passiert kann ich leider keine Auskunft geben. Nicht, weil ich es alles zensieren müsste, vielmehr, weil ich es nicht weiß. Zwar habe ich versucht, ein Fiki Konzert zu besuchen, wurde jedoch nicht in den Club gelassen! „Ohne Reservierung erst ab 1:30 Uhr.“ Zwei Taxifahrten, einen Döner und ein paar abgefrorene Finger später die ernüchternde Nachricht: Der Club ist voll! Ich habe jedoch das Gefühl, dass es in Wirklichkeit an meinen zerlöcherten Turnschuhen lag, als neben uns Männer in glänzenden Sakkos und Frauen in Abendkleidern auf Absätzen, aus teuren Autos durch die Kälte in die Diskothek stiefeln. Macht eben keinen Sinn sich zu verstellen um einer Gesellschaftsgruppe beizuwohnen, der man nicht angehört!
Doch genug gelästert, eines muss man den Bulgaren lassen: Balkanmusik ist genial! Und sobald sie ertönt taut dieses Volk auf und beginnt wie wild zu tanzen, zu springen, zu singen oder zu hunderten den bulgarischen Volkstanz „Horo“ Hand in Hand zu performen. Erstaunlich ist es, dass sich vor allem junge Menschen dabei zu ihrer Tradition bekennen und man auf ein echt junges Publikum trifft. Also mal ehrlich, was ist denn das Durchschnittsalter bei den Kastelruther Spatzen?
Übrigens: falls sich jemand ernsthaft mit Plovdiv auseinandersetzen möchte gibt es eine tolle Doku von ARTE. http://www.arte.tv/guide/de/063704-001-A/metropolis
Ich hoffe allerdings, dass der momentane Medienhype um Plovdiv bald aufhört. Die Stadt ist gerade sogar im Voting "Europeans Best Destinations" nominiert. Bitte votet nicht für Plovdiv, ich will dass alles so günstig bleibt, wie es ist!
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