Parada – ein Platz, wo die Teilungen verschwinden
Dorota Kafara, 23, aus Starachowice, Polen, studiert in Warschau Bohemistik und Politikwissenschaft. Mit ihrem Portrait des Drei-Kulturen-Hauses „Parada“ und seiner Initiatoren in Polen zeigt sie auf, wo die deutsche, tschechische und polnische Kultur eine vermittelnde Heimat gefunden haben.
Das Dorf Niedamirów, Gemeinde Lubawka, 120 Familien, fünf Kilometer vom polnisch-tschechischen Grenzübergang in Albieřice entfernt, genau im Herzen von Karkonosze. Zu „Parada – dem Drei-Kulturen-Haus“ führt ein durch die Autos ausgeprägter Feldweg. Ein großes, ein bisschen ungewöhnliches Haus aus Holz, eine Terrasse, eine Schaukel, ein Freilufttheater hinten dem Haus. Dazu die wunderbaren Gebirgsansichten. Die Hunde begrüßen die Ankommenden mit lautem Bellen. Die Kätzchen tollen in der Küche herum. Einfach eine friedliche Stille. Man könnte denken, hier ist das Ende der Welt, ein idealer Ort, um sich hier zu vergraben und das Leben eines Einzelgängers zu führen. Aber genau hier, in Parada, verwischen sich die politischen Grenzen. Hier spürt man Europa.
Ein Schwärmerpaar
Er: ein Humanist, studierte Philosophie, Soziologie, Politologie, ist ein Freund der tschechischen Literatur. Sie: eine Kunstseele, absolvierte eine Kunsthochschule. Beide studierten in Hamburg, sprechen fließend Deutsch. Für das Wichtigste im Leben halten sie Unabhängigkeit und eine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Sie sind Lokalpatrioten, beschäftigen sich gern mit der Geschichte ihres Dorfes, suchen seine ehemalige Bewohner, die wegen der Kriegswirren ihre Häuser verlassen mussten. Zwar sind sie schon Besitzer von einer ansehnlichen Buchsammlung, träumen aber noch von einer großen dreisprachigen Bibliothek.
Beata und Grzegorz, von denen hier die Rede ist, suchten sehr lange einen entsprechenden Platz, um ihre Lebensidee zu realisieren. Sie träumten von einem Zentrum, wo junge Leute aus Polen, Deutschland und Tschechien zusammentreffen, eigene Erfahrungen austauschen, die gegenseitigen Stereotypen brechen und mentale Hindernisse überwinden könnten.
Der magische Ort
Dieses Schwärmerpaar kam 1991 nach Niedamirów. In diesem abgelegenen Nest fanden sie ein verlassenes, verfallenes Haus. Sie haben es als ein Gasthaus angesehen. Man könnte auf solche Einbildungskraft neidisch sein! Es dauerte acht Jahre, bis Beata und Grzegorz in ihrem Haus auf Dauer einziehen konnten.
Sie selbst bezeichnen ihr Dasein in „Parada” in drei Worten: Renovierung, Kultur, Leben. Alle multifunktionellen Räume (Gastschlafzimmer, Arbeitsraume, Galerien) sind aus Lehmziegeln gebaut, bemalt mit selbst hergestellten Kaseinfarben, alles unter einem steilen Grasdach. Die Scheune dient als Kino des Drei-Kulturen-Hauses. Das ganze Haus hat sich hervorragend an die Umgebung angepasst und gehört zur dortigen Landschaft genau so wie die Bäume und Wiesen.
Eine wichtige Sache war für die beiden das Wissen über die ehemaligen Besitzer ihres Hauses, die nach dem zweiten Weltkrieg Kunzendorf (so lautete der Vorkriegsname von Niedamirów) verlassen mussten. Es gelang ihnen, einen Kontakt mit Frau Kleinwächter aufzunehmen.
Hier ein Fragment von einem offenen Brief an sie, der sich heute in „Parada” befindet: (…) Wir sind auch, wie Sie, Schlesier – hier ist auch unsere Heimat, obwohl wir Polnisch sprechen. Ist das alles nicht merkwürdig? Eigentlich nicht – wir sind die nächste Generation von einem schlesischen und mitteleuropäischen Mosaik, ein Glied in der Kette verschiedener Sprachen, Kulturen und Nationen, die sich hier trafen und vermischten. Die Polen, Tschechen, Deutschen, Katholiken, Protestanten und Hussiten (…).
Im Gedenkbuch findet man solche Beschreibungen von „Parada”: einem Ort nicht von dieser Welt, einem magischen Ort, einem Zauberkrafthaus. Tatsächlich ist alles hier ungewöhnlich und magisch. „Parada” macht noch dazu einen Eindruck eines sehr nahen, heimischen Orts. Wahrscheinlich bringt das die Leute, die hier ankommen, zum Überschreiten verschiedenen Grenzen: mentaler, künstlerischer, sprachlicher.
Im Namen der Zukunft
Beata und Grzegorz haben immer die Köpfe voll von verschiedenen Ideen, sind konsequent und hartnäckig. Aus ihrer Initiative gingen verschiedene Kunstwerkstätten, Happenings und Festivals hervor. Auf der Wiese hinter dem Haus erhebt sich einmal ein riesiger, grüner Hirsch (ein Landschaftsprojekt in 1994). Parada besuchten schon sowohl deutsche Straßentheater als auch polnische Künstler, die ihre Werke in einem unikalen, japanischen Ofen brannten.
Grzegorz erzählt stolz von einem Projekt „Bahnhof Europa”. Zusammen mit einer Gruppe von jungen Amateurartisten aus Polen, Tschechien und Deutschland reisten sie acht Tage lang über die Städte in diesen drei Grenzländern. Auf den Bahnhöfen präsentierten sie ihre Neuerungsveranstaltungen. Gemeinsam überwanden sie die Grenzen im Namen der besseren Zukunft. Die jungen Leute beschäftigten sich auch mit der Entdeckung der „vergessenen” Geschichte der Grenzregionen. Nach dem Jahre 1945 war sie ein Tabuthema geworden und die tragischen Ereignisse bleiben immer noch im Gedächtnis der Leute eine offene Wunde.
Laterna futuri – so wurde eines der neusten Projekte von Beata und Grzegorz genannt. Es ist ihr künstlerisches und pädagogisches Angebot für polnische, tschechische und deutsche Schulen im Grenzraum. Das Hauptziel ist, den Kindern eine Möglichkeit zu geben, damit sie sich besser kennen lernen und die Sprach- und Kulturgrenzen überschreiten könnten.
Europa vor der Haustür
Der Enthusiasmus von Beata und Grzegorz ist ansteckend. Nicht nur ich habe das erfahren, auch die Mehrheit der Teilnehmer der wöchentlichen Begegnung über die Grenzen in Europa. Man konnte sich keinen besseren Platz als Parada für eine solche Veranstaltung vorstellen.
Während der verschiedenen Treffen mit der Verwaltung der Euroregion Neiße hatten wir die Möglichkeit, selbst zu beurteilen, wie die Idee der Euroregionen Gestalt annimmt. Wir besuchten eine deutsch-tschechische Grundschule in Zittau, wo die deutschen und tschechischen Kinder gemeinsam lernen. Wir hatten auch Zeit, um die schwere, tabuisierte Geschichte der Sudeten kennen zu lernen. Parada wurde für uns ein idealer Ort für Diskussionen und gemeinsamen Gedankenaustausch.
„Steter Tropfen höhlt den Stein“, sagt man. Je mehr solcher Begegnungen stattfinden und je mehr solcher Leute wie Beata und Grzegorz Jugendliche aus Nachbarnationen zusammenführen, desto schneller werden die Grenzen zwischen Polen, Deutschland und Tschechien nur eine schwarze, dicke Schlangenlinie sein.
Wir, die Europäer, benötigen mehr von solchen Plätzen wie Parada und Leuten mit Eigeninitiative, die die Bedeutung der interkulturellen Kontakte richtig einschätzen. An Orten wie dem Drei-Kulturen-Haus kann man sowohl die Achtung davor lernen, was die Nachbarnationen teilt, als auch das finden, was sie verbindet.