Ouverture au Monde - Weltoffenheit
Ein Nachmittag zum Thema Weltoffenheit in einem technischen Lycée
Nach einem ruhigen Morgen auf der Arbeit, einem eiligen Mittagessen und hastigem Tasche-umpacken-und-Präsentation-auf-den-USBStick-ziehen machte ich mich heute mit Stefania, Sera und Niccolo auf den Weg zum Lycée Marcel Callo hier in Redon. Das ist ein technisches Lycée, das die Schuljahr vom "Bac - 3 bis Bac +3" abdeckt, also die letzten drei Jahre bis zum Gegenüber des deutschen Abiturs, sowie drei Jahre spezifischer Ausbildung/Studium. Diese weiterführende Bildung ist vereinfacht ausgedrückt in mehrere Bereiche wie zum Beispiel Luftfahrt, Automobiltechnik und Elektrotechnik aufgeteilt. Auch wenn ich nicht wirklich umfassend über das System der deutschen Berufsschulen und Fachgymnasien informiert bin, muss ich sagen, dass mir das französische Schulsystem mit seinen vielen Möglichkeiten der Spezialisierung schon zum Abitur ("Bac Pro") hin eher außergewöhnlich erschien und mich mit seinem Umfang mal wieder sehr überraschte.
Wenn man nun bedenkt, wie technisch fast alles im Lycée Marcel Callo geprägt ist, sollte es eher nicht verwundern, dass unter den rund 900 Schülern gerade mal 25 Schülerinnen zu finden sind. Tatsächlich habe ich heute allerdings keine Einzige gesehen.
Zurück zu heute Mittag - gegen eins im Lycée angekommen, wurden wir erst einmal zum Speisesaal der Professionellen gebracht, wo auf uns nicht nur ein Dessert wartete, sondern auch klassisch französisch Wein, Baguette und Käse. Der Grund unseres Kommens sollte allerdings nicht das Essen sein, sondern wurde anlässlich eines jährlich stattfinden Nachmittags für alle Schüler der Seconde (~10.Klasse) zum Thema Weltoffenheit geplant. Wir, wie alle 13 anderen "Referenten" auch, waren nun also da, um den Jugendlichen etwas über Europa, die Welt und andere Perspektiven, Reisen und Projekte, zu erzählen und wie unsere Tutorin Lydia sagte - ihnen zu zeigen, dass es noch mehr gibt, als ihre schulische Schwerpunktbildung.
Wie sinnvoll diese Aktion der Schule ist, wurde uns dann ganz bald klar. Zu viert standen wir vor 23 fünfzehnjährigen Jungs, die uns gelangweilt und eher desinteressiert zuschauten, während wir uns regelrecht durch unsere großteils erstmalige Präsentation unseres SVE vor Jugendlichen kämpften. Bilder aus Stefanias Heimatstadt Como, ein paar Fotos aus meinem Dorf, Großstädten und Landschaften in Deutschland sowie Seras Präsentation über einige interessante Orte in der Türkei brachten nur wenig Leben in die Runde. Gleiches gilt für die Fragen, die andere Schüler für uns vorbereitet hatten und von den anwesenden Schülern erstmal entziffert werden mussten. Wir erzählten also etwas über das Grundprinzip und Funktionieren des SVE, wo wir herkommen und beantworteten die Fragen zu unseren Erfahrungen. Im großen Ganzen hatte ich teilweise wirklich das Gefühl, auf eine gefühllose Mauer einzureden, Fragen zu beantworten, die keinen interessieren. Am Ende der etwa einstündigen "intervention" gab es zumindest einen Jungen, der ein bisschen Interesse am SVE zeigte - werten wir das mal als Erfolg. Zumindest können wir sagen, dass die Jungs zumindest wissen sollten, dass so etwas wie ein SVE existiert und wir als Europäer in Redon leben, so oft wie wir den Ausdruck verwendet haben und so offensichtlich unser Akzent ist. Die anwesende Lehrerin schien aber trotz unserem eher unkoordinierten Vorgehen und sprunghaften Themenwechsels recht begeistert zu sein; meinte, wir hätten das gut gemacht, die Schlüern hätten zumindest ein bisschen Interesse gezeigt, das wäre schonmal eine Erweiterung des Horizonts.
Nach einer Kaffeepause im Lehrerzimmer ging es dann weiter mit einer zweiten Gruppe. Diesmal nur 15 Jungs und kein anwesender Lehrer. Die Motivation schien ähnlich, steigerte sich meines Empfindens aber zumindest ins Erkennbare. Ob das an den Persönlichkeiten lag, an unserem anderen (da improvisierten) Vorgehen oder dem kleinen bisschen Erfahrung von vorher, weiß ich nicht.
Stefania ergriff zum Beispiel stark die Initiative, die Schüler ein bisschen aus ihrer Stille zu wecken, indem sie JEDEM eine der Fragen in die Hand drückte, also jeder wirklich mit uns reden musste. Zum anderen fanden wir jemanden, der schonmal in der Türkei Urlaub gemacht hatte, sogar Seras Heimatstadt besucht hat. Außerdem erfuhren wir, dass sogar einige neben Englisch ein bisschen Spanisch oder Deutsch lernen. Eine Feedbackrunde in der jeder etwas sagen sollte, was er aus unserer "Diskussion" mitnehmen würde, markierte nicht nur das Ende unserer Stunde, sondern gab mir auch das Gefühl, dass wir zumindest ein bisschen die Reiselust geweckt haben und die Jungs daran erinnert haben, dass es eine entdeckenswerte Welt außerhalb Frankreichs gibt. Das ist doch eigentlich ein ganz ordentliches Resultat.
Der Nachmittag endete für eine Gruppe Studenten aus Rennes, die in einem Verein namens GENEPI an der Resozialisierung Gefanger mitarbeiten, Stefania und mich mit einer kleinen Führung durch die Gebäude des Lycées. Wie anfangs schon erwähnt, ist Marcel Callo für mich eher ungewöhnlich und passt absolut nicht zu der Idee, die ich habe, wenn man von "lycée" spricht - Klassensäle, CDI, Mensa und Schulhof. Viel eher macht dies den geringsten Teil der Schule aus. Hier findet man vor allem große Hallen, wo unter Anderem Flugzeugteile für den Unterricht bereitstehen, große technische Apparate aus verschiedenen Zeiten und für die verschiedensten, mir unersichtlichen Zwecke und Schüler, die in Kitteln oder Overalls an Stromkästen arbeiten oder Autos reparieren und auseinandernehmen. Nicht ganz meine Welt, aber absolut beeindruckend und interessant zu entdecken! In diesem Sinne also auch eine kleine Erweiterung meines Horizonts, die Erfahrung einer etwas anderen Schule.
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