Novembertage in Grau und Bunt
Warum der November selbst in Dadia grau sein kann und was meine Herbsttage dennoch umso bunter scheinen lässt.
Deutlich kürzere Tage und kältere Nächte machen meinen November in Dadia aus. Zeit für Weihnachtsstimmung ist in Griechenland noch lange nicht, hier gibt es keinen Advent und weil es tagsüber noch warm und sonnig ist, ein Großteil der Blätter und Wiesen noch grün sind, vergesse ich hier gerne, dass Weihnachten weniger als einen Monat entfernt ist. Nein, Adventsstimmung gehört nicht nach Dadía. Von Schnee, der ja in Deutschland gerade den Verkehr durcheinander bringt, werde ich bis Ende Januar hier nichts sehen. Was bleibt, ist die seltsame Kombination aus sonnigen und durchaus warmen Tagen, an denen wir bei unserer Fieldwork schonmal ordentlich ins Schwitzen kommen und Nächten, in denen die Temperatur gelegentlich unter dem Gefrierpunkt liegt. Ich habe mich noch nicht ganz an diesen bizzaren Kontrast gewöhnt, kämpfe noch mit der zunehmenden Dunkelheit. Ich versuche, so früh wie möglich aufzustehen um bereits den Sonnenaufgang mitzubekommen, mit meinem morgendlichen Müsli im Ess- und Wohnzimmer sitzend, aus den Fenstern das Erscheinen der Bergketten und der Dächer Dadias zu beobachten. Wann immer ich Zeit habe, gerade nicht im Büro, im Auto auf einer der zahlreichen Fahrten zu und durch den Nationalpark oder bei der Fieldwork bin, suche ich mir einen sonnigen Platz, von dem aus ich einen schönen Blick über das Ziegelrot der Häuser Dadias und das Grün des Pinienwaldes habe, oder setzt mich mit einer Schale zu öffnender selbstgesammelter Walnüsse auf unseren Balkon und genieße so viel Sonne, wie es mir möglich ist.
Die Projekte, für die wir im Moment unterwegs sind, finden nicht mehr nur tagsüber statt. Für das Bubo bubo-Monitoring, also das Beobachten des Uhus, ist es sogar notwendig, dass wir nach Sonnenuntergang unterwegs sind. Von den nachtaktiven Vögeln gibt es im Nationalpark einige und unser Ziel ist es, Informationen darüber zu erhalten, wo überall Terretorien des Uhus zu finden sind. Dazu suchen wir unterschiedliche Punkte im ganzen Park auf, wo wir durch nachgeahmtes Rufen eines männlichen Uhus mithilfe einer Aufnahme vom MP3-Player die Antwort der Vögel herausfordern und so feststellen können, wo das Tier überall zu finden ist. Nach meiner ersten Erfahrung mit dieser Tätigkeit bin ich inzwischen immer siebenlagig eingepackt, mit Handschuhen und Mütze ausgestattet und habe in meinem Rucksack eine Thermoskanne heißen Tees. Denn wenn man über eine Stunde möglichst ruhig sein soll und sich also auch nicht vom Fleck bewegen kann, sind derartige Maßnahmen erforderlich.
Neben der Arbeit im Observatorium und dem Pelletsammeln mit Petros, das sich bei zunehmend farbenfroher Blätterwelt in Teilen des Parks mit Laubbaumvorkommen immer interessanter gestaltet, habe ich letzten Sonntag auch noch die Gelegenheit bekommen, einen Einblick in Josés Arbeit zu bekommen: Er erforscht im Rahmen seines persönlichen Projekts die Verbreitung der Otter im Nationalpark. Dazu sucht er gezielt in der Nähe von Flüssen und Bächen. Diesem Kriterium ist es zu verdanken, dass ich ein weiteres Mal eine ganz andere Seite des Parks kennenlernen durfte, Klippen erklimmen, Bächen über Steine hüpfend folgen und Wasserfälle bestaunen konnte. Wochenende hatte ich zwar keines, aber dieser Tag war das Opfern des Sonntags durchaus wert. Man findet Schätze dort, wo man sie am wenigsten vermutet – und das gilt in diesem Fall sowohl temporal als auch lokal: Der Sonntag war mein abenteuerlichster und anstrengendster Tag und was mich am meisten beeindruckt hat, war im verbrannten Teil des Parks zu finden: Lange haben wir nach einem bestimmten Punkt gesucht, auf dem Weg einen Zwischenstopp gemacht und bei einem “Spotcheck” einen Wasserfall zwischen Felsenwänden und -hügeln entdeckt, in dessen Bach sich Frösche tummelten. Auch der eigentliche Punkt, den wir schließlich doch noch fanden, war ein Erlebnis, das mit Vegetation mithalten kann. Nach zweihundert Metern Dickicht fanden wir einen Bach, den wir vorwiegend auf Steinen und kleineren bewachsenen Inseln erkundeten, und was wir in der Umgebung des Bachs an Pflanzen fanden, war auch sehr interessant. Eine der Stauden, die wir entdeckten, hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Blatt, das in Amsterdam sehr populär ist… Der Höhepunkt des Tages war jedoch die Begegnung mit einer Wildkatze, die einige Meter vor unserem Wagen von einer Seite des Weges auf die andere sprang. Auch José, der schon einige Erfahrung mit wilden Tieren hat und bereits einmal einer Wildkatze begegnet ist, war ganz aus dem Häuschen!
Die Bekanntschaft einer entfernten Verwandten der Wildkatze habe ich letzte Woche gemacht, als Petros uns seinen kleinen Hof gezeigt hat, uns den schneeweißen Hennen, den stolzen Hähnen, den Schweinen, von denen zu Bonys und meinem Bedauern zwei für Weihnachten bestimmt sind, seinen Hunden und Katzen vorgestellt hat. Ein grau-weißes Kätzchen hat sofort Vertrauen zu mir gewonnen und der Platz auf meinen Armen war ihm nicht genug – es kletterte über meine Schultern auf meinen Rucksack, wo es eine halbe Stunde lang die Sonne und den Ausblick genoss und sich putzte.
Eine willkommene Abwechslung zu Geiern und Adlern in Dadias Wald war für mich der Ausflug in den Nationalpark im Delta des Flusses Evros, der der Grenzfluss zur Türkei ist. Unmittelbar an türkischer Grenze und der Mündung zu Aegean Sea gelegen, ist der Park ein Ort, an dem zahlreiche Wasservögel entweder einen Zwischenstopp auf ihrer Route ins Winterquartier machen oder, nachdem sie Nordeuropa hinter sich gelassen haben, hier überwintern. Letzten Donnerstag konnte ich so nicht nur Enten, Gänse und Milane, sondern auch Schwäne, Flamingos und Pelikane beobachten, als Bony und ich mit zwei der Mitarbeiter des Parks unterwegs waren, die ebendiese Vögel zählten. Der Anblick der vielen Lagunen, des Meeres und der Vielzahl an Vögeln war faszinierend! Ich warte auf meine nächste Mission in Delta Evros…
Eindrücke aus Delta Evros IV
Im Büro des WWF bin ich seit letzter Woche für die Bibliothek im Glasschrank sowie die digitale Bibliothek zuständig, an der ich seitdem ständig arbeite. Neben den lateinischen Namen zahlreicher Vogelarten lerne ich so gleichzeitig amüsante und schöne Namen französischer, englischer oder skandinavischer Autoren kennen – das heutige Highlight war ‘Hipkiss’.
Mit dem WWF identifiziere ich mich auch optisch inzwischen immer stärker – wenn ich auch festhalten muss, dass sich der Umweltschutz in Dadia auf die Arbeit mit den Vögeln beschränkt, über Dinge wie Benzinverbrauch, Energieverschwendung durch unnötiges Heizen oder exzessiven Fleischkonsum nicht im Geringsten nachgedacht wird. Der Panda des WWF-Logos ziert dennoch seit siebzehn Tagen zwei neue Taschen von mir und für aktuelle Bilder von WWF Dadia durfte auch ich mit einer schwarzen Jacke mit WWF-Logo posieren.
In Griechenland bin ich inzwischen definitiv angekommen: In das gastronomische Geheimnis der traditionellen Zubereitung des griechischen Pitas wurde ich am 15.November von der Stiefmutter der WWF-Mitarbeiterin Dora eingeweiht. Erstere hatte uns zu sich und ihrer Mutter eingeladen, zeigten uns gemeinsam, wie der Teig hergestellt, der dünne Teig ausgewellt und das Pita schließlich geschichtet wird. Ein griechisches Konto habe ich nun auch, der letzte Besuch eines Kαφενειου liegt erst drei Tage zurück und fremde Menschen in Dadia grüßen mich strahlend, fragen auf Griechisch, wie es mir gehe. Zwischenzeitlich kann ich antworten und durfte so von einem Griechen auf meine Nachfrage erfahren, dass es ihm sogar sehr gut ginge. Dann schlenderte er den Weg zur Kirche entlang, hatte auch mich auf diesem Weg glücklich gemacht. Auch in den Minimarkets im Dorf kann ich einige Sätze mit den Verkäufern austauschen. Lerne ich fleißig, was Katja mir jeden Montag erklärt, werde ich hoffentlich bald kleinere Konversationen führen können – und spätestens seit dem siebzehnten November ist mir bewusst, wie notwendig diese Fähigkeit ist: Mit Malte hatte ich die Gelegenheit, Ela, Adonis und Liz auf einem Tagesausflug nach Komotini zu begleiten – einer Stadt, die ungefähr so groß aber schöner ist als Alexandroupolis, etwas weiter entfernt liegt und die wir wegen eines Sportbekleidungsgeschäfts aufsuchten, in dem Ela Kletterausrüstung und ich eine dicke Hose und eine ebenso dicke Jacke fanden, die ich bald dringend brauchen werde. Nach Erledigung der wichtigsten Einkäufe schnupperten Malte und ich die Atmosphäre eines griechischen Wochenmarkts. Mandeln, Trockenfrüchte und Oliven hatten eine sehr verlockende Wirkung auf uns und wir machten den Verkäufern verständlich, dass wir an ihrer Ware interessiert waren. Doch Malte konnte sich nicht an die Zahlen im Griechischen erinnert, versuchte schließlich mit Händen und Füßen auszudrücken, welche Menge wir gerne hätten. Am Ende des Marktbummels waren wir eine volle Tasche und Malte den Vorsatz reicher, in Zukunft gewissenhafter die Vokabeln zu lernen. Um an unserer Aussprache zu arbeiten, haben wir uns bereits ein Sherlock-Holmes-Heft aus dem unerforschten und stets mit neuen Schätzen aufwartenden Fundus unseres Bücherregals genommen, aus dem wir uns abwechselnd Absätze vorgelesen haben – ohne dabei jedoch den Sinn derselben zu erfassen, zugegeben.
Mit den Jungs verstehe ich mich inzwischen wirklich sehr gut – besser als mit Bony und Maria. Wir führen Diskussionen über die Bürde der Berufswahl, die Situation in Griechenland und Spanien, die englische Sprache, erzählen uns gegenseitig von Problemen mit der Dunkelheit, Heimweh oder auch schönen Erlebnissen aus unserem Leben, haben interessante Konversationen über Revolutionen, unsere persönliche Ofenverschwöfung oder Vampire. Dabei wird gelegentlich auch mit Knoblauch geworfen…
Vorgestern haben wir Giacomos Geburtstag gefeiert. Es gab für ihn viel Schokolade: Er mag gern Kinderschokolade, deshalb habe ich ihm zwei Tafeln besorgt, die neben einer Schale mit selbstgemachten Schokoladenmandel- und Walnussbergen am Morgen seines Geburtstags als kleine Überraschung auf dem Tisch auf ihn warteten. Abends waren wir bei Dora, wo wir Schokoladenkuchen aßen, mit Doras kleinen Sohn Dimitris Ball spielten, Autos verschwinden ließen und zu seinen Lieblingsliedern aus den 80ern oder auch Macarena tanzten. Der kleine Grieche war am Ende des aufregenden Abends völlig ausgepowert, ging glücklich ins Bett und hatte auch uns einen schönen Abend beschert!
Es sind kleine Freuden, durch die meine Tage in Dadia nicht nur erträglich, sondern bunt, froh und glücklich werden. Ich hoffe, dass mein Bericht eine solche kleine Freude für einige von euch sein wird, dass es euch auch gut geht und ihr in Deutschland eure Adventszeit genießt!
Grüße aus dem heute sehr stürmischen Dadia
Jasmin