Noch einmal Leeds. Noch einmal EVS. II
Für Johannson naht das Ende des Freiwilligendaseins. Nach einem Ausflug ins französisch gefärbte Harrogate trifft er in Leeds zum letzten Mal andere Freiwillige und versucht, sich nach einem Pub-Besuch mit vier Slowaken mit der unausweichlichen Rückkehr abzufinden.
Angekommen: Leben in Leeds
Über den Dingen stehen
Nachdem mir diese kleine Idylle doch noch einigen Glauben an Harrogate ließ, ging ich wieder zurück zum Bahnhof und stieg etwas später in den Zug nach Leeds. Mit meinen Erfahrungen vom letzten Mal und vor allem einem zehnmal leichteren Koffer fand ich meinen Weg nach Chapel Allerton diesmal sehr schnell. Schnell genug, um mit Dana („...hihihi!“) in ihrer Luxusherberge zu Abend zu essen, nachdem sie mich - scheinbar ständig von einem Fenster aus die Straße überwachend - schon an der Tür empfing, bevor ich die Chance hatte, meinen Finger der Klingel auch nur zu nähern.
Auch die Patienten kannten mich noch und schlussfolgerten sofort, dass ich über Nacht bliebe. Da sonst gerade keiner zu Haus war und obwohl ich mich noch ziemlich satt fühlte, habe ich mit Dana in ihrer netten kleinen Wohnung unterm Dach allein gegessen. Denn wann hab ich jemals zu kostenlosem Essen Nein gesagt?
Ich mag ihre Unterkunft wirklich sehr. Die einzelnen Privatzimmer sind zwar recht klein, aber mit der kleinen Plattform der Außentreppe hat man eine Art Balkon, von wo man über Bäume und Häuser nach Leeds sehen kann, oder einfach nur auf den Garten des Heimes. Durch die Tür zur Plattform scheint meist die Sonne und man kann so wunderbar auf der Stufe nach draußen sitzen oder in einem weichen Sessel und hinaus blicken. Mit einem kleinen Tisch zwischen uns, voll mit diesem von mir so lieb gewonnenen Chaos, das nichts weiter als die Spuren von Leben ist. Oh nein, ich bin nicht sentimental. Man kann tatsächlich heraus lesen, was die Leute so machen. Die zwei Tassen, die halb leeren Chipstüten, der volle Aschenbecher, Spuren von Morgen auf Abend zusammen sitzen, frühstücken, reden.
Tak tschoqchi mam powadatsch?!
Mit einem Mal kam auch Dorota lachend durch die Tür. Etwas wirklich Besonderes geschah gar nicht, trotzdem möchte ich solche Besuche nicht missen. Die Gespräche allein, und sei es nur die normale Aktualisierung des Wissens übereinander, sind eine Bereicherung. Abends gingen wir drei zusammen mit Danas Freund (leider auch in seinem Auto...) und einem weiteren slowakischen Pärchen in eine Bowlingbahn mit angeschlossenem billigen Pub.
Trinken mit vier Slowaken, das kann ja heiter werden... Die haben mir auch ein Bier nach dem anderen bestellt und munter Slowakisch geschwatzt. Was nur mich verständnislos zurück ließ, weil diese ganzen slawischen Sprachen scheinbar nur leicht variierende Mundarten sind und Dorota sich ohne Probleme auch einfach auf Polnisch einklinken konnte. Zum Glück bin ich dran gewöhnt, meine Mitmenschen nicht zu verstehen.
Aber irgendwann ist es auch Dorota zuviel geworden und sie hat mich zur ersten von vielen Runden Pool eingeladen. Glücklicherweie ist sie genauso schlecht wie ich - zur sichtbaren Frustration anderer Leute, die auf ihr Spiel warteten, während wir (also vor allem ich) selbst direkt vor dem Loch liegende Kugeln nicht versenken konnten. Ach, das war lustig, mit Dorota kann man sich wunderbar aufziehen.
Die Schrecken der Nacht
Wir beide sind dann allein nach Hause verschwunden, während der Rest Nachtclubs unsicher machen ging (worauf wir nicht so wirklich Lust hatten, weil wir beide hundemüde waren). Obwohl wir nur noch halb in dieser Welt waren, hatten wir noch eines dieser nächtlichen Gespräche, die für mich so zu den Höhepunkten und Vorzügen des Freiwilligendienstes zählen.
Auch wenn es mich geradezu depressiv machte, denn es ging um das Thema Rückkehr. Es war geradezu beängstigend, wie Dorota mir die Worte so gut wie aus dem Mund nahm. Bevor ich etwas sagen konnte, hatte sie schon ausgesprochen was ich denke. Sogar mit exakt denselben Worten, als ob sie meine Gedanken lesen könnte. Und sie sagte, dass sie schreckliche Angst vor einer Rückkehr habe.
Fast wünschte ich, sie hätte mir gezeigt, dass es doch nicht so schlimm ist, dass ich es zu eng sehe. Statt dessen bestätigt sie mir jeden einzelnen Punkt. Wie ihre Freunde weder die Kraft noch ein Verständnis dafür haben, aus ihrem Land fortzuziehen, wie ihre Familie sie drängt zurück zu kommen, wie niemand eine Vorstellung hat, wie frei wir uns fühlen und wie wir selbst in diese Geisteshaltung fallen werden, wenn wir wieder zu Hause sind.
Das Schlimme ist, manchmal habe ich das Gefühl, dass es schon jetzt langsam beginnt. In Leeds wohnen drei Freiwillige. Keine einzige von ihnen geht zurück. Lisa ist ab Freitag zum Studium in Oxford, Dana bleibt in Leeds und Dorota geht Ende August nach Glasgow. Ich gehe nach Templin.
Es ist Wahnsinn, wie es nur noch Wochen, manchmal bloß Tage sind. Waren wir nicht gerade alle noch etwas unsicher zusammen in Manchester auf unserem ersten gemeinsamen Training? Hier sind wir jetzt, machen ohne groß hinzusehen, wovon andere nicht einmal zu träumen wagen. Würden es zumindest gerne machen.
Apropos Training. Ihre Hauptorganisation, Zeit für Gott, veranstaltet ja eigene Kurse, auf die ich ziemlich neidisch bin. Dort wird man auch vernünftig auf den sogenannten „umgekehrten Kulturschock“ vorbereitet. Wir kriegen so etwas nicht.
Der Morgen danach: Überleben ist alles
Der nächste Morgen begann aus unerfindlichen Gründen um neun Uhr. Warum kann mein Biorhythmus nicht an Wochentagen so verlässlich funktionieren? Zumindest hatte ich diesmal keinen Vogel vor dem Fenster. Dafür konnte ich, vermutlich aufgrund des vorigen Abends, kaum meine zitternden Finger unter Kontrolle bringen und war nur froh, als Dorota die ersten zwei von noch vielen kommenden Kaffeetassen zum Balkon balancierte.
Dana sah ich nicht mehr wieder. Nur Lisa kam auf einmal ganz überraschend an, nachdem sie ihre gerade zu Besuch gewesene Familie zurück zum Flughafen gebracht hatte. Ein komischer Tag. Ich konnte mich nicht dazu durchringen, früher zu gehen und noch etwas durch die Stadt zu laufen. Schließlich war das ja mit fast absoluter Sicherheit das letzte Treffen mit Freiwilligen. Auch wenn ich nicht soviel mit ihnen machte.
Lisa musste arbeiten und Dorota war scheinbar in einem ähnlichen Katerzustand wie ich. Die meiste Zeit des Tages habe ich dröge auf dem Balkon sitzend verbracht und ab und zu ein paar Worte mit ihr gewechselt. Ja, das war eigentlich auch schon alles.
Hinaus aus der Stadt
So sang- und klanglos es - ähm... - klingt, irgendwann hab ich dann meine Sachen gepackt und mich auf den Weg aus dem Wochenende gemacht. Mit dem Alkohol der letzten Nacht, zu wenig Schlaf, zitternd und nicht besonders kräftig. Mit all dem Gerede über die Konsequenz des Zurückgehens und diesem verschlafenen Nachmittag verlasse ich das Haus und falle sofort in schlimme Depressionen.
Vom Oberdeck des Busses aus fällt mir wieder auf, wovon mir die Freiwilligen hier schon letztes Mal nicht so ganz glücklich erzählten: die Unmengen Immigranten und ethnischen Minderheiten. Bis ins Stadtzentrum sehe ich so gut wie keinen Weißen. Irgendwo läutet die Kathedrale zu einem Sonntagsgottesdienst.
Mit dem Ende immer näher rückend schweifen meine Gedanken oft wieder zurück zum Anfang. Ich fühle wieder das Besondere von Städten und Plätzen, dass es Ausland ist. Vielleicht sieht es auch nur wieder gleich aus, das Wetter und die Landschaft, wer weiß.
Ein goldener Nachmittag. Ich nehme eine kleinere, langsamere Bahn. Einerseits, weil sie direkt ist, außerdem, weil man mehr sieht. Keine Wolke am Himmel und flache Felder - golden, wo Stroh ist, grün, mit Gras. Ab und zu eine Farm mit gelben Strohballen und viele Flicken grüner Wälder und Feldwege mit Bäumen auf einer oder beiden Seiten. Kaum ein Ort, keine einzige Stadt, abgesehen von denen, wo wir halten.
Steinzeit: Baut die Mauer wieder auf!
Hier auf der Farm haben wir jetzt unseren ersten eigenen Working Holiday. Die arbeiten oben auf Beacon Hill und sollen eine Mauer wieder aufbauen. Oder zumindest damit anfangen. Wie ich ja inzwischen weiß, ist das eine langwierige Angelegenheit, selbst wenn wir Mörtel benutzen können. Letzte Woche hatten wir noch lieferwagenweise Steine aus einem nahen Steinbruch gesammelt und auf den Hügel transportiert. Davon wird wohl kein einziger gebraucht werden und wir können alles wieder umschichten, damit sie den Passanten nicht im Weg liegen.
Das war harte Arbeit, von morgens bis abends in dieser Grube Geröll sammeln. Dafür war es mal eine seltene Gelegenheit, in einem großen Team zu arbeiten, weil wirklich jeder Mann auf der Farm mobilisiert wurde. Außerdem bin ich noch einmal so richtig nett braun geworden, nachdem ich in den langen Pausen unter der Sonne gedöst habe und ab und zu eingeschlafen bin.
Deutsche...
Die Teilnehmer an diesem Urlaub sind nicht besonders brauchbar, aber wie immer eine gute Gelegenheit, sich extrem professionell zu fühlen. Wenn da nicht dieser Deutsche wäre. Langsam werde ich paranoid. Ist in meinem Alter, heißt auch noch Johannes und quatscht mir ein Ohr ab. Absolut keinen Sinn für Humor (ich musste ihm „Zynismus“ erst einmal definieren).
Hätt’ ich bloß nicht gesagt, dass ich Deutscher bin; von der Sekunde an hängt der Bengel mir wie eine Klette im Nacken, rennt mir dauernd quasselnd hinterher, arbeitet nicht, redet nur. Wie ist er soweit gekommen, der kann kaum Englisch? Kein Wunder wenn er nur in seiner Muttersprache spricht und das auch noch pausenlos. Und was für ein albernes Kind. Keiner kann so wirklich glauben, dass er 20 ist. Schickt Ihr mir so etwas als Plage hinterher? Kann ich nicht einmal dieses eine Jahr meine Ruhe haben? Oder soll mir das Mut geben wieder unter solchen Menschen zu leben?
Zumindest war er als einziger aufmerksam genug, das tote Schaf zu bemerken. Ja, eins unserer Lämmer ist spontan gestorben, keiner weiß warum. Auch ist er ein fantastisches Ziel für Witze. Zumindest hebt er den eigenen Selbstrespekt ungemein. Na ja, Wessi... ;-)
Das Letzte
Auf unserem letzten Treffen hat Peter Brabban mir zu meiner großen Überraschung gesagt, dass er am Anfang Angst hatte, ich würde das Projekt abbrechen, so negativ hätte ich gewirkt (nun, ich vermute ich war damals ziemlich frustriert.). Nichts, absolut nichts lag jeden einzelnen Tag ferner von meinen Gedanken. Vielmehr gebe ich mich ab und zu der Unmöglichkeit hin, am Ende einfach in ein anderes Flugzeug zu steigen und irgendwo anders hinzugehen. Schließlich, was hält mich? Ein festes Einkommen und zwei Polizisten.
Am nächsten Wochenende steht meine vorletzte Reise auf dem Plan und ich freue mich bereits sehr auf Glasgow, nachdem mir vor allem Dorota begeisternde Berichte geliefert hat.
Für Dienstag und Mittwoch danach ist noch kurzfristig ein erfreulicher (letzter?!?) Ausflug nach Edinburgh vor mir aufgetaucht. Hanni hat mich gefragt, ob ich sie auf einem weiteren Ausflug zum Generalkonsulat begleite und ich lasse mich natürlich nicht lumpen.
Leider, leider habe ich nur Betten in einer Jugendherberge buchen können. Sowohl Claudia und Jenny als auch meine Cafébegleitung Elise haben bereits Besuch eingeplant, was mich ziemlich traurig stimmte. Ich hätte sie so gern noch einmal gesehen. Aber mit den Freiwilligen ist es nun wohl vorbei. Das war das letzte Mal.