Nach Hause, nach Torun
"Die Sonne steht wieder auf der anderen Seite, spiegelt über das Wasser hinüber, und ich weiß wieder wo mein Herz schlägt in Polen." Johannson kehrt seit zwei Jahren in die Stadt zurück, die er damals verlassen musste...
Torun, Torun, ich war wieder in Torun! Torun, mein Torun, ich kann Dir auch heute nicht widerstehen. Ein Blick auf die weite Weichsel und ich weiß wo mein Herz in Polen schlägt.
Eingeladen war ich schon seit zwei Monaten, auf das "Kartoffelfest". Das war mir bisher nur aus den damals übersetzten Jahresberichten bekannt, dazu Andeutungen von wegen Samstag auf dem Land und Feier mit den Einheimischen. Und weil Dorffeste genau sind was ich liebe, habe ich mir Freitag frei genommen, um nach Abschluss der Hausarbeit das erste und letzte Mal wieder aus Wroclaw wegzufahren.
Rückkehr in der Rückkehr
Das erste Mal seit zwei Jahren wieder ein Wochenendausflug, in die Stadt die ich damals verlassen musste. Dabei beschloss ich meine neu gewonnene Mobilität in Fahrradform mitzunehmen, was die Verkäuferin auf dem Bahnhof fast vor ihrer Maschine kapitulieren ließ.
Im Zug schlief ich fast nur, ob oder weil ich trotz Sprachschulparty nachts zuvor mal früh im Bett war, bleibt die Frage. In Poznan hatte ich eine knappe Stunde Wartezeit. Da zahlte sich das Rad aus, denn so war ich in zehn Minuten im Zentrum, diese Flexibilität ist einfach wundervoll.
Vor fast drei Jahren war ich hier das letzte Mal, auf der zweiten Reise nach Polen überhaupt. Poznan, kleiner und nicht so schön wie ich es in Erinnerung hatte, den Kastenbau auf dem Markt hatte ich ganz vergessen. Ein Stück Kuchen und eine Flasche Wasser, dann zurück und in den verdammt vollen Zug nach Torun.
Der Wiedererkennungseffekt
Gewiss, es ist nicht die erste Rückkehr, und doch werde ich immer wacher, als wir durch die Kiefernwälder vor der Stadt rollen. Inowroclaw zieht klein und hässlich vorbei und ich weiß genau wieviele Minuten es noch sind. Kurz vor der Ankunft fragt ein Mann mit Sonnenbrille und Tarnanzug ob jetzt Torun kommt.
Ich bin selbst nicht sicher, doch dann sehe ich die blauen Stahlbögen der Pilsudski Brücke durch die Baumwipfel auftauchen und höre mich selbst rufen "Tak tak tak, to Torun!".
Alles super, alles echt
Ich steige aus und mache wieder den gleichen Fehler wie beim ersten Mal, denke Mensch, das ist schon provinziell, bis ich mit dem Rad zum Fluss komme und weiß wo mein Herz in Polen schlägt. Nach zwei Jahre und zwei Wochen fahre ich wieder über die Wisla, durch die Altstadt, zum Büro, zu meiner...zu Ewas Wohnung.
Alles noch wie früher. Nur etwas schöner. Hier und da ein neues Schild, ein paar neue Radwege. Hunger, eine Schlange unter den Arkaden, am Laden mit den besten Waffeln und Baguettes der Stadt. Die Stadt ist voll mit Leuten, die Litfasssäulen platzen vor Festivals und Konzerten. Wieder der Gedanke: man hat die Vergangenheit nie so glorifiziert, die Magdeburger Gegenwart nie so unnötig verdammt, wie man es am Ende dachte. Schritt für Schritt und man wacht nicht auf.
Leben aufs Land
Zu Hause der Beweis: die Noch-Praktikantin in meinem (!) Zimmer erzählt ihr Freund arbeite jetzt in Magdeburg, und gemeinsam bestätigen wir uns was für ein Verbrechen diese Stadt tatsächlich ist. Dann klingelt es, und in der Tür steht Ewa. Alles noch wie früher. Nur besser. Die Haare ein bisschen länger, und endlich, endlich sprechen wir auf Polnisch. Sie bringt Nachricht, von Torun selbst werde ich nicht viel sehen, denn schon heute, schon jetzt bringt uns ein Bus aufs Land.
Der Plan: in Ostrowite steht eine alte, deutsche, protestantische Kirche. Erst genutzt als Lager, dann Disco und seit 30 Jahren gar nicht mehr, will Ewa sie aufmöbeln und ein Kulturzentrum draus machen. Seit einiger Zeit hat sie eine dritte Stelle in der Gemeindeverwaltung und dort mit ihrem Engagement sowie Wissen über EU Fonds scheinbar den Rest mitgerissen.
Sachen von früher: schlecht
Wir sind inzwischen ca. 20 Leute und im örtlichen Kindergarten untergebracht. Viele bekannte und freundliche Gesichter sind darunter, und doch deutet sich schon an, was am Samstag zum Ausbruch kommen wird: ich sitze beim Abendbrot und will mit allem eigentlich nichts zu tun haben. Die Gespräche interessieren mich nicht, nerven sogar, und ich weiß nicht warum. Die Leute können es kaum sein, geschlafen habe ich auch genug, vielleicht nur eine Phase?
Vor der Dunkelheit besichtigen wir noch die Kirche, auf dem Gelände einer Grundschule gelegen. Überall springen Kinder herum, was meine Laune nicht sehr viel steigert. Der Bolzplatz, die Weitsprunganlage mit der überwachsenen Laufbahn; man fühlt sich wie zurück in einer Zeit von der man immer froh war, sie hinter sich zu haben. Dazwischen liegt immerhin ein alter deutscher Friedhof, oder mehr zwei schmale Reihen leerer Sockel, wo eine Choleraepidemie zu vielen sehr kleinen Gräbern geführt hat.
Sachen von früher: sehr schön
Der nächste Morgen zeigt: nicht nur eine Phase. Das Frühstück kann nicht schnell genug vergehen, der Abwasch bringt wenigstens etwas zu tun. Einen Spaten über der Schulter stehe ich später ungeduldig vor der Kirche, will endlich etwas machen, denn Soziales ist mir auf einmal unmöglich. Die alte Tür klemmt, aber nachdem die Scharniere überwunden sind wird die Welt urplötzlich schön. Wir rücken Schutthaufen zu Leibe, Säcke werden auf Schubkarren oder Rücken zu einem Container geschafft, vor dem Gebäude gehe ich jungen Bäumen mit der Axt ans Leder. Genau was ich brauche.
Werkzeug und Handschuhe spenden in Minuten beinahe Euphorie, endlich etwas zu tun, nach Wochen im Büro endlich richtige Arbeit, dazu eine wie DAMALS, noch vor Torun, noch vor Polnisch. Meine Motivation kennt keine Grenzen, meine Kraft ebenso, hinge noch ein Christus in der Kirche er könnte nicht soviel Last auf sich nehmen wie ich auf meinen Rücken.
Gesicht und Klamotten in kürzester Zeit stolz verdreckt. Dann komme ich von einer Tour zum Container hinter der Kirche zurück um die Ecke zum Haupteingang, und da steht Miss Hochprozentig höchstpersönlich: Beata ist zurück aus Tschechien. Rucksack, Haare etwas länger, der Blick genau derselbe.
Hier ein Zeitungsartikel mit Foto zu unserer Arbeit... (die Übersetzung des Artikels gibt es hier)
Gurken & Kartoffeln
Irgendwann ist aller Müll raus, neben dem vollen Container stehen zusätzlich 50 volle Säcke. Ich bleibe bis zum Schluss, kein Hunger, keine Erschöpfung. Danach die Werkzeuge nach Haus und bei Anwohnern duschen. Eine halbe Stunde besetze ich das Bad, komme als letzter zurück in den Kindergarten und bin eigentlich ganz froh allein zu essen.
Das eigentliche Kartoffelfest, wir tragen Essen und Getränke auf Kirchplatz. So plötzlich mich die Arbeit aufgerichtet hat, so schnell falle ich jetzt wieder zusammen; die Stimmung hält nicht, ich weiß nicht warum. Einige machen Spiele mit den kleinen Kindern, vor dem Tor lungern die Jugendlichen, neugierig das was passiert, aber zu sehr aufs Sozialprestige bedacht um mitzumachen.
Doch auch ich habe Probleme, Reden und Danksagungen hatte ich gerade auf dem Oktoberfest genug. Nur zwei Sachen gefallen mir, einmal darf ich für die neue Freiwillige übersetzen (wobei aus "sauren" plötzlich "zerstörte Gurken" werden), und dann wird gesungen, hurra.
Zu spät
Trotz Arbeit und Feierei habe ich lange nicht mehr so lang, fest und zu den richtigen Zeiten geschlafen. Am Sonntag fahren wir zurück nach Torun, ich werde an der alten Wohnung abgesetzt. Wunder oh Wunder, mit nur noch einer alten und einer neuen Freiwillige werde ich wieder munter, gewinne in Sekunden rhetorische Schlagkraft zurück, schieße die provozierenden Finten das ich selber staune. Und ohne Beata kein Sparingpartner. Wir zwei alten ärgern die vor neun Monaten Torun stehende, neue Freiwillige, dass sie für die beste Zeit in Polen schon zu spät käme, als es noch billig war.
Torunski Sen
Meine Mitveteranin fährt gleich auf ihr Auslandssemester nach Lublin und ich will die letzte Zeit endlich noch mal die Stadt sehen. Einfach toll, alles noch genau da wo ich es verlassen hatte, ein paar schöne neue Sachen dazu. Nach zwei Jahren finde ich noch ein winziges Heft über Torun wieder, mein Lieblingsstadtführer, lasse es verpacken und für die neue Freiwillige im Büro.
Die Seitenstraßen zur Weichsel sind neu gepflastert, perfekt fürs Fahrrad. Ein Stück Kuchen in der Hand fahre ich zur Promenade am Fluss. Es ist etwas kühler als damals im August, ja, aber die Treppen hinunter zum Wasser sind voll mit Pärchen und lesenden Studenten wie in den besten Tagen.
Die Sonne steht wieder auf der anderen Seite, spiegelt über das Wasser hinüber, und ich weiß wieder wo mein Herz schlägt in Polen.
Auch wieder oben auf dem Marktplatz kommt man vor Menschen kaum voran. Jeder gotische Backstein hält einen fest, an jeder Ecke hat man etwas Besonderes gemacht. Und jede Erinnerung blitzt und glitzert so nah von den Häusern, von den Straßen, dass man glaubt, noch ein Schritt weiter und man ist wieder zurück.
Einmal mehr über die Brücke zum Bahnhof, auf den Zug in die falsche Richtung warten. Diesmal geht es gar nicht zurück, nur in eine genauso schöne Stadt. Und doch bedauert man es, als die blauen Brückenträger wieder in Bäume zurück gleiten.