MOLDAWIEN- SCHWELLENLAND EUROPAS?!
Identifikationsprobleme, Abwanderung und Überschwemmung durch importierte Ware. Christeline zeigt ihre Eindrücke von Moldawien und wirft dabei einige Fragen auf.
Wenn man das erste Mal nach Chisinau kommt bemerkt man mehr oder weniger auf den ersten Blick, dass die Zeit hier etwas stehengeblieben zu sein scheint. Das bei uns zulande unbekannte, kaum wahrgenommene, kleine Land ist versteckt zwischen den beiden flächenmassig stark überlegenen europäischen Größen Rumänien und Ukraine, wird gar von ihnen eingekesselt.
Wenn man sich näher mit den MoldawierInnen unterhält, merkt man, dass es auch innerhalb des Landes nicht nur die zuerst offensichtlichen Probleme wie schlechte Straßen oder unsanierte Plattenbauten gibt, sondern dass sich eine Art Graben durch die gesamte Gesellschaft zieht. Blickt man einmal auf die geografische Lage des „Unbekannten“, liegt es genau auf der Schwelle zwischen dem EU-Staat Rumänien und dem ehemaligen SU-Staat Ukraine. Die geografische Lage Moldawiens sagt mehr aus, als man sich denken mag, denn genau wie die „geografische-Schwelle“ ist auch die Orientierung der Bewohner gespalten. Moldawiens Gesellschaft führt einen wahrhaften „Orientierungskampf“. So ist die Gesellschaft aufgeteilt in diejenigen, die sich eindeutig nach Westen (EU) orientieren und meistens auch einen zweiten Rumänischen Pass besitzen oder andersherum der Teil der Gesellschaft, der immer noch den Sowjetzeiten hinterhertrauert und deshalb mehr dem Riesen Russland im Osten verbunden ist.
Genau diese Splitterung lässt sich auch an den jeweiligen Muttersprachen festlegen. Die offizielle Landessprache ist Moldawisch (Rumänisch mit Akzent), wobei fast alle Leute, selbst Kinder nebenher fließend Russisch sprechen, einige sogar ausschliesslich, ohne die offizielle Landessprache zu beherrschen. Es scheint also eine Art Ignoranz derjenigen zu geben, die sich noch mehr dem Osten zugehörig fühlen und nicht die Notwendigkeit verspüren überhaupt die eigentliche Nationalsprache zu erlernen. Untereinander herrscht ein Krieg der Orientierung, die Leute machen sich gegenseitig lustig über verschiedene Zugehörigkeitsgefühle, die Sprache oder den Akzent –selbst den der Lehrer oder Uni-Dozenten- und akzeptieren die verschiedenen Ansichten kaum.
Ein weiterer Aspekt, der Moldawien als Schwellenland Europas kennzeichnet, ist das Bruttoinlandsprodukt des Landes, sowie die Löhne, welchen die Menschen hierzulande verdienen.
Das BIP ist geringer als die Gelder die von außen in das Land geschickt werden. Moldawien hat im Gegensatz zu den Industriestaaten in Europa kaum Industrie aufzuweisen. Selbst im noch nicht autonomen Transnistrien ist die Industrie mitlerweile fast zum erliegen gekommen. Es sind kaum noch funktionsfähige Fabriken im Land zu finden. Mindestens 2 Millionen Moldawier sind im letzten Jahrzehnt emigriert und leben verstreut über den Kontinent. Viele Kinder wachsen bei ihren Großeltern oder nur mit einem Elternteil auf, da diese sich hauptsächlich im Ausland aufhalten, um das Geld für den Familienunterhalt zu verdienen, da eine Familie anders kaum ernährt werden kann. Bei einem guten Monatslohn von 300 Euro fragt man sich, wie es Familien schaffen, eine Wohnung, Heiz-und Wasserkosten sowie alle sonstigen Nebenkosten zu bestreiten. Diese Frage ist unheimlich schwer zu beantworten, da jeder Moldawier seine ganz eigene Methode hat, jeden Monat durchzukommen. Auf Fragen diesbezüglich schweigen und lächeln die meisten. Auch Korruption und Geldwäsche spielen keine geringe Rolle beim Ursprung des gesellschaftlichen Grabes.
Das Geld, welches ins Land hineinfließt oder doch irgendwie über die wenig vorhandene Industrie erwirtschaftet wird, ist jedenfalls nicht sichtbar investiert. So sind die Straßen von Schnee zerfressen und die Häuser erinnern immer noch an die Sowjetzeiten! Es gibt kaum internationale Investoren in Moldawien. Doch scheint hier ein langsamer Wandel in Gang zu kommen. Es werden zunehmend Geldgeber im Land verankert: Die Restaurant-Ketten Andy´s Pizza und La Placinta bieten Fastfood sowie einheimische Küche an und sind in der Hauptstadt Chisinau zahlreich vertreten. Diese Investitionen bieten Arbeitsplätze und zusätzlich baut es ein Image auf, um weningstens in einer Hinsicht „mithalten“ zu können. Im Übrigen gerade übernommen von einem Amerikaner!
Moldawien hat sich zu einer Art Insel in Europa entwickelt. Durch fehlenden Patriotismus, Sprachkonflikte und dem Hinterhertrauern der Sowjetzeiten hat es sich zu einem Staat entwickelt, der seit seiner Gründung vor über 20 Jahren nicht richtig Fuß fassen kann. Gründe dafür sind natürlich nicht nur die fehlende Heimatliebe, sondern auch massive infrastrukturelle Probleme. Daher lebt das Land im Moment von seiner Emigration. Fast die gesamte Mittelschicht lebt im Ausland, die Kluft zwischen Arm&Reich und die Abwanderungsrate vergrößert sich jährlich. Somit sehen soviele junge MoldawierInnen ihre eigene Zukunft so häufig in einem anderen Land, von dem sie annehmen, dass sie dort ausreichend verdienen um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu koennen; die Arbeitsmigration ist also nicht überraschend, sondern aus der Not heraus geboren. Da viele Produkte aus dem Ausland importiert werden haben diese auch höhere Kosten als Produkte, die im eigenen Land hergestellt werden. Von diesen gibt es aber leider viel zu wenig. Es bleibt also die Frage, warum wird daran nichts geändert?
Warum werden nicht mehr lokale Strukturen aufgebaut, um die Kosten zu minimieren und die Bevölkerung im Land zu halten? Könnten nicht auch mehr Sachen produziert oder auf dem hier sehr fruchtbaren Boden angebaut werden, die dann exportiert werden können? Bis auf den moldawischen Wein bleibt diese Frage zunaechst unbeantwortet.
Trotz des fehlenden Geldes versucht die Hauptstadt Chisinau wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Hauptstraße, die ungefähr 4 Kilometer durch die Stadt führt, ist komplett saniert und es lassen sich hübsche Cafes und Restaurants finden. Eine gerade etnstandene moderne Mall, ebenfalls im Stadtzentrum, soll die Stadt attraktiver machen und die vielen Parkanlagen und Grünflächen verstreut über die ganze Stadt, laden zu einigen erholsamen Stunden ein. Auch Waelder gibt es viele, allerdings noch haeufig ohne durchfuehrende Wege oder mit Klueften und Graben versehen.
Auch das Nahverkehrssystem in Chisinau ist gewöhnungsbedürftig, aber es funktioniert recht gut. Es gibt sogenannte „Maxi-Taxis“ (Mercedes-Sprinter) die quer durch die Stadt fahren und jeden einladen, der als Zeichen zur Mitfahrt den Arm ausstreckt. Man bezahlt, wenn man bereits im Bus platz (zu Rush-Hour-Zeiten auch Stand) genommen hat und reicht das Geld durch bis zum Fahrer. Es gibt außerdem ein Bus-Netz, welches recht organisiert ist. Für umgerechnet 20 Cent kann man einmal quer durch die Stadt fahren. Des Weiteren gibt es unheimlich viele Supermärkte und kleine Kiosk-Buden im Raum Chisinau; diese machen allerdings manchmal den Eindruck als wären sie durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entstanden und nicht durch die Notwendigkeit ihres Daseins: es gibt sie wie Sand am Meer, wer jedoch die ganze importiere Ware von seinen niedrigen Löhnen kaufen soll, bleibt mir bis heute schleierhaft. Dieses scheint ein Privileg zu sein, welches den Superreichen vorbehalten bleibt. Der andere Teil spart für Dinge wie Kleidung weit im Voraus. Wird etwas Neues zum Anziehen benötigt, muss entweder auf Essen verzichtet werden oder auf „Leben“. Restaurant-Besuche oder Café-Gänge, können sich die meisten nur schwer leisten oder verzichten dafür auf andere Sachen.
Da auch Chisinau kaum Fabriken vorzuweisen hat, bis auf ein Bonbon-und Brotwerk, ist der Großteil der Waren, ja selbst der Strom, importiert aus EU-Ländern oder der Ukraine und Russland. Dementsprechend sind die Preise für Lebensmittel- vor allem im Vergleich für Deutsche-deutlich erkennbar. Neben den importierten Lebensmitteln im Supermarkt (Gut&Günstig oder „Ja“-Produkte), lassen sich jedoch auch günstigere Produkte auf den riesigen Stadtmärkten finden, die neben Obst und Gemüse auch Kleidung, Haushaltswahren und Elektrozubehör verkaufen. Anders als man es aus vielen touristischen Ländern kennt, habe ich hier nicht das Gefühl, als wuerden die Standbesitzer versuchen, Fremde übers Ohr zu hauen.
Auch wenn ich das Gefühl habe, dass Moldawien ein verwundetes Land ist, was nicht nur verarztet werden, sondern erkennen muss, wie man gesund bleibt, begegnet einem hier als Fremden viel Offenheit und Neugier, Hilfsbereitschaft und Ehrlichkeit. Diese mannigfaltigen Eindrücke haben mich zu der Erkenntnis gebracht, dass ich mich in einem wirklich schönen Land befinde, was –selbst von seinen Bewohnern- viel zu wenig gewürdigt wird. Daraus resultierend sehe ich eine schwierige Zukunft für das Land; es schreit nach Verbesserung der Sozialstruktur, nur leider nicht laut genug, so scheint es jedenfalls, weil seine Bewohner sich meiner Meinung nach nicht genug mit dem Land identifizieren, es gar aufgeben und es verlassen. Es scheint, als sei vieles im Bewusstsein noch nicht so angekommen zu sein, wie unsereins es gewohnt es, dafür aber noch vieles verankert ist, was anderswo so häufig schon wieder vergessen ist. Doch nichtsdestotrotz glaube ich daran, dass sich das Land stetigen Fußes zur Türschwelle hineinbewegt.
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