Mobil & Sozial
Zuerst eine Fahrraddemo in Warschau, dann geht es nach Lodz, um einer Bekannten die Stadt zu zeigen. Nur gut, dass es bei Sonnenschein noch leichter ist, die Vorzüge der Stadt zu sehen.
Masa Krytyczna
Letzten Freitag war ich endlich mal auf der Warschauer Kritischen Masse, also der Fahrraddemo. Hier sind schon zwei, drei Räder mehr dabei als in Lodz, wie mich Felix’ laufende Berichterstattung von dort schlussfolgern ließ. An einem wunderschönen warmen Sommerabend wurden die Straßen im Zentrum für uns gesperrt und wir sind eine Riesenrunde gefahren.
Warschau
Das aufgrund des Verfassungsfeiertages am 3. Mai lange Wochenende war Besuchszeit. Samstag kam Kasia, die ich mit ihren Freunden in einem Restaurant traf. Sonntags gab sie mir als angehende Stadtführerin endlich eine lang erwartete Tour von der Neuen Welt bis in die Neustadt. Es war gerade "Der Tag der Nationalflagge", weshalb vor dem Schloss mal wieder die Armee rummarschierte. Einige Straßen weiter drehte das Fernsehen die Serie "Zeit der Ehre" und ließ SS Männer Menschen jagen. Kasia ließ es sich nicht nehmen, sich mit diesem freundlich lächelnden Vertreter zu fotografieren.
Später traf ich meine seit jenen Zeiten nicht mehr gesehene letzte Tandempartnerin aus Madgeburg, Iza aus Tschentochau. Die war mit diversen Freunden im Zoo und man nahm mich später in einen kleinen Ort östlich von Warschau, wo sie für das lange Wochenende blieben. Das ergab einen unerwarteten Zusatztag auf dem Land, an einem sehr schönen See und mit Grill später.
Lodz
Am Samstag eine Woche später war dann ich wieder in Lodz. War wieder keiner da, weil die ganzen polnischen Loserstudenten zu Muttis Herd fahren sobald man ihnen fünf Minuten freie Zeit gibt. Machte aber nichts, denn ich fuhr ohnehin mit Malgosia hin, die ich auf dem Weg nach Zelazowa Wola getroffen hatte und Lodz sehen wollte.
Sie war ohnehin sehr aufgeschlossen und da nach einer schrecklichen Regenwoche endlich die Sonne rauskam, fiel es nicht schwer, die Vorzüge der Stadt herauszukehren. Erst mussten wir unseren Weg in einem immensen Park suchen, was erstens Lodz's Ruf als graue Stadt korrigierte (als wenn die in der Hinsicht über irgendwen meckern dürften...) und auch mir einen willkommenen Tag im Grünen verschaffte. Wir gingen in einen zweitklassigen Freizeitpark, mit größtenteils aus München importierten Zweit- und Dritthandmaschinen, Popmusikpostern aus den frühen Neunzigern, Ticketverkäufer im klassischen Jahrmarktaussehen und Achterbahnenwagen ohne Fahrgastsicherung.
Als Malgosias Magen dann irgendwann vor dem Kollaps stand gingen wir ins Zentrum etwas essen, wo ich mit der sonnigen Piotrkowska, ihren Villafassaden, Großgraffities, Biergärten und Restaurants in ruhigen Hinterhöfen alle Überzeugungstrümpfe in der Hand hielt. Sogar ich selbst habe einen neuen Hinterhof mit Galerie und zwei Cafés entdeckt.
Malgosia fuhr nachmittags wieder zurück, ich aber hatte mich wieder bei Kasia zur Übernachtung angemeldet. In der freien Zeit davor fuhr endlich mal ins östliche Viertel Widzew, nur um zu sehen, dass ich schon da gewesen war, und dann auf den sonnigen Marktplatz der Manufaktura mit Installationen von zwei aktuell laufenden Festivals. Mit Kasia kehre ich einige Stunden später dahin zurück, in die Disco, in der ich vor vielen Monaten schon einmal mit ihr und ihrer ukrainischen Freundin gewesen war. Nur das sie diesmal voll war mit Leuten die alles daran setzten zu beweisen, dass auch Polen das Zeug für ungehemmt schlechten Geschmack in Mode und Musik haben.
Auf dem Rückweg haben wir uns über die Langeweile polnischer Männer und die Langeweile des durchschnittlichen polnischen Paares unterhalten.
Das Wetter hielt sich auch am Sonntag gut, aber da ich erst um 14 Uhr aufwachte war mein Plan, vielleicht noch den Tag nach Torun zu fahren, schon gestorben. Stattdessen sahen wir die schwarze Komödie "Die Leiche" und hörten das Jacek Kachmareks altes Lied "Mauern", was ich mir mal erlaube zu verlinken: http://www.youtube.com/watch?v=rZFfqSxv51I
Arbeit
Auf der Arbeit sehe ich einmal mehr, wie schnell ich mich für fast jedes Thema begeistern kann und lerne Jura richtig mögen. Wie soll man da bitteschön einen Beruf auswählen?!
Schock: eine litauische Praktikantin kann sich vor Arbeit kaum retten. Ich lerne weiterhin Lektionen inArbeitseigenbeschaffungsmaßnahmen und bin darin sogar halbwegs erfolgreich. Ich hatte ein weiteres Treffen im Analysebüro, diesmal mit der lang erwarteten Wirtschaftsabteilung. Mein Bekannter in der Verfassungsrechtsabteilung hat mir neue Urteile zum Übersetzen gegeben. Dazu lese ich die Richtlinien des Legislationsbüros (die kümmern sich darum, dass die Abgeordneten ihre Gesetzesvorlagen formal richtig schreiben) in Vorbereitung auf einen Besuch dort. So rückt das Praktikumsziel früh-ins-Bett-früh-wieder-raus näher. Und manchmal bereue ich das wirklich.
Ich arbeite ja gegenüber der Deutschen Botschaft. Und frage mich gerade, wozu diese Leute hier sind. Wenn man dort weder Urkunden beglaubigen noch seinen Personalausweis erneuern kann und den Reisepass nur gegen absurde Preise, man also für Verwaltungsangelegenheiten so und so nach Deutschland zurück muss, wofür bezahlen wir dann für Vertretungen im Ausland? Die können doch nicht nur dafür da sein, auf Oktoberfesten schöne Reden zu halten und das gratis Buffets zu plündern.