Mit Fliegenden Fahnen
Johannsons Aufenthalt in Polen neigt sich dem Ende zu. Bald heißt es Abschied nehmen. Johannson ist sehr traurig und genießt die letzten Tage in Torun.
Der Abschied beginnt am Mittwochabend. Mit meiner Abschiedsfeier. Fast die gesamte Truppe erscheint. Tische werden gerückt und Stühle gesammelt, um im Wohnzimmer eine Tafel zu errichten. Michal, unser nebenberuflicher Meisterkoch, zaubert in der Küche. Während viele Menschen durch die Wohnung wuseln, bleibt mir weniger mehr zu tun, als den Spätsommer der Stadt zu Papier zu bringen. Ich komme mir undankbar vor. So viel Mühe für mich und ich sitze nur am Rand und kann nicht einmal lächeln. Und natürlich wird noch auf mich getrunken und natürlich geben sie mir noch Geschenke und ich stehe da und kriege nicht mehr zusammen als ein „Vielen Dank“. Später zeigen die reisenfreudigen Motykaner noch Bilder aus Portugal und Weißrussland, aus letzterem wurde auch Wodka mitgebracht, das hilft.
Durch dick und dünn
Wir feiern schon Mittwoch, weil Ewa am nächsten Tag wegfährt. Donnerstag ist komisch. Ich bin fast allein im Büro und habe eigentlich keine Arbeit. Ich beende, pünktlich zum letzten Tag, die Übersetzung der Webseite, danach sitze ich hilflos rum. Zwar erlaubt mir diese Atmosphäre, mit einem einzigartigen Zugang zu meinen Erinnerungen über die Rückkehr aus England zu schreiben, doch ist es auch fast mehr als ich ertragen kann. Ewa Glodowska lädt mich ein, sie doch heute Abend zu besuchen, noch ihre Wohnung zu sehen bevor ich weg bin. Ich brauche noch Schuhe und die Tickets, darum gehe ich um vier aus dem Büro, zum letzten Mal, das ist mir bei jedem Schritt bewusst.
Die Sonne taut mich auf und ich habe etwas zu tun. Ich kaufe Fahrkarten für einen Zug, morgens um halb sieben. Nach langem Suchen finde ich endlich ein Paar Schuhe und durch Zufall gleich daneben das große, rote Polska-Shirt, nach dem ich so lange erfolglos gefahndet habe. Die Beute nach Hause geschafft, geht es in der neuen Montur gleich zurück. Ein bisschen Zeit habe ich noch, da setze ich mich ins Stary Mlyn. Das Licht und die Wärme stabilisieren meine Stimmung auf ungewohnt hohem Niveau. Ich sitze draußen unter einem Schirm und schreie die Kinder an, deren Fußball knapp unterhalb meines Eiskaffees, gegen den Tisch kracht. Das macht soviel Spaß, dass ich meinen Besuch bei Ewa verschiebe und noch etwas länger bleibe, um auch dem Met einen Versuch zu geben.
Help from my friends
Mit einsetzender Dämmerung wird es Zeit ans Ende der Mickiewicza zu fahren. In Ewas hübscher Dachwohnung kriege ich meine letzte Mahlzeit, Tee und Suppe zum Abendessen. Alicja, auch sie halb Motykanerin, frischer Magister sowie Freundin Beatas, schaut ebenfalls vorbei und wir unterhalten uns ausgelassen über unsere gemeinsame Bekannte in Tschechien. Später geht sie auch wieder und ich rede noch lange mit Ewa, bis um elf wie ich später feststelle, als ihr Mann dann langsam schlafen gehen will. Ein weiterer Abschied. Der Letzte. Dann gehe ich. Draußen fährt keine Straßenbahn mehr, darum muss ich zu Fuß zurück ins Zentrum, mit einem Abstecher in den dunklen, verlassenen Stadtpark, entlang des geschlossenen Zoos. Ich bin müde, halte aber an meinem Plan fest noch einmal ins Pilon vorzustoßen, der Erinnerungen wegen, und weil es vielleicht der beste Ort ist sein Gehirn schnell und dauerhaft kalt zu stellen.
Bis zum Letzten
Doch das Pilon ist schon zu, die schweren Stahltüren geschlossen, auch wenn ich dahinter Stimmen höre. Wie ein ruheloser Geist irre ich weiter durch die Nacht, hinauf zum Desperados. Meine intensive Ausbildung zahlt sich aus. Kaum bin ich drin, werde ich schon von der Barkeeperin angesprochen: „Hey Johannes wie geht’s dir?...Oh, na dann trink erst mal was.“ Ich kenne sie inzwischen, Anja, eine alte Bekannte Beatas, die bei sämtlichen großen Nächten hinter der Theke stand. Sie hat heute eine Gruppe Freunde da, zu denen ich mich setze. Auch Anjas Freund ist da‚ DJ ‚Dread’, mit seinen dicken Dreadlocks, Bart und intellektueller Brille. Er legt all die Platten auf, die ich mir gerade gekauft hab und Beatas langer Liste polnischer Musik noch etwas Reggae hinzufügt. Noch einmal feiere und tanze ich zu seinen Platten. Feiere und tanze durch die ganze Nacht, bis lange nachdem die letzten Gäste gegangen sind; bis sie um fünf zumachen müssen. Im ersten schwachen Licht, zwischen den Kehrmaschinen der Straßenreiniger, laufe ich nach Hause. Für die Stadt bricht ein neuer Morgen an, für mich geht es endgültig zu Ende. Ich nehme meine gepackten Sachen, schließe die leere Wohnung ab, werfe den Schlüssel in Motykas Briefkasten und trete die Fahrt zum Bahnhof an.