Meine Meinung zum EVS
Bersen ist seit sieben Monaten Europäische Freiwillige in England. Sie bereut diese Entscheidung absolut nicht, doch hat sie auch ein paar kritische Anmerkungen, die Gehör finden sollten.
Durch einen Bekannten bin ich in der freien Wissensenzyklopädie „Wikipedia“ auf einen Artikel über den Europäischen Freiwlligendienst gestoßen.
Zusammengefasst sagt der Artikel, dass der eigentliche Gedanke des EVS, nämlich benachteiligten Jugendlichen die Chance zum kulturellen Austausch zu bieten, fehlschlägt, da die Informationen über den EVS meist nur wohlhabenderen zur Verfügung stehen und dass die Freiwilligen nur einfach nebensächliche Aufgaben zugeteilt bekommen und deswegen der EVS nicht viel mehr als eine lange Party ist.
Ich denke, es ist nicht verkehrt, wenn ich mich als Freiwillige mal zu dem Artikel aber vor allem auch zum EVS äußere. Dabei sei aber gesagt, dass es nur meine Sicht der Dinge beziehungsweise meine Erfahrung ist und sich sicher nicht auf alle Projekte, Organisationen und Freiwillige überträgen lässt.
Nach fast sieben Monaten Freiwilligendienst in England und drei Seminaren (eins in Deutschland und zwei in England) muss ich dem Artikel in Teilen zustimmen. Der Weg zum EVS ist kein leichter. Die Informationen beschränken sich eigentlich ausschließlich auf das Internet und das auch nur durch recht gezieltes suchen. Man muss also praktisch vorher schon wissen, was man sucht. Auch das eigentliche Bewerbungsverfahren ist nicht ganz ohne. Die Projektbeschreibungen sind in Englisch verfasst und erwartet wird eine englische Bewerbung, was einen gewissen Bildungsgrad voraussetzt. Auch um eine neue Sprache zu erlernen, setzt das eine gewisse Grundlage, die in sehr vielen Fällen die englische Sprache ist, voraus.
Eine Zusage zu bekommen ist nichts Selbstverständliches. 20 und mehr (individuelle!) Bewerbungen sind keine Seltenheit. Es ist nicht ganz einfach, das neben dem Abi- oder Unistress einfach so „aus dem Ärmel zu schütteln“. Um da nicht „die Flinte ins Korn zu werfen“ braucht man einen starken Willen, Geduld und vor allem Flexibilität. Denn es kommt mit Sicherheit anders, als man es sich denkt. Es ist nicht ratsam, sich auf ein bestimmtes Land, eine bestimmte Region oder ein bestimmtes Themengebiet zu beschränken. Es ist ohnehin ratsam, sich auf nichts zu versteifen, denn auf eine Stelle kommen viele Bewerber.
Absagen oder überhaupt keine Antwort gehören leider dazu. Daher finde ich, dass schon das Bewerbungsverfahren ein „natürlicher Filter“ zwischen denen ist, die es wirklich ernst meinen und denen, für die es einfach eine „fixe“ Idee ist. Vor allem sollte man versuchen, sich darüber im Klaren zu sein, warum man das machen möchte und was die Konsequenzen sind.
Hier ist für mich zum Beispiel ein Punkt, an dem der EVS leicht fehlschlägt. Im Mittelpunkt sollte der kulturelle Austausch und das Verständnis füreinander stehen. Das ist, zweifelsohne, ein Grund warum man sich auf das Abenteuer „EVS“ einlässt aber in den seltensten Fällen der Hauptgrund. Gerade in England ist der EVS für viele Freiwillige ein bezahlter Sprachkurs. Aber die Erkenntnis, dass die Aufnahmeorganisation nur dazu verpflichtet ist, dafür zu sorgen dass der Freiwillige Sprachkenntnisse erwirbt, die gerade so ausreichen den Job mehr oder weniger gut zu machen, trifft viele hart. Das war eines der Hauptthemen während meines Mid-Term-Meetings. Viele Freiwillige erwarteten umfangreichen und professionellen Sprachunterricht. Die Enttäuschung war bei vielen groß, als die Trainer ihnen klarmachten, dass das keinesfalls die Absicht des EVS ist.
Ich hatte auch nicht wirklich das Gefühl, dass speziell benachteiligte Jugendliche gefördert wurden. In Deutschland hatte ausnahmslos jeder Freiwillige Abitur und auch so machte keiner den Eindruck „benachteiligt“ zu sein. Auch die Gründe für den EVS waren bei den Wenigsten so idealistisch wie vielleicht gewünscht. Das trifft aber auf beide Seiten, Freiwillige und mehr oder weniger Aufnahmeorganisation, zu.
Auf den Treffen in England habe ich nicht nur Freiwillige getroffen, die den EVS als bezahlten Sprachkurs, sondern auch als Berufseinstieg nach der Uni nutzen. Der Wikipedia-Artikel spricht außerdem davon, dass die Freiwilligen nur nebensächliche Aufgaben haben. Eine Freiwillige aus Spanien wurde von ihrer Tutorin vergessen, als sie aus dem Urlaub wiederkam. Ihre Tutorin hatte keine Aufgaben für sie und so war die Freiwillige gezwungen, den Rest der Woche (in diesem Fall drei Tage) zusätzlichen Urlaub zu nehmen.
Trotzdem finde ich, dass das andere Extrem überwiegt. Freiwillige ersetzen häufig Arbeitsplätze die eigentlich voll bezahlt werden müssten. Eine Freiwillige aus Österreich arbeitete in England in einem Pflegeheim als Pflegekraft und hatte dabei die gleichen Aufgaben wie vollbezahltes Personal. Ähnliches kann ich aus meinem Projekt bestätigen. Die Rolle des Freiwilligen sollte eine Ergänzung, kein Ersatz sein. Auch ist es für mich fragwürdig, ob wirklich alle Themenbereiche die angeboten werden, sinnvoll sind. Eine junge Freiwillige aus Spanien wurde in einem Zentrum für sozial schwierige Jugendliche zusammengeschlagen, weil sie mit der Sprache Probleme hatte und mehrmals nachfragen musste. So etwas ist sicherlich nicht der Alltag, aber durchaus ein Problem über das nachgedacht werden sollte.
Man sollte sich wirklich vorher mit der Aufgabe auseinander setzen und sich fragen, ob man den Situationen wirklich gewachsen ist, sich nicht selbst überschätzen und vor allem REALISTISCH bleiben. Das hätte ich mir damals, als ich mich für die Arbeit in einem Heim für Behinderte entschieden habe, vielleicht auch mehr zu Herzen nehmen sollen. Ich arbeite dort im so genannten „Activities Centre“. Ich bin mit vielen netten Ideen angekommen, wurde aber schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. In der Datenbank war ausdrücklich von „körperlich behinderten Erwachsenen“ die Rede. Tatsächlich leben dort zu einem sehr großen Teil auch geistig behinderte Erwachsene. Das Heim hat außerdem einen fest eingefahrenen Trott und neue Ideen werden hier meistens schon im Keim erstickt. Geistige Herausforderung ist ein Luxus, den sich die Freiwilligen in ihrer zugegebenermaßen großen Freizeit leisten können.
Außer mir arbeiten noch vier bis sechs andere Freiwillige zusammen mit drei Festangestellten dort. Wenn die Freiwilligen nicht wären, hätten die drei Festangestellten im Schnitt 15 bis 20 Leute zu betreuen und nebenbei noch die Büroarbeit zu erledigen. Individuelle Betreuung wäre da unmöglich. Der einzige Unterschied zwischen der jüngsten Festangestellten und den Freiwilligen ist die Gehaltsabrechnung. Die Aufgaben sind exakt die gleichen.
Klar, es ist nicht zu leugnen, dass der Spaß nicht zu kurz kommt. Gerade in meinem Projekt, wo viele junge Freiwillige sind, ist der Partyfaktor nicht unwesentlich. Und alles in allem bin ich froh, am EVS teilzunehmen. Es ist auf jeden Fall eine Erfahrung, vielleicht nicht immer die Beste, aber Erfahrungen sind immer unbezahlbar. Ich habe nette Leute kennen gelernt und mein Freundeskreis reicht inzwischen weit über Europa hinaus. Sich in einem fremdem Land zurecht zu finden, erfordert einiges an Mut, Flexibilität und vor allem die Bereitschaft, sich auf ein Abenteuer einzulassen, denn Leben ist, was passiert während man eifrig dabei ist, andere Pläne zu machen.
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