Meine ersten drei Monate in Schweden
Ich berichte über die Anfangszeit, die Arbeit bei Staffansgården und weitere Erlebnisse
Hej, ich bin Sophia, komme aus Deutschland und verbringe ein Jahr als ESC volunteer in Schweden, von denen jetzt schon drei Monate vorüber sind. In diesen Monaten ist schon sehr viel passiert, daher werde ich ganz von vorne anfangen.
Weshalb habe ich mich eigentlich entschieden als Freiwillige in ein fremdes Land zu gehen? Ich wollte nach dem Abi einfach mal etwas wagen, neue Erfahrungen sammeln und mich weiterentwickeln. Der europäische Freiwilligendienst schien eine gute Möglichkeit zu sein, also bewarb ich mich Ende November 2018 bei der Entsendeorganisation VIA e.V. und danach bei vielen Projekten. Zum Glück wurde ich letztendlich doch noch und dann von gleich zwei Projekten angenommen. Eines davon hat mich sehr beeindruckt und war sogar in einem meiner Wunschländer. Daher hab ich mich für Staffansgården, eine Dorfgemeinschaft für geistig behinderte Menschen in Schweden, entschieden. Ich war noch nie zuvor in Schweden und auch nicht in Skandinavien generell, außer Dänemark. Jedoch war Schweden ein Favorit, weil ich einfach von der Natur fasziniert bin und vielleicht auch von Kinderbüchern und von der Serie Vikings beeinflusst wurde. Außerdem habe ich mich auf einen härteren Winter und die Nordlichter dort gefreut.
Mein Vorbereitungsseminar fand Ende Juni für vier Tage in Hamburg statt und am 18. August 2019, nachdem die Abschiedsparty gefeiert und der letzte Koffer gepackt war, ging dann schon die abenteuerliche Reise nach Schweden los. Denn meine Eltern, meine Schwester und ich sind mit dem Auto in einer Woche, über Kopenhagen, Malmö, Linköping und Stockholm, zum Zielort Delsbo gefahren.
Wir und Rasmus, der andere Freiwillige des Projektes, kamen am Sonntagabend, dem 25. August, am Ziel an und wurden freundlich von unserer Mentorin in Empfang genommen. Am nächsten Tag wurde uns und meiner Familie erstmal alles gezeigt. Das heißt, wir haben eine Tour zu den vier Standorten von Staffansgården gemacht und auch eine Tour um die zwei großen Seen Norra Dellen und Södra Dellen, nach denen der Ort Delsbo benannt ist. Staffansgården besitzt sogar seit ein paar Jahren ein eigenes rollstuhlgerechtes Boot. Mit dem einige Mitarbeiter und wir, schon zwei Tage später, eine Bootstour zu einer Insel des nördlichen Sees unternommen haben. Was echt toll war, denn die Umgebung hier ist wunderschön. Es gibt hier riesige zusammenhängende Waldgebiete. Das bin ich von Deutschland gar nicht gewohnt. Das Ufer der Seen ist auch sehr wenig bebaut, was daran liegen mag, dass dieser Ort ziemlich unbekannt ist. Diese riesigen Seen sind in Schweden einfach nichts Besonderes. Aber für mich schon, denn das Steinhuder Meer, das der größte See Nordwestdeutschlands ist, würde in die Fläche fast fünf-mal reinpassen. Glücklicherweise verlief auch die Rückreise meiner Familie ohne Probleme, sie blieben für eine Nacht und fuhren am Montagnachmittag zurück. Es war natürlich seltsam Abschied zu nehmen und plötzlich alleine in einem fremden Land zu sein. Jedoch wohnen wir als Freiwillige jeweils in einem Haus mit fünf Bewohnern, in dem auch immer Mitarbeiter vor Ort sind. Von allen wurden wir herzlich aufgenommen. Deshalb fühlte ich mich von Anfang an willkommen. Mein Haus, genannt Mittenhuset, befindet sich 3km vom Dorf entfernt, auf der zu Staffansgården gehörigen Farm Mickelsgården.
In den ersten zwei Wochen haben wir dann erstmal alle Workshops ausprobiert, um herauszufinden was uns gefällt. Natürlich war die Anfangszeit etwas schwierig, da ich noch nie zuvor in Schweden war und nie mit geistig Behinderten und der Anthroposophie zu tun hatte. Außerdem musste ich mir erstmal viele Namen merken, denn es gibt 33 Bewohner und ca. 80 Mitarbeiter, und anfangen richtig schwedisch zu lernen. Aber da uns alle hier freundlich aufgenommen haben und man sich, wenn man mit den Bewohnern zusammen lebt, nie alleine fühlt, viel es mir nicht schwer. Auch habe ich die Bewohner schnell ins Herz geschlossen, weil viele einfach immer gut gelaunt sind.
Ein gewöhnlicher Tagesablauf sieht wie folgt aus: Morgens nach dem Frühstück werden die Bewohner, die nicht in einem der Häuser am Hauptsitz wohnen, und somit auch ich mit den Bullis zur Morgenversammlung gefahren. Diese findet in einem großen Saal im Staffanshuset (das Hauptgebäude) statt. An Montagen ist diese Versammlung sehr wichtig, denn es wird der Plan für die neue Woche besprochen, das Mittagessen für jeden Tag angekündigt und die Bewohner können über ihr Wochenende berichten. An allen anderen Tagen wird nur über den heutigen Tag gesprochen und die Versammlung findet, für diejenigen die dort arbeiten, auch auf der Farm statt. Nachdem die Versammlung mit dem gemeinsamen Singen eines Liedes abgeschlossen, ist gehen alle zu ihren jeweiligen Workshops oder auch zuvor auf einen kleinen Spaziergang. In den Workshops gibt es zwischendurch eine Kaffeepause. Diese Pause wird als Fika bezeichnet und ist in Schweden von großer Wichtigkeit. Anschließend wird bis zum Mittagessen gearbeitet. Jedoch können immer mehr Bewohner weniger in den Workshops mitarbeiten, da sie älter werden. Daher mussten ein paar Workshops angepasst werden. Das Mittagessen wird morgens in der Großküche Staffansgårdens zubereitet und mit fast allen Bewohnern zusammen im Essenssaal gegessen. Danach sind Rasmus und ich an drei Tagen der Woche für den Abwasch zuständig. Nachmittags gibt es, an fast jedem Tag der Woche, eine andere Aktivität für die Bewohner, an der wir auch teilnehmen.
Nach der Einführungsphase haben wir einen Wochenplan erstellt, der bis ca. Weihnachten gelten soll.
Montag: Nach der Morgenversammlung gibt es eine Musikstunde für einige Bewohner. Anschließend gehen wir gemeinsam zur Weberei. Hier werden alle möglichen Produkte aus Stoffen hergestellt z.B. Handtücher, Tischläufer, Teppiche, und Stoffe für die traditionelle Tracht Delsbos. Momentan mache ich Jultomtar (Weihnachtsmänner) aus Fäden und Stoff. Hier, wie auch in anderen Workshops, wird das ganze Jahr über auf Staffansgårdens Weihnachtsmarkt hingearbeitet. Nachmittags geht es abwechselnd entweder zum Tanzen oder zur Theaterprobe. Einige Bewohner, Mitarbeiter und wir werden ein Theaterstück zum Märchen „Die grüne Schlange und die grüne Lilie“ von Goethe aufführen, welches viel mit der Anthroposophie zu tun hat. Beim dem Tanzen werden aber eher Bewegungsspiele gespielt als getanzt, da das für viele Bewohner einfacher ist.
Dienstag: Jeden zweiten Dienstag bin ich mit dem Bullis waschen dran, wobei ich oft auch Hilfe von einem Bewohner bekomme. An den anderen Dienstagen arbeite ich mit im Papierworkshop „Arken“. Hier werden Hefte hergestellt, die z.B. an Schulen geliefert werden. Am Anfang konnte ich auch einmal im Gemüse-und Obstgarten der Farm mitarbeiten, im dem Tomaten, rote Beete, Möhren, Kräuter, Äpfel, Johannisbeeren usw. angebaut werden. Aber da es nun Herbst ist wird dort nicht mehr gearbeitet und anstelle dessen im Arken. Nach dem Abwasch gehe ich mit den Bewohnern ins Schwimmbad hier in Delsbo.
Mittwoch: An dem Tag habe ich meinen Haustag, das bedeutet, dass ich putze und Blumen gieße. Nach dem Mittagessen haben wir Schwedischunterricht mit einer Mitarbeiterin und ein Treffen mit unserer Mentorin. Der Unterricht ist sehr gut, denn die Mitarbeiterin gibt sich sehr viel Mühe und erfindet oft neue Übungen. Nachmittags gehe ich zur Gymnastik, das bedeutet Sport in Delsbos Sporthalle mit den Bewohnern.
Donnerstag: Donnerstags fahre ich entweder mit zum Innebandy (so ähnlich wie Hallenhockey) oder ich bin im Staffanshuset und putze oder mache Besorgungen. Fürs Innebandyspielen fahren zwei Bullis mit den Bewohnern nach Ljusdal, ein Dorf 25km westlich von hier. Dort wird zusammen mit Bewohnern einer anderen Einrichtung aus Ljusdal gespielt, was sehr viel Spaß macht. Und zwischendurch gibt es natürlich noch eine Fikapause. Nachdem Abwasch ist manchmal Yoga. Jedoch fällt das sehr oft aus. Weswegen Rasmus und ich planen eine eigene Aktivität zu organisieren.
Freitag: Zuerst arbeite in der Bäckerei, wo ich mit den Bewohnern die Fika vorbereite und beim Backen helfe. Hier werden Backwaren für die Häuser hergestellt. Nach dem Mittagessen und Abwasch helfe ich nochmals beim Vorbereiten der zweiten Fika. Denn an jedem Freitag gibt es eine große Fika für viele Bewohner und Mitarbeiter, die bei dem vorherigen Wochenabschuss waren.
Außerdem haben wir die Möglichkeit einmal im Monat ein Volontärcafé zu veranstalten. Das heißt, wir verkaufen Selbstgemachtes an die Bewohner und Mitarbeiter. Dieses Volontärscafé haben wir bisher einmal gemacht, im September. Dabei haben wir am Abend vorher vier Kuchen, eine Torte und ein Dessert gemacht und am nächsten Tag verkauft, was sehr gut gelaufen ist. Immerhin haben wir ca. 70€ eingenommen. Das letzte Café im Oktober ist ausgefallen, da wir anstatt dessen eine Halloweenparty organisiert haben. Aber das nächste ist schon für diese Woche geplant.
Auch sonst ist schon viel passiert. Schon am dritten Wochenende nach meiner Ankunft hatte ich Geburtstag, diesen habe ich mit Kaffee und Torte in Mittenhuset gefeiert. Die echt leckere Blaubeertorte hatte mir unsere Mentorin gemacht. Mitte September war Kartoffelernte mit anschließendem Grillen. An dem Tag haben alle Mitarbeiter und Bewohner, die konnten, geholfen die Kartoffeln per Hand zu aufzusammeln. Am Freitag danach gab es einen großen Ausflug mit Allen zu Råbergsvallen. Das ist ein sehr schöner Ort mitten im Wald mit sehr vielen Häuschen aus Mitte des 19. Jh. wovon eines Staffansgården gehört. Von Orten wie diesen gibt es viele in Schweden. Sie wurden früher von Bauern zur Viehhaltung im Sommer genutzt. An dem Tag hatte ich erstmals die Mitverantwortung für einen Bewohner, somit musste ich auf ihn aufpassen und darauf achten, dass er Zutrinken und Essen bekommt und auf die Toilette geht. Wir sind gemeinsam wandern gegangen, haben Pfifferlinge gesammelt, Spiele gespielt und Kebab gegessen. Ende September waren wir für eine Woche in Stockholm. Dort hatten wir unser on-arrival training, welches für alle Freiwilligen in Schweden, die auch vor kurzem angekommen waren, von der National Agentur(MUCF) organisiert wurde. Bei dem viertägigen Seminar konnten wir 25 Freiwillige aus verschiedenen Ländern Europas kennenlernen. Fast die Hälfte kam aus Deutschland. Schweden scheint also bei uns sehr beliebt zu sein. Es war schön so viele Freiwillige kennenzulernen und sich austauschen zu können. Am Freitag nach dem Seminar hatten Rasmus, zwei Freiwillige aus Ungarn und ich ein Treffen mit unserer koordinierenden Organisation PeaceWorks, die uns vier zu einem Youth exchange in einem Monat eingeladen hat. Danach sind wir, sowie viele andere Freiwillige, noch über das Wochenende in der Stadt geblieben. Wir haben dann in einem der wahrscheinlich billigsten Hostels Stockholms übernachtet, was nicht so toll war, aber immerhin günstig und in zentraler Lage.
Im Oktober ist auch viel geschehen, denn Anfang Oktober habe ich Besuch von meiner Tante und Onkel bekommen. Wir verbrachten zwei schöne Tage miteinander in denen ich ihnen viel von Staffansgården und der Umgebung zeigen konnte. Am Wochenende danach fuhren Rasmus, sechs andere Freiwillige und ich für ein Wochenende nach Sundsvall, eine Stadt 100km nördlich von Delsbo. Was außer dem schlechten Wetter echt schön war. Ende Oktober sind wir wieder nach Stockholm gefahren, zu dem Youth exchange von PeaceWorks. Dort haben wir die zwei Freiwilligen aus Ungarn wieder getroffen und konnten 30 Teilnehmer aus fünf verschiedenen Ländern Europas kennenlernen. In diesem Exchange ging es um das Thema „Wie starte und setze ich mein eigenes Projekt um?“, was auch uns weiterhelfen konnte.
Am 1. November, einen Tag nach unserer Rückkehr nach Delsbo, war auch schon die Halloweenparty. Diese haben wir mitorganisiert, indem wir für die Deko, Musik und Spiele zuständig waren. Nur um das Kuchenbuffet konnten wir uns nicht kümmern, weil wir vorher nicht da waren. Die Halloweenparty zu organisieren war unser erstes kleines Projekt. Momentan planen wir ein größeres: ein Insektenhotel mit einigen Bewohnern, als Nachmittagsaktivität, zu bauen.
In meiner Freizeit ist mir noch nicht langweilig geworden. Delsbo hat, für ca. 2000 Einwohnern, eine sehr gute Infrastruktur. Das liegt vermutlich an der viel befahrenen Straße in Richtung Norwegen, die durch das Dorf führt. So gibt es hier zwei Supermärkte, viele Restaurants, ein Schwimmbad, ein Kino, zwei Fitnessstudios, eines besuche ich manchmal, eine Apotheke und weiteres. Am den Wochenenden gibt es auch immer etwas zu tun, denn ich unternehme oft etwas mit den Bewohnern und Mitarbeitern meines Hauses, die oftmals Ausflüge machen. Ansonsten kann ich einmal im Monat einen von Mitarbeitern Staffansgårdens organisierten Kaminabend und eine kirchliche Aktivität namens Messy Church besuchen. Delsbo hat zwar eine Busanbindung, jedoch können wir als Freiwillige auch die Bullis mitbenutzen, was sehr praktisch ist, da wir mit ihnen schon oft zu umliegenden Orten oder Hudiksvall (die nächste Stadt) fahren konnten.
Somit habe ich mich hier ganz gut eingelebt, nachdem ich die erste Sprachbarriere überwunden habe, mich an den Tagesablauf gewöhnt habe und jetzt weiß, was das ist, was viele hin und wieder ausspucken (Snus= Kautabak). Mit dem Schwedisch lernen bin ich schon etwas vorrangekommen. Ich bin ja gezwungen Schwedisch zu reden, weil fast alle Bewohner nur diese Sprache verstehen und sprechen. Jetzt freue ich mich schon auf die nächste Zeit, denn der Winter kommt bald, schon am 30. November ist Staffansgårdens Weihnachtsmarkt und ich werde zu Weihnachten zurück nach Hause fahren.