Meine erste Dekade in Grand Paris
Eine Beschreibung meines Ankommens und der ersten Arbeitstage in Île de France während meines Praktikums auf der Metro-Baustelle La Courneuve – Six Routes sowie erste Eindrücke von Paris selbst
Bonjour à tout le monde!
Nach meiner sporadischen WhatsApp-Story am Tag meiner Anreise, möchte ich mich hiermit mal etwas ausführlicher melden. Ich habe die ersten Tage meines Praktikums im Spezialtiefbau auf der Metro-Baustelle in Grand Paris nicht nur erfolgreich überlebt. Im Gegenteil, mir geht es insbesondere an diesem Wochenende ausgesprochen gut und inzwischen war ich auch mehrmals in Paris (in der Stadt und nicht nur im Banlieue („Stadtrand“/Vororte). Meine ersten Eindrücke von der Stadt der Liebe sind überwiegend sehr positiv.
Die Anreise verlief wie geplant: Abfahrt ab Heimatbahnhof gemäß Fahrplan, durchschnittliche Verspätung von ca. zehn Minuten bei der Einfahrt in Stuttgart Hbf, trotzdem noch über eine halbe Stunde Wartezeit, die zur Fernerkundung der S21-Baugrube genutzt wurde, Umstieg in den auch nicht ganz pünktlichen TGV, Ankunft minutengenau am Gare de l’Est zur Mittagszeit, Komfortniveau: exklusiv. Im Bordbistro habe ich ebenfalls wie vorgesehen meinen Kollegen Roger getroffen und bei einem Kaffee näher kennengelernt. Er arbeitet als Bauleiter ebenfalls für Rodio an der zukünftigen Linie 16, allerdings auf einer anderen Baustelle. Die betreuten Bauverfahren sind aber die gleichen, auf beiden Baustellen kommen (Niederdruck-)Injektionen sowie Jetgrouting / HDI = Hochdruckinjektionen / DSV = Düsenstrahlverfahren / … zum Einsatz. Wie so häufig im Bauwesen existieren für ein- und dieselbe Sache verschiedene Begriffe, was insbesondere bei Anfängern auf diesem Gebiet zu Verwirrung führen kann. Evtl. werde zu einem späteren Zeitpunkt etwas näher auf die Details eingehen.
Zur Ankunft am Gare de l’Est gab es direkt einen kleinen Wolkenbruch. Keine zehn Minuten nach Ende dieses Regenschauers schien die Sonne über Paris, welche den Großteil der Wolken vertrieb. Solch unbeständiges Wetter konnte ich bisher praktisch täglich beobachten. Jedenfalls sind wir dann vom Bahnhof mit dem Taxi direkt zu Rogers Baustelle in der Nähe des Stade de France gefahren, wo ich mir dann ein erstes eigenes Bild (v. a. von den Niederdruckinjektionen) machen konnte. Gegen 19 Uhr haben wir Feierabend gemacht. Mit unserem Geschäftsauto sind wir dann aber nicht direkt in unser Aparthotel in Roissy-en-France am Aéroport Charles de Gaulle gefahren, sondern zuerst noch einkaufen gegangen. Traditionell wird hierzu jeder Neuankömmling bei Rodio in Paris am ersten ins Aéroville geschleppt. Das ist ein riesiges Einkaufszentrum nach amerikanischem Vorbild, ebenfalls nur einen Steinwurf vom Flughafen entfernt. Allein auf dem täglichen Arbeitsweg komme ich etwa an drei, vier solcher Malls vorbei. Mein Einkauf war recht unkoordiniert, da ich die sonstigen Einkaufsmöglichkeiten in Roissy bzw. in Baustellenumgebung und auch die Küchenausstattung meines Apartments noch überhaupt nicht gekannt hatte. Gegen 21 Uhr bin ich schließlich in meinem Zimmer angekommen, wo ich ziemlich direkt ins Bett gefallen bin.
Am nächsten Morgen bin ich dann mit meinem Kollegen Nadhem (okay, eigentlich ist er mein Chef, fühlt sich aber nicht so an) zum ersten Mal (ebenfalls mit dem Dienstwagen) zur Baustelle nach La Courneuve (Banlieue nördlich von Paris), meiner Wirkungsstätte für die nächsten vier Monate, gefahren. Im Gegensatz zu 3303 (Rogers Baustelle) handelt es sich hierbei nicht nur um einen Zwischenangriff, sondern um einen unterirdischen Bahnhof. Zur Zeit werden hier im Wesentlichen die Schlitzwände erstellt, welche zunächst als Baugrubenumschließung für den Start- bzw. Zielschacht der Tunnelbohrmaschinen dienen werden. Im Endzustand bilden sie teilweise auch die Seitenwände der Station bzw. die Tiefgründung für das Hochhaus, welches über dem Bahnhof entstehen wird. Diese Arbeiten werden von unserem spanischen Mutterkonzern Terratest durchgeführt. Die Injektionsarbeiten von Rodio finden direkt oberhalb der zukünftigen Stationsein-/ausfahrten statt.
In den ersten Tagen vor Ort habe ich wenig konkrete Aufgaben zugewiesen bekommen, so dass ich mir in Ruhe einen Überblick von meinem künftigen täglichen Geschäft sowie allen Arbeiten unten (draußen auf der Baustelle) verschaffen konnte. Inzwischen kenne ich mich auf der Baustelle gut aus, weiß die meisten Namen unserer eigenen Leute und im Feld können mich auch alle zuordnen. Teilweise war ich sogar etwas unterbeschäftigt, was aber glaube ich v. a. daran lag, dass Nadhem nicht so genau wusste, was ich machen kann/will/soll. Aber wie schon andere Philosophen aus der Branche festgestellt haben: „Il y a toujours quelque chose à faire.“ / „Es gibt immer etwas zu tun.“ (HORNBACH). U. a. anderem habe ich unserem Auto mal eine Innen- und Außenreinigung verpasst. Man muss die Deutschland-Klischees ja auch am Leben halten. :) So vergeht die Zeit sehr schnell.
Die weiteren Kollegen aus den beiden oberen Etagen der Containerburg sind jung, menschlich absolut in Ordnung und teilweise bzgl. ihrer Arbeitsergebnisse nicht ganz einfach handzuhaben. Neben den Bauleitern und Managern von Terratest habe ich vor allem mit der Arbeitsplanung vonseiten Eiffage (einer der drei größten Baukonzerne Frankreichs, der bei der Metro als Generalunternehmer auftritt) sowie verschiedenen Vertretern der Bauherrschaft zu tun. Der Frauenanteil in den Büros liegt bei etwa einem Viertel. Zu meiner Freude spreche ich im Arbeitsalltag nicht nur Deutsch und Englisch wie von meinem Oberbauleiter behauptet, sondern außerhalb des eigenen Büros vor allem auch Spanisch und Französisch. Ach ja, Portugiesisch kommt auch vor, das Personal für die Erdarbeiten von Eiffage sind Portugiesen. Was ich nicht kann, bisher auf der Baustelle aber auch nicht gehört habe, das ist Arabisch. Es stellt vermutlich für einige der französischsprachigen Kollegen die erste bzw. zweite Muttersprache dar, da viele familiär im Maghreb (Algerien, Tunesien, Marokko) verwurzelt sind. Ich denke, man kann von einer internationalen Baustelle sprechen.
Auch außerhalb des Bauzauns ist das Umfeld ziemlich mulitkulturell. Man kann (für mich) exotische Sprachen bzw. Französischakzente hören, außergewöhnliche Kleidungsstile betrachten oder z. B. auch manche Dinge direkt auf der Straße (auf dem Bürgersteig) kaufen. Der Großteil der Einwohner hat einen Migrationshintergrund. Nach meiner eigenen Auffassung (ohne Gewähr) würde ich deren ursprüngliche Herkunft v. a. auf „Françafrique“ (West-, Zentralafrika, Maghreb), Nahost und auch Südasien einschätzen. Der Straßenverkehr unterliegt einer ganz eigenen Dynamik, die sich wiederum von Paris unterscheidet. Mittlerweile habe ich mich ganz gut dran gewöhnt.
À propos Paris: Ja, am Sonntag war ich das erste Mal (von der Ankunft abgesehen) für ein paar Stunden in Paris. Und ich finde die Stadt ÜBERRAGEND. Ich habe nichts Bestimmtes besichtigt, sondern bin einfach bei Chatelet-Les Halles aus dem RER (entspricht der S-Bahn) ausgestiegen und einige Stunden kreuz und quer zu Fuß durch Teile der Stadtmitte gegangen. Bei wunderbarem Sommerwetter bin ich an der Seinepromeande geendet. Ich lasse die Bilder weitestgehend für sich wirken. In nicht allzu ferner Zukunft kann ich sicherlich einiges Weitere zu Paris selbst schreiben.
Vielleicht noch ein Satz zu meinem Arbeitsrhythmus: Bei Rodio arbeite ich in der Regel an zehn aufeinanderfolgenden Tagen (mit Ausnahme des Sonntags) von Dienstag der einen bis Donnerstag der darauffolgenden Woche täglich von 7 bis 19 Uhr. Deswegen habe ich mich auch erst jetzt gemeldet. Da wir baubetriebsbedingt wenig zu tun hatten, konnte ich auch zwei Mal einigen Schlaf nachholen und z. B. auch mal meinen Koffer richtig auspacken.
Nächste Woche werde ich recht selbstständig (ohne Nadhem) arbeiten. Dafür ist unser wichtigster Mann, Volker, unser Polier, vom Urlaub zurück.
Ich bin gespannt wie sich das restliche Wochenende und die nächste Dekade gestalten.
Salutations cordiales d’Île-de-France et à+!