Mein EVS Arbeitsalltag in Ankara
Wie sieht der Arbeitsalltag eines EVSlers aus?
Ich bin nur seit fast einem halben Jahr hier, und wie man sieht, habe ich mein Ziel, diverse Blockeinträge zu verfassen, total verfehlt :D Aber es ist nie zu spät, ich möchte euch in meinem Text etwas über meinen Alltag hier in der Türkei berichten.
Im September kam ich mit etwa zwei Wochen Verspätung an, welche man der Planungsunfähig unserer Projektoffices zuschreiben kann. Ich kam hier bei wunderschönstem Wetter, Sonne und 27°C. an…Endlich Sommer dachte ich mir! Allerdings wurde uns auf unsere Frage hin, warum hier denn jeder mit Jeans rumläuft, ganz erstaunt geantwortet "Nunja, im Sommer tragen wir auch kurze Röcke!".
Ankara an sich ist eher grau, da diese Stadt im Grunde erst seitdem Atatürk sie in den 20er Jahren aufgrund ihrer Lage in der Mitte der Türkei zur Hauptstadt gemacht hat, in den Geschichtsbüchern auftaucht. Deshalb gibt es hier viele Verwaltungsgebäude und Wohnblocks, und nur eine sehr sehr kleine Altstadt (die ist allerdings wirklich schön). Das Leben hier ist dennoch sehr angenehm, denn im Gegensatz zu Istanbul, kann man hier seinen Arbeitsplatz in deutlich kürzerer Zeit als zwei Stunden erreichen. Wir sind untergebracht in einem vor allem von älteren Menschen bewohnten Stadtviertel, recht nahe des Zentrums. Wir - das sind 9 Mädchen aus verschiedenen Ländern Europas, die mit dem gleichen Programm wie ich hier her gekommen sind.
Hergekommen sind wir alle, nachdem wir uns bei der alteingesessenen Gazi Universität für verschiedene Projekte beworben hatten. Dass es diese einzelnen Projekte eigentlich gar nicht in der Form gibt, wussten wir nicht. Nach einer Einführungswoche begannen wir langsam zu verstehen, wie das alles in Zukunft aussehen sollte: Verschiedene Projekte stehen zur Verfügung, und wir können uns aus diesen verschiedenen Projekten individuelle Arbeitswochenpläne zusammenstellen. Alles klar, war zwar nicht das, für was ich mich beworben hatte, aber so wird es nicht langweilig und ich schnuppere auch in neue Bereiche hinein. So kommt es, dass ich an verschiedenen Tagen in der Woche unterschiedlichen Arbeiten nachkomme.
Das Wort "Gazi", welches übersetzt so viel wie Kriegsheld bedeutet, stößt bei unseren jungen türkischen Freunden übrigens auf wenig Begeisterung: Die von Atatürk gegründete Universität steht für alte, konservativ-verkrustete Werte und wird deshalb von der jungen, in Cafés, Bars und Malls zu findenden Generation abgelehnt. Deshalb versuchen wir inzwischen zu vermeiden, den Namen zu nennen. Auch weil wir uns sowieso nicht mit der Uni identifizieren, da wir nicht direkt für sie arbeiten, sondern von ihr ja nur in die unterschiedlichen Projekte gesandt werden.
An einem Tag in der Woche sind wir zum Beispiel in der öffentlichen Schule in einem eher ärmeren und traditionellen Stadtviertel. Dort unterstützen wir den teilweise doch sehr schlechten Englischunterricht, viele der Kinder sehen normalerweise nie "Yabanci", also Ausländer, und flippen deshalb völlig aus, sobald sie uns sehen. Im Moment üben manche aus unserer Gruppe das Märchen "Schneewittchen" auf englisch ein, und haben auch schon das ein oder andere Schauspieltalent entdeckt.
An einem anderen Tag machen wir ähnliches in der Privatschule hier, die Unterschiede sind eklatant, alle Lehrer haben eine perfekte Ausbildung, reiche Eltern bezahlen eine tolle Ausrüstung und das üppige Mittagessen…Keine Ahnung warum diese Privatschule Freiwillige braucht, eine der viele Sachen hier, die ich für eine EU-Gelder-Verpulverung halte…
Freitags arbeite ich in der Hospital School, dabei handelt es sich um eine Einrichtung in einem Krankenhaus, wo die sich dort befindenden kranken Kinder Unterricht bekommen können, sofern es ihnen dafür denn gut genug geht. Das ist häufig nicht der Fall, deshalb ist unsere Arbeit dort, die Kinder wenigstens für einen Moment zu unterhalten und abzulenken, und den Müttern einen Moment der Ruhe zu verschaffen. Manche Kinder sehe ich seit Wochen jedes mal, häufig weiß ich nicht einmal, warum sie im Krankenhaus sind. Manchmal ist es sehr traurig zu sehen, dass sie an einem Tag voller Freude fragen, ob man denn morgen wieder da sein wird, es ihnen aber dann, wenn es wieder so weit ist, so schlecht geht, dass man ihnen nur mit Mühe ein Lächeln abgewinnen kann. Am deutlichsten wird das im 15.Stock des Krankenhauses, der Krebsabteilung...
Dienstags arbeite ich bei der türkischen Organisation "Kimse yok mu", einer NGO, die man sich ähnlich dem roten Kreuz vorstellen kann. Hier werden von uns Lebensmittel-Kisten gepackt (z.b. für die vom Erdbeben zerstörte türkische Stadt Van) und Kleiderspenden sortiert und gezählt. Kimse yok mu agiert weltweit, das Hauptlager befindet sich hier in Ankara, dementsprechend ist immer viel zu tun. Die meisten Menschen, die hier arbeiten, helfen freiwillig und kommen aus den armen Wohngegenden der Umgebung. Mittags gibt es für alle Helfenden ein hausgemachtes warmes Essen. Das ist nötig, zumindest in dieser Jahreszeit, da die Räume nur spärlich beheizt sind. Der Winter ist hier teilweise kälter und schneereicher als ich es aus Deutschland gewöhnt bin.
All diese unterschiedlichen Arbeitsstellen sind eher schlecht organisiert, so dass es häufig sein kann, dass man auch mal nicht arbeitet, oder eine Weile warten muss, bis man irgendeine Aufgabe bekommt. Das ist teilweise sehr nervig und hat unserer Motivation sehr heruntergeschraubt. Wir kamen mit teilweise tollen Ideen hier her, aber wenn man dann nach einer Weile feststellt, dass die Umsetzung sowieso nie funktioniert, wird man auch selber fauler. Auch, wenn, je nach Projektstelle, auch eigentlich keiner so wirklich in unserer Arbeit interessiert ist? Zum Glück gibt's trotzdem noch den ein oder anderen Moment, wo wir selber mit unserem Erreichten zufrieden sein können. Und zum andern gewöhnt man sich sehr schnell an eine Woche mit lediglich Vier Arbeitstagen…
Aber trotz aller Zweifel an dem Programm: Meine Zeit hier ist Spitze und ich würde die Erfahrung niemals missen wollen. Das Leben mit so vielen neuen Menschen, ganz neuen Möglichkeiten seine Frei-h/z-eit zu nutzen (Reisen) - Einfach super =)
Nach dieser trockenen Abhandlung über meine Arbeit hier, wird an dieser Stelle demnächst mehr zu lesen sein über unsere Reisen hier und das lustige Leben in Ankara! =)
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