Made in Colombia!
Die ersten Assoziationen mit Kolumbien? Vulkanausbrüche, Entführungen, Kriminalität, Terrorismus und Armut. Doch nach sechs Monaten bei der kolumbianischen Gastfamilie sieht Chouchette das Land mit ganz anderen Augen.
Die Frage "Willst du mit nach Kolumbien kommen?", habe ich noch vor einem Jahr instinktiv und entscheiden mit einem entschlossenen Kopfschütteln schnell beantworten können. Warum?
Habt ihr schon mal "Kolumbien" gegoogelt? Was findet man denn da so? Einen Wikipedia-Eintrag, ein paar Flaggen und dann die Seite vom Auswärtigen Amt, welches diese Reise leider nur bedingt empfehlen kann. Vulkanausbrüche, Entführungen, Kriminalität, Terrorismus und Armut. Aha, das macht ja nicht gerade Lust auf mehr…
Aber Kolumbien - was ist das eigentlich? Früher war das für mich ein großes Land irgendwo im Zentrum von Südamerika. Da kommt Shakira her, genauso wie Juanes. Und sonst?
Als ich in Frankreich ankam, gab es unter all den Freiwilligen einen einzigen Kolumbianer mit dem Nachnamen Escobar. Damit konnte zwar nicht ich, aber irgendwie alle anderen recht gut was anfangen. "Hast du denn den Film "Blow" nicht gesehen?!" Und der ist ausgerechnet auch noch mit Johnny Depp. Ja, irgendwie stellte sich letzen Endes heraus - es geht um Drogen. Kokain. Na super!
Aber um all die Stereotypen mal zu entstauben, fange ich am besten mal bei dem Land selbst an!
Das Land
Kolumbien, welches seinen Namen auch seinem gleichnamigen Entdecker verdankt, liegt im Nordwesten Südamerikas und grenzt an den Atlantischen- und Pazifischen Ozean, als auch an die Länder Ecuador, Venezuela, Peru, Panama und Brasilien an. Die Hauptstadt ist Bogota, welche sozusagen fast im Zentrum des Landes liegt. Wie der Norden des Landes sich durch die Lage zum Meer und karibische Temperaturen auszeichnet, ist der Süden vor allem durch die hohen Gebirge der Anden und Vulkane gezeichnet, mit einem konstanten Klima von ca. 12°C. (Was dann interessant wird, wenn man mal ein sonniges Wochenende verbringen will und dann einfach ein paar Stunden Auto in die nächste Klimazone fährt!)
Aus der Heimatstadt meiner kolumbianischen Familie in Pasto, kenne ich viele besondere Geschichten. Davon hier ein paar Anekdoten.
Wenn man vom Flughafen von Bogota nach Pasto fliegen will, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man fährt 20h mit dem Bus durch den besetzten Dschungel und weiß nicht, wenn man angehalten wird, ob es sich nun um Armee oder Guerilla handelt, oder man nimmt das Flugzeug über die Anden. Das ist dann eine Stunde Steilflug nach oben und eine wiederum steil nach unten.
In Pasto gibt es einen aktiven Vulkan, welcher aller paar Jahre mal ein paar Rauchwolken ausspuckt. Als sie noch klein waren, hat die Oma regelmäßig Alarm geschlagen und alle mussten sich mit Kissen über den Kopf unter den Tisch setzen in der Hoffnung, das Beben möge aufhören und die Lehmwände bestehen bleiben. Holzwände sind da besser geeignet wurde mir gesagt. Das biegt sich.
Das Mindestmonatseinkommen der Menschen liegt bei 400 Euro. In Spanien sind es 600 Euro und in Frankreich 1200 Euro. Hinsichtlich des Reichtums des Landes gelangen wir schon an einen ersten Brennpunkt.
Natur und Bevölkerung
10% aller weltweit vorhandenen Arten lassen sich auf kolumbianischen Boden finden. Damit belegt Kolumbien den zweiten Platz des artenreichsten Landes überhaupt. Allein 3.500 Orchideenarten lassen da das Gärtnerherz höher schlagen. In Kolumbien gibt es halb so viele Einwohner wie in Deutschland. Auch ist das Land sage und schreibe drei Mal so groß wie unseres und liegt daher oder vielleicht auch trotzdem mit dem BSP weit unten: 170.000 Mio. US $ gegen 3.667 Milliarden US $.
Ein beeindruckender Unterschied. In Kolumbien leben heute noch 26% der Menschen unter dem Mindeststandard (7% mit weniger als 1 $ pro Tag). Bezüglich des Alters kann sich Deutschland wiederum geschlagen geben. In Kolumbien sind 78% der Leute jünger als 45 Jahre, wobei die Lebenserwartung in Deutschland um 10 Jahre höher liegt.
Jairo, mein „Papa“ hier, erzählte mir einmal über die Mentalität der Leute im Vergleich zu den Menschen hier. Ich berichtete ihm davon, dass mir die Menschen in Spanien viel fröhlicher, leichtfüßiger und spontaner erscheinen, und das Leben viel ruhiger, flexibler und stressfreier ablaufen würde als in Deutschland. Jairo meinte, für ihn sei es genau das Gegenteil gewesen, als er hier vor 10 Jahren als Immigrant ankam. "Die Leute sind deprimiert, unfreundlich und verbittert. Sie können sich nicht auf zwei Sachen gleichzeitig konzentrieren und es geht ihnen nur um Arbeiten und nicht ums Leben oder glücklich sein."
Und zu seiner Situation als Immigrant in Spanien (24% aller Kolumbianer, die auswandern, gehen nach Spanien)."Wir werden diskriminiert. Die Leute halten uns für dumm, ungebildet und haben kein Vertrauen. Es dauert seine Zeit bis sie sich auf einen einlassen."
Aber darauf möchte ich in einem anderen Artikel weiter eingehen.
Politik, Reisen und Probleme
Nach der Kolonialzeit erreichte Kolumbien 1819 seine Unabhängigkeit. Mit dem starken Kaffeexport (90% der Exporte des gesamten Landes) gelang es, das Land aufzubauen, bis durch die Wirtschaftskrise ein Bürgerkrieg ausgelöst wurde, welcher seit 1948 andauert. Politische Gruppen wie die FARC ersuchten daher seitdem mit Gewalt, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Laut Experten bleibt Kolumbien aufgrund der bewaffneten Konflikte, des Drogenhandels und Menschenrechtsverletzungen "das Land mit den meisten Entführungen und politischen Morden".
Hinzukommen Wahlbetrug und Korruption. Dabei gibt es den von Drogengeldern finanzierten und sogenannten "Stimmkauf". Der Wähler verkauft bewaffneten Gruppen seine Stimme für 10-70 $. In Kolumbien viel Geld. Dennoch wurde in den letzen Wahlen von 2006 der liberale Álvaro Uribe rechtmäßig zum Präsidenten gewählt.
Eigene Erfahrungen der Einwohner und Immigranten hier...
Dem Kolumbianer an sich wird trotz gestatteter Visa, Reisepässe und egal wie vieler Doktortitel nicht getraut. Einen kolumbianischen Ausweis zu besitzen bedeutet, suspekt zu sein. Wer in Deutschland, Frankreich oder auch in den USA am Flughafen ist oder im Auto, der Metro oder sonst wo angehalten wird, gilt sofort als verdächtig. Flugtickets für Kolumbianer sehen anders aus als die für Europäer. Die Ausreise als auch Einreise ins eigene (!) Land beansprucht in vielen Fällen eine Ganzkörperuntersuchung, Röntgenbild, Reiseerlaubnis und spezielle Impfungen. (Dazu später mehr.)
Aufgrund der vielen schlechten und gewaltbelasteten Meldungen im Fernsehen wurde in Kolumbien ein Sender eingeführt, welcher nur gute Nachrichten bringen sollte. Dieser Sender ist in Kolumbien sehr beliebt und auch wir empfangen ihn hier in Spanien.
Bezüglich des Reisens gibt es einiges zu Beachten.
Es gibt beispielsweise nur drei große Eisenbahnlinien in Kolumbien. Warum? Weil damals nach der Entdeckung der Glühbirne, wie mir hier jedenfalls erzählt wurde, die Schienen wieder abmontiert wurden, um Straßenlaternen herzustellen und so die Straßen sicherer zu machen. Die Straßen sind dennoch die schlechtesten Südamerikas und zaubern jedem Kolumbianer ein müdes Lächeln auf die Lippen, wenn sich in Barcelona mal jemand über die Schlaglöcher aufregt.
Am Flughafen in Bogota angekommen, bekam mein kolumbianischer Freund einmal Probleme mit der Polizei. Weil er einen kleinen Laptop als auch Drehtabak mit sich führte. In Kolumbien ein klarer Fall. Er verbrachte also eine Stunde damit, den Polizisten nicht etwa nur zu erklären, sondern viel mehr zu zeigen, dass er nur ein harmloser Reisender sei. Er musste seinen Computer vorführen und die verschiedenen Programme und sogar Spiele zeigen, als auch jedem einzelnen der Beamten eine Zigarette drehen (welche dann auch gemeinsam probiert und als ungefährlich erklärt wurden konnte).
Was noch bleibt zu berichten ist von der Kultur, Traditionen, Sprache, Menschen und vieles mehr.
Aber dazu mehr im nächsten Artikel!
Ach – und vor kurzem wurde ich übrigens wieder gefragt, ob ich nun diesmal mit nach Kolumbien fahren möchte. Und nach einem Jahr, nach 6 Monaten bei der kolumbianischen Familie hier, konnte ich genauso schnell antworten wie das letzte Mal: "Si, claro!"
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