"Litauen ist eine frische Brise"
Ab dem 1. Juli steht Litauen nicht nur geografisch im Zentrum Europas, sondern auch politisch, denn dann wird Litauen die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen – als erste Ex-Sowjetrepublik.
Ab dem 1. Juli steht Litauen nicht nur geografisch im Zentrum Europas, sondern auch politisch, denn dann wird Litauen die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen – als erste Ex-Sowjetrepublik.
In Litauen sieht man der großen Aufgabe positiv entgegen, der größte der drei baltischen Staaten sei „eine frische Brise, eine innovative und vitale Stimme in der EU-Familie“, meint Außenminister Linas Linkevicius. Und auch die Präsidentin, Dalia Grybauskaite, hält ihr Land für gerüstet für diese „historische Aufgabe“.
Die erste Ratspräsidentschaft sieht Litauen als Chance, auch eigene Ziele durchsetzen zu können, dazu gehören die Vollendung des Energiebinnenmarktes und der Schutz der Außengrenzen. Aber vor allem will man eine Strategie zur Entwicklung des Ostseeraumes vorantreiben. Man drängt auf eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und ihren östlichen Partnern. Für Ende November ist in Vilnius ein Gipfel geplant, bei dem ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine unterzeichnet werden soll. Die Ukraine soll sich also an die europäische Gemeinschaft binden, allerdings ohne ein vollwertiges Mitglied zu sein. Und auch andere Ex-Sowjetrepubliken, zum Beispiel Armenien oder Georgien, sollen näher an die europäische Gemeinschaft herangeführt werden.
Doch es gibt auch Kritiker, die Litauen einer solchen Mammutaufgabe nicht gewachsen sehen. Sie meinen, dass sich das kleine Land mit nur drei Millionen Einwohnern nicht durchsetzen kann und nicht in der Lage sei, die Richtung vorzugeben. Zumal Litauen auch in sehr große Fußstapfen treten wird – der Vorgänger Irland war bereits zum siebten Mal Ratspräsident und wird in dieser Rolle sehr geschätzt.
Und zu allem Übel muss sich Litauen nun den Vorwürfen massiver Menschenrechtsverletzungen stellen. Litauen solle „die Grundwerte der Europäischen Union betrügen, weil die Regierung sich weigert, Vorwürfe massiver Menschenrechtsverletzungen wie Verschwinden-lassen und Folter zu untersuchen“. Man verlangt von dem Land, das die Ratspräsidentschaft innehat, dass es Mut und Führungsqualitäten zeigt, dass es vorbildlich voranschreitet und sich mit Menschenrechtsverletzungen auseinander setzt und Wiedergutmachung leistet.
Es soll in dem Land zwei illegale CIA-Geheimgefängnisse gegeben haben, in dem Terrorverdächtige festgehalten worden sollen. Litauen ermittelte, legte die Ermittlungen allerdings nach kurzer Zeit wieder nieder und weigerte sich, trotz Drängen des Europäischen Parlaments, die Ermittlungen wieder aufzunehmen.
Doch in diesem Zusammenhang ist Litauen nicht das einzige „schwarze Schaf“ innerhalb der EU – es sollen elf weitere EU-Staaten an dem geheimen Entführungs- und Haftprogramm der CIA beteiligt sein, darunter auch Deutschland, Großbritannien, Spanien und Italien.
Die Rahmenbedingungen der ersten EU-Ratspräsidentschaft Litauens sind mit einem sehr starken und anerkannten Vorgänger und der Kontroverse um die CIA-Geheimgefängnisse nicht gerade optimal. Doch Litauen hat sich als erste Ex-Sowjetrepublik große Ziele gesteckt, gerade was die Annäherung zwischen der EU und ihren östlichen Partnern betrifft. In seiner ersten Ratspräsidentschaft wird Litauen sicherlich unter genauer Beobachtung stehen und in sechs Monate, zum Jahresende wird sich zeigen, ob Litauen die Ziele, die es sich selbst gesteckt hat, erfüllen und ob Litauen wirklich einen frischen Wind in die europäische Gemeinschaft bringen kann.