Litauen ist ein kleines Land - Lietuva yra mažas šalis
Litauen ist - mit anderen europäischen Ländern verglichen - ein kleines Land. Aber es geht immer noch kleiner, wie Spalva während eines Festivals in der Nähe von Šiauliai feststellt.
26.08.2010
Litauen ist, selbst in Europa, mit 3,3 Millionen Einwohnern ein kleines Land.
Dass Litauen nicht gerade groß ist, wissen die meisten Deutschen und selbst wenn es das einzige ist, was sie über dieses Land wissen.
Aber obwohl drei Millionen Einwohner nicht gerade viele sind, sind es, wenn man die Menschen als Individuen betrachtet und mit Mehring oder Burghausen vergleicht, doch eine ganze Menge - und so bin ich trotzdem überrascht über manche Ereignisse der vergangenen Woche.
Am Samstag gehe ich mit einigen anderen Freiwilligen aus ganz Litauen (außer mir und Mariela noch andere aus Kaunus, Klaipeda und Kurtuvene) auf ein sehr kleines Festival im Norden des Landes, in der Nähe von Siauliai. Die Stimmung ist hervorragend, es gibt ein paar Bands, litauisches Essen, selbst gebrautes Bier, Schlammfußball, bunte Gewänder und Gesichter und viel Peace and Love. Wieder einmal fühle ich mich so gut aufgehoben und genieße den freundlichen, offenen Umgang sowohl unter den Freiwilligen, als auch unter all den anderen Menschen auf dem Festival.
Als ich dort auf einem Baumstamm sitzend einen jungen Mann sehe, der sowohl mir, als auch Mariela, sehr bekannt vorkommt, gehen wir auf ihn zu. "Hey! Fancy meeting you here, what a coincidence. How are you?" - Keine Antwort, nur ein irritierter Blick. "We met last Sunday on our way back from Trakai to Vilnius?!" - "We know each other?" - "Yeah... I think so. You are that guy who told us about the fire dancing... Is that you? What was your name again?" - "Yeah, I do fire dancing... but I don't think we met. But wait, maybe it was my twin brother, Igor?" Und so war es auch gewesen. Noch nicht mal eine Woche zuvor hatten wir 300 km südlicher zufällig seinen Zwillingsbruder Igor auf unserem Weg von Trakai nach Vilius getroffen und uns für kurze Zeit mit ihm unterhalten, bis sich unsere Wege trennten. Was für ein Zufall, Litauen ist ja wirklich klein.
Doch es ist noch kleiner.
Gestern gehe ich nach der Arbeit kurz in den Hypermarkt (die Steigerung eines Super- und eines Megamarktes) Rimi bei uns um die Ecke, um einige Dinge für mein Abendessen und Anderes zu kaufen. Als ich bereits fünf Minuten vergeblich nach Briefumschlägen suche und mich eine Verkäuferin, die ich gewagt habe auf Litauisch zu fragen, ob sie Englisch spricht, mich schon so unfreundlich angeschnauzt hat, so dass ich etwas eingeschüchtert und verärgert bin, sehe ich plötzlich ein bekanntes, freundlich lächelndes Gesicht, das um eine Regalreihe biegt. Bis ich mich besinnen kann, kommt die Person auch schon wieder zurück – schon wieder ist es Igor, oder zumindest sieht er so aus. "Is it you, yourself or your twin brother?"
Diesmal war er es himself und gut eine Viertelstunde später stehe ich mit ihm, seinem Zwillingsbruder Konstantin – die beiden gleichen sich bis aufs für Feuertänzer erstaunlich lange Haar – und dessen Freundin in ihrem Proberaum, der aussieht wie ein karger, alter, kleiner Balletsaal, in einem Plattenbau circa 15 Gehminuten von meinem Wohnheim. Nach kurzen Zögern bekomme auch ich zwei von ihren vielen verschieden Seilen, Pendeln und Stäben (es fehlen mir die nötigen Fachwörter für ihre Ausrüstung) in die Hand und Igor zeigt mir die einfachste Bewegungen und Schritte. Zeitweise komme ich mir vor wie ein Volltrottel, vor allem dann, wenn ich die Gewichte an meinen Seilen mal wieder gegen den Kopf bekomme, während sich Igor und Konstantin neben mir synchron, mit wirbelnden Armen und in schnellen Bewegungen drehen, doch als ich es ein-, zweimal schaffe mich rückwärts und vorwärts zu drehen, ohne dass sich meine Seile verknoten, freue ich mich. Vielleicht werde ich öfter hierher kommen.
Als ich dann noch eine neue Studentin im Maxima (einer anderen Supermarktkette) kennen lerne, die in das Wohnheim 2 einziehen wird, mir "Marius, the friendly rapper" hilft bei einem Lietuvos Spauda (einem Art Zeitungskiosk) Briefumschläge zu kaufen, und mir ein zeitweiliger Nachbar im Wohnheim eine professionelle, kostenlose Massage anbietet, die ich dankend annehme, bin ich schon wieder so glücklich und kann nicht verstehen, warum mir Mariela und die anderen Volunteers gesagt haben, dass die jungen Litauer nicht offen und freundlich seien und nicht auf sie zu gehen.
Euphorisch erzähle ich all das Inga am nächsten Tag in der Arbeit, die sich natürlich für mich freut, doch sie reagiert auch verwundert: "You are so happy all the time that people are so friendly – Who did you expect to meet here, some kind of monsters?"
Und sie hat Recht. Ich freue mich wirklich über alle Maßen, nur wenn mich ein Fremder auf der Straße anlächelt, mir jemand den Weg sagt, mich der Wächter an der Pforte mit "Laba Diena" ("Guten Tag") grüßt. Woran das wohl liegt?
Ich freue mich vielleicht auch einfach nur daran, so viele Menschen zu sehen, die ich nicht kenne. Alleine in einer großen Stadt zu sein, in der man ständig Unbekannte treffen kann, Menschen beobachten kann, so viel Neues entdecken kann; allein das begeistert mich schon, hat mich in Deutschland schon begeistert. Wenn sich all das dann noch mit den Herausforderung einer fremden Sprache und Kultur, die es zu meistern gilt und den Eigenheiten eines neuen Landes, vermischt, bin ich anscheinend nicht mehr zu halten.
Mir soll's recht sein.