Listopad
Listopad-November, das Fallen der Blätter. Im Polnischen haben viele Monatsnamen auch eine inhaltliche Bedeutung.
Es ist wieder Herbst in Warschau. Der Schnee ist schon längst wieder weggetaut und seit zwei Wochen, oder länger, bedeckt ein grauer Schleier das Himmelszelt. Es ist trüb. Da Polen so viel weiter östlich liegt als Deutschland ist es nun schon um vier Uhr Nachmittags dunkel. Allerdings sollte das nun keine Einleitung für eine Klageschrift werden, denn insgesamt geht es mir hier immer noch, oder wieder gut. Immer mehr komme ich natürlich in den Alltagstrott, aber das ist denke ich ganz normal. Sehr viel Zeit verbringe ich im Bus oder an einer Haltestelle wo ich mal wieder lange warten muss, da wir so weit draußen wohnen, dass der Bus nur alle halbe Stunde kommt, und ich ab und zu schon frühere Busse verpasse. Man gewöhnt sich an alles.
Der November aber beginnt in Polen sehr interessant und feierlich mit Allerheiligen. Ein Fest, das es sehr wohl in Deutschland auch gibt; hier wirkt es aber fast wie ein Nationalfeiertag, da tatsächlich fast alle Polen unterwegs sind zum Friedhof um ihrer Toten zu gedenken. Deshalb sind auch die Straßen an diesem Tag sehr voll.
Apropos Nationalfeiertag. Der Tag der polnischen Unabhängigkeit ist nur 10 Tage später, dann, wenn bei uns in Deutschland Fasching beginnt.
Deshalb sangen wir in der Musiktherapie ungefähr zwei Wochen lang patriotische Lieder und irgendwie haben solche doch eine erhebende Wirkung, wenn es um Zusammenhalt und Gemeinschaft geht. Im Zusammenhang mit Krieg und der Tatsache, dass viele Menschen ihr Leben lassen mussten, bekommt das Ganze aber natürlich wieder eineandere Färbung. Sehr seltsam war auch die Situation, als mich unsere Musiktherapeutin fragte, ob es solche patriotischen Lieder denn auch in Deutschland gäbe und mir außer unserer Hymne keines einfiel. Es wurde doch viel schönes deutsches Liedgut von den Nationalsozialisten entwendet, entfremdet.
Hier ist, um nun auf den Titel zurückzukommen, gerade Listopad. Schon fast alle Blätter sind von den Bäumen und der Herbst neigt sich dem Ende zu.
Der Herbst wird oft als metaphorisch als letzter Abschnitt des Lebens dargestellt. In diesem Jahr wurde das für mich im eigentlichen Sinne wahr.
Vergangenen Donnerstag starb einer unserer Bewohner im Alter von 50 Jahren. Ganz plötztlich Abends. Meine Kollegen versuchten ihn wiederzubeleben, aber es war zu spät, auch die Sanitäter konnten ihm nicht mehr helfen. Und jetzt fehlt etwas. Jarek sagt mir nicht mehr jeden Morgen Czesc, er sitzt nicht mehr allein auf seinem Stuhl in der, zum Speisesaal hin, offenen Turnhalle. Niemand klaut nun die Teekanne und niemand antwortet Jurek, seinem Zimmergenossen, der es noch nicht verstanden hat, dass Jarek tot ist.
Ich habe ihn nicht sehr gut gekannt. Er war ein Einzelgänger. Dennoch war es traurig, aber auch besser für ihn, denn er war sehr krank. Sein Leben jedoch und seine letzten Tage hat er glaube ich sehr glücklich verbracht.
Das hoffe ich zumindest.