L’viv, czyli Breslau III
Jonannson erlebt Ukrainisches Ostern in L’viv: von Ostereier anmalen über Besuch des Freilichtmuseums bis zum Essen bei den Ukrainern – ein volles Programm. Da bleibt zu wenig Zeit für den Gottesdienst.
Sonntag
Nach Nudeln zum Frühstück wurden im Familienkreis Ostereier bemalt. Artem malte Autos und ich Blümchen! Und ich habe sogar ein paar von den Eiern gegessen, aus lauter Höflichkeit. Dann ging ich wieder in die Stadt, wieder mit Gottesdienstplänen, aber wieder wurde darauf nichts, weil wieder zu wenig Zeit war. Für 14 Uhr hatten wir uns nämlich für eine große Osterveranstaltung im ethnologischen Freiluftmuseum wieder verabredet.
Auf dem Weg ins Zentrum stolperte ich dann noch über einen mysteriös orientalisch gehaltenen, aber sonst nicht weiter beschrieben Krankenhausbau und erledigte eine Spionageaktion im Hotel L'viv. So blieb mir nicht mehr viel Zeit, die ich aber gebraucht hätte.
Ich warf einen Blick auf die große Oper, auf deren Dach der goldene Palmzweig in den Händen der Allegorie des Ruhmes in der Sonne dieses Superosterrsonntags strahlte. Auf dem langen Vorplatz eine Atmosphäre wie in Krakau. Mit Rummel und Vergnügen für die Menschen mit Feiertagsfreizeit. Sonne, Karussel, Ponys, Oma mit Enkel und Zuckerwatte am Springbrunnen, schöne Mädchen in Cafés machen davor Fotos. Ich wäre auch sauer diese Stadt zu verlieren.
Ich verstehe die passionierte Begeisterung, mit der Polen die Ukraine in Temperament und Geschichte als seelenverwandtes Volk betrachten, dem es nur ein wenig zu helfen gilt, um sich von Russland und Oligarchen zu befreien und den geraden Weg Richtung Westen und Wohlstand zu gehen, wie man selbst. Und ich verstehe die Frustration, dass sie nicht sofort mitkommen.
Die Ukraine scheint das gelobte Land für Kulturwissenschaftler zu sein. Hier braucht man nicht mehr als offene Augen um den Prozess einer nationalen Identitätsbildung zu beobachten. Die Sprache, die demonstrative Religiosität, das allgegenwärtige Bekenntnis zur Ukraine. Überall UPA Verherrlichung, und ich bin schon vom polnischen Patriotismus genervt. Und gleichzeitig eine kulturelle Offenheit, die sich nicht auf Restaurants und Souvenirläden beschränkt.
Da auch ich patriotischer Ukrainer sowie reicher polnischer Tourist bin, brauche ich ein Wischewanka. Also das traditionelle Hemd. Meist weiß mit farbigen Applikationen um Kragen und Ausschnitt. Wollte ich schon haben seit ich noch in Magdeburg ukrainischen Musikvideos kennen gelernt hatte. Auf einem Platz hinter der Oper ist ein auch heute rudimentär geöffneter Basar für Touristen. Hier sind Polen die reichen Ausländer, zum Glück aber nicht die superreichen, wie Briten und Deutschen. Die Preise steigen mit Akzent, aber zum Glück habe ich mit Polnisch noch ein bisschen Rabatt. Trotzdem ist ein Wischewanka einfach zu teuer. Wie schade das ist, zeigen mir alle Kirchen, die alle mit traditionellen Tüchern in gleichen Mustern verziert sind.
Ich schaffe es noch zum Marktplatz und der katholischen Kathedrale. Hier wird polnisch gepredigt. Gerade beginnt ein Dreifachüberfeiergottesdienst, denn es ist nicht nur Ostersonntag, auch wird eine neue Reliquie geliefert. Alleluja!
Neben der Kathedrale steht ein merkwürdiges kleines Gebäude, übersät von mitreißenden Steinmeißelungen. Aber schon ist es um zwei, ich erwische sogar die Straßenbahn, in der auch Vlad mit Familie fährt.
Die retten mich aus einer reichlich verwirrenden Situation. Kaum habe ich meine Fahrkarte entwertet, tippt mich ein Mann an die Schulter und reicht mir ein Bündel Geldscheine. Mein erster Schockgedanke ist, jetzt ist es doch passiert, hier im Osten, jemand hat mir das Portemonnaie geklaut, während ich naiver West-Rucksack-Vertrau-Den-Leuten-Tourist am Entwerten war. Aber das Portemonnaie ist noch da. Denke ich, hab ich Trottel Geld verloren. Aber ich zähle zweimal nach, alles noch da. Ich will dem Mann klar machen, dass das nicht mein Geld ist, aber er sagt nur ruhig irgendwas und zeigt nach vorne, bis ich vermute ich soll es weitergeben...aber wem und warum? Vlad erklärt mir dann: hier hat zwar keiner Geld und in der Straßenbahn trauen sich die Menschen kein Stück mehr über den Weg als in Polen. Aber wenn man keine Fahrkarte hat, gibt man einfach sein Geld Richtung Fahrer durch, und irgendwann kommt eine Ladung Tickets durch die Straßenbahn zurück. Geht alles.
Menschenmassen sind bereits auf dem Weg zum Museum. Und ganze Familien sind in Wischewankas gekleidet. Mit dem Bewusstsein für den Preis ist es also nicht nur ein Ausdruck von politischer Meinung, sondern auch von wirtschaftlichem Status. Das Museum liegt auf einem Hügel über der Stadt und ist unerwartet groß. Kirchen und Dörfer stehen in bequemem Abstand zwischen Wiese und Tann. Auf den Wiesen ist die Ukrainische Jugendorganisation in Aktion. Wie die polnischen Pfadfinder, nur mit dem frei übersetzten Motto die Ukraine über Alles. Traditionelle Spiele, wo man für die Ukraine kämpft und Lieder für die Kleinen, wie sie später mal eine Ukrainerin heiraten werden. Später trat eine Folkloreband raus, die Leute mit den schönen Mädchen die Geige spielen und singen, ukrainisches und polnisches und jüdisches Liedgut. Dazwischen kamen Freunde der Familie dazu, und Artem wurde müde und mochte keinen mehr.
Wie leid tat es mir zu gehen, doch war ich mit den Leuten verabredet, die ich aus dem Bus kannte. Die waren bei der Schwester der Ukrainerin zu essen, und trinken. Ich kam dazu und wir aßen und tranken noch weiter, wie es die Ukrainer seinerzeit in unserer Küche getan hatten. Natalia kann ein bisschen Bulgarisch und Claytong kennt Chalga, und auch Lukaschenko ziemlich gut.
Zum Abschluss machte ich eine Entdeckung: die Ukraine ist ja schon in einer anderen Zeitzone und es ist eine Stunde später. Und ich war ohnehin schon zu spät. Ohje...spät abends zu Deiner Gastfamilie, die auch noch einen kleinen Sohn hat. Nicht sehr professionell.