Kochbananen, Schildkröten-Babys und israelische Datteln ...
... habe ich noch nie gesehen. Während meine Freunde um die Welt reisten, zog ich 'nur' nach Frankreich. Und versuche jetzt vergeblich 10 Monate Freiwilligendienst in 4.000 Zeichen zu quetschen. Ich habe keinen Erfolg, finde nicht die Worte, um zu beschreiben, wie wichtig das letzte Jahr für mich war. Muss ich eigentlich auch nicht. Ich weiß es. Meine Freunde wissen es.
Stellen wir uns aber trotzdem einmal - so rein hypothetisch - folgende Situation vor ...
Wir sitzen barfuß im Garten, spielen Tischtennis und genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Es gibt Dosenbier, billigen Wein und auf dem Grill liegen Steaks und Tofu-Würstchen. Also eigentlich alles wie immer - wie vor einem Jahr. Doch die Gespräche haben sich geändert: Statt über den neuesten Gossip reden wir über ghanaische Kinder, israelische Autisten, Schildkröten-Babys in Costa Rica – und ganz am Rande über die (Schul-)Probleme von jungen Bauern in der Normandie.
Schon vor einem Jahr – kurz nach dem Abitur - saßen wir so zusammen. Voller Tatendrang. Die Anderen zog es in die weite Welt hinaus: Ghana, Chile, Australien, Israel, Costa Rica. Und ich ? Ich zog nach Frankreich – mehr oder weniger unüberlegt, weil ich für viele Programme aus Unentschlossenheit den Termin für die Bewerbungen schlichtweg verpasst habe. Ich sah also fast schon neidisch zu, wie die anderen Visen beantragten, sich impfen ließen, hebräisch lernten.
Ich war vorher noch nie in Frankreich gewesen, konnte kaum Französisch. Aber natürlich kannte ich die Klischees. Baguette. Fromage. Streik. Perfekt vorbereitet zog ich also in ein Dorf irgendwo in der Normandie, das ich nicht kannte, zu einem Mitbewohner, den ich noch nie vorher gesehen hatte, um an einer Schule zu arbeiten, deren Namen ich noch nicht einmal aussprechen konnte. Die letzten Minuten im Bus waren schrecklich. Ein Freitag und es regnete in Strömen. Ich verbrachte das Wochenende allein in meiner neuen Wohnung. Weit weg von Zuhause. Niemand da. Die anderen beobachteten Schildkröten am Strand von Costa Rica oder hörten meine Lieblingsmusik im australischen Outback. Sonntagabend kamen mir schließlich die Tränen. Mein Abenteuer Frankreich hatte noch nicht einmal begonnen, und ich sehnte mir schon wieder das Ende herbei.
In 10 Monaten Freiwilligendienst sollte dies das erste und letzte Wochenende gewesen sein, das ich allein verbringen musste. Die anderen Wochenenden (eigentlich auch die Wochentage) waren so vollgepackt, dass ich mir montags oft liebevoll gehässige Kommentare der Kollegen anhören musste. Meine Arbeit litt natürlich (fast) nie darunter, ich entsprach ganz dem deutschen Klischee. Ich lernte Menschen und Orte kennen, die ich heute nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken wage, feierte die besten, längsten und schrägsten Partys – auf Bauernhöfen, auf Lichtungen in dichten Wäldern, in irgendwelchen WGs, auf der Straße - war auf Festivals und habe mit meinen engsten Freunden die Nächte am See durchdiskutiert. Am letzten Morgen wachte ich so auf, wie ich an jenem Sonntag eingeschlafen war. Weinend. Jedoch umringt von all meinen Freunden.
Ich erzähle gern und viel von meinen Abenteuern: von Partys im Wald oder vom Trampen mit (noch) Fremden. Und so höre ich auch von den Anderen die tollsten Geschichten – Pinguine in Chile, Tanzen in Ghana. Aber mich berührt vielmehr das Unausgesproche; das, was sie (wir) nicht zuzugeben wagen: die Zweifel am Sinn unserer Tätigkeit; das Heimweh; die immer wiederkehrende Einsamkeit.
Natürlich ist das heute Abend kein Thema. Aber ich weiß, dass es ihnen auch so ging – auch wenn ich nicht täglich Kontakt hielt, in diesen wenigen Momenten waren wir uns plötzlich wieder so nah. Unsere Leben unterschieden sich grundlegend, aber unsere Situationen waren sich unglaublich ähnlich. Sie verstehen mich. Anders als meine Eltern. Es ist fast unmöglich, das letzte Jahr für meine Eltern nachvollziehbar zu machen. Ich finde einfach nicht die richtigen Worte für die Gefühle, die mir so bewusst und ihnen so fremd sind.
Mittlerweile sitze ich an unserem kleinem Lagerfeuer; Kartoffelsalat, Crêpes und Kochbananen auf dem Schoß. Ich bin nicht mehr neidisch. Vielleicht hätte mich die Arbeit mit Autisten in Israel oder Kindern in Ghana zu einem anderen, besseren Menschen gemacht. Vielleicht auch nicht. Doch in der Normandie musste ich erwachsen werden und gleichzeitig konnte ich so unbeschwert sein, wie noch nie zuvor.