Kein Platz für uns
Eine traurige Woche.
Freunde der Sonne… haltet euch mal ein bisschen zurück. Rumänien hat Warnstufe Orange bezüglich der Hitzewellen erreicht. Es. Ist. So. WARM. Ich schmelze hier weg in meinem Dachgeschosszimmer und die Kinder können nicht schlafen.
Abschied schmerzt
Hier geht es langsam merklich aufs Ende zu. Eine Menge Kinder kommen nicht mehr, drei davon aus unserer Gruppe. Tobiás wird erst im September zurückkehren. Kristóf konnte sich einfach nicht an die Gruppe gewöhnen, so dass seine Eltern ihn abgemeldet haben.
Und Petru ist gegangen.
Erst an seinem allerletzten Tag habe ich erfahren, dass er nicht zurückkehrt. Seine Eltern haben ihn in einem deutschen Kindergarten angemeldet.
Ich habe den ganzen Tag geweint, mit höchstens fünfminütigen Pausen - ich konnte Petru nicht ansehen, ohne dass mir wieder die Tränen kamen. Seine Haare sind so lang geworden. Als er im September kam, waren das fast nur Stoppeln. Damals, als er noch den ganzen Tag geweint hat. Ich kann mich noch haargenau an sein erstes Lachen erinnern, das er seitdem nicht mehr eingestellt hat. Daran, dass sein erstes Wort “Mama”, sein zweites “Wasser” und sein drittes “Lena” war, und auch an den Klang von meinem Namen mit seiner Stimme.
Nun ist er fort.
Jetzt weiß ich also, was unkonditionelle Liebe ist. Und sie tut weh.
70 Prozent
Dass er geht, habe ich bei unserem Meeting mit Lehel erfahren. Davor haben wir uns gefürchtet, denn wir trafen uns, um unseren finalen Bericht zu besprechen. Der fiel bei uns allen vieren… mäßig aus, gelinde gesagt. War so ein multiple-choice-Bogen, und wir haben eigentlich bei kaum einer Option etwas besseres als “eher unzufrieden” angekreuzt.
Lehel war natürlich nicht begeistert. Und versuchte sein Bestes, uns Punkt für Punkt zu überzeugen, etwas Besseres anzukreuzen. Aber wie! Es gab zum Beispiel eine Ankreuzliste an Erwartungen vom EFD (wie “In einem anderen Land leben”, “neue Freunde finden”, “eine Sprache lernen” etc.). Mit Alkie ging Lehel jeden ihrer Punkte durch und fragte sie, ob sie diese Erwartung erfüllt hatte oder nicht. Am Ende kamen sieben von zehn Erwartungen erfüllt raus. “Sieben von zehn sind 70%, solltest du dann nicht eher die viertbeste statt die drittbeste Option wählen?”. So ungefähr lief das. Wir schmetterten jeden einzelnen seiner Versuche ab, und am Ende sah er ein wenig verzweifelt aus.
How are you?
Donnerstag hat Jojo eine offene Englischstunde mit ihrer Gruppe gegeben. Süß war das. Sie fragte die Kinder, wie es ihnen geht, und alle sagten “angry”, um sich über sie lustig zu machen. Wenn doch unser Projekt nicht nur aus Putz- und Angestelltenaufgaben bestehen würde, wenn es regelmäßig so aussehen könnte, statt lediglich einige Wochen lang einmal wöchentlich für zehn Minuten, dann wäre ich hier sogar recht glücklich.
Danach gingen wir noch für Getränke aus. Ins Bulgakov! Irgendwie ist man ja doch ein bisschen mehr in der ungarischen Community drin. Jojo gab eine Runde Cocktails aus, acht Euro reichten für uns alle, stellt euch das mal in Deutschland vor.
Freitag stellte Emoke uns die neue Erzieherin vor (jap, zum dritten Mal in nicht einmal einem Jahr müssen neue Erzieher eingestellt werden, weil schon wieder alle kündigen - wer immer noch nicht glaubt, dass hier irgendwas gewaltig schief läuft, dem kann ich nichts mehr bieten). Sie wirkt ganz okay, was mir nur auf die Nerven ging war, dass sie die ganze Zeit Deutsch mit mir redete, obwohl Juliana dabei war.
Kein Platz
Im Sommer ist gut was los in Cluj. Diese Woche fand das Festival Jazz in the park statt. Und wer ist u.A. aufgetreten? Edina, von der Suppenküche! Ich war dabei, und sie singt zauberhaft!
Und außerdem… die erste Gay Pride Clujs. Ja, das war kein so toller Tag.
Habe euch ja erzählt, dass das Rathaus uns die Genehmigung einfach nicht geben wollte und erst nach viel internationalem Druck einknickte. Nun war die Parade um zehn Uhr morgens (!) kilometerweit außerhalb des Zentrums. Wir liefen - ohne Gesänge, Wagons, Musik oder irgendetwas - am Somesul Fluss entlang und dann zurück. Wow, na Glückwunsch - die Fische sind jetzt überzeugt von der Ehe für alle.
Viele Leute waren nicht da, aber mehr, als ich erwartet hätte, so um die 700. Simone von der Kita war mit ihren Eltern da! Ich fragte sie wieso sie hier ist - “weil Menschen sich lieb haben! Und ich liebe Szabi!”. Diese Familie ist einfach spitze.
Trotzdem war es eher deprimierend und sollte noch schlimmer kommen. Ich lief mit Marleen zurück, sie hielt eine kleine Regenbogenflagge von der Parade in der Hand. Gab mehr als genug angewiderte Blicke. Ein Fahrradfahrer, männlich, so um die 50, rief uns irgendwas auf Rumänisch hinterher. Was uns erstmal nur irritierte, solche Rufe kriege ich öfter wenn ich mit Regenbogenaccessoires draußen bin. Als der Mann anfing, uns zu folgen und am Arm zu greifen, wich die Irritation der Angst. Ich bat ihn mehrmals zu gehen, er redete nur weiter - werft die Flagge in den Müll, Rumänien hat keinen Platz für euch, was für ekelhafte Schwuchteln, ihr sterbt besser schnell damit die Hölle bald kommt.
“Rumänien hat keinen Platz für euch”. Aus irgendeinem Grund bekomme ich diesen Satz nicht mehr aus meinem Kopf, und seine vor Hass triefende Stimme. Mir wird übel wenn ich daran zurückdenke.
Polizeigewalt
Währenddessen sammelte sich um 13 Uhr im Zentrum der Gegenprotest zur Pride der Noua Dreaptă, neue Rechte (bei sowas ist ein zentraler Ort und eine normale Zeit wohl angemessen). Ich war längst zu Hause, zu verängstigt um überhaupt in die Innenstadt zu gehen, und bekam nur über soziale Medien mit was sich abspielte. Da standen sie alle und protestierten gegen Homosexualität, als ein Mädchen von der Pride mit dem Fahrrad auftauchte, umzingelt wurde und eine ziemlich emotionale Rede hielt. Die damit endete, dass die Polizei sie gegen ihren Willen gewaltsam auf den Asphalt drückte und ins Polizeiauto drängte.
Zum ersten Mal, seit ich gekommen bin, will ich nach Hause. Diese Angst, dieser offene Hass nicht nur gegen uns, sondern gegen so viele Bevölkerungsgruppen - Ungaren, Sinti und Roma, PoC... ich bin das alles so leid. EFD-Freiwillige halten ja ganz gern die Rede von wegen “Rumänien ist ja so ein schönes Land, die Berge, die gastfreundlichen Menschen, alles toll!!”. Zu einem schönen Land gehören mehr als Karpaten und selbstgemachter Käse. Rumänien ist sehr hübsch. Aber schön ist es nicht.
Noch nicht, zumindest. Ihr wisst ganz genau, wie wichtig mir meine Zeit hier war und wie sehr mir Cluj gefällt. Und das Potenzial ist da - ich habe großes Vertrauen in die junge Generation. Aber bis dahin hat Rumänien einen langen, langen Weg zur Schönheit vor sich.
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