Kamera und Action
Lotti hat in ihren zwei Monaten als Europäische Freiwillige in Belgien schon viel gelernt. Zum Beispiel, wie man Backpapier, Puderzucker und selbstklebende Klarsichtfolie pantomimisch darstellt.
Ist es nicht toll? Ich bin jetzt zwei Monate hier und habe so viel erlebt! Zwei Jahre Schule würden noch nichtmal ansatzweise das beinhalten, was ich in diesen zwei Monaten erlebt habe.
Ich war in Lille. Auf dem Weg dorthin bin ich mangels Kenntnis des Niederländischen (warum kann man in einem zweisprachigen Land nicht auch die Zugdurchsagen zweisprachig machen?) auf dem Abstellgleis gelandet und anschließend in der Zugwaschanlage. In Lille war ich bei einer Erasmusparty, habe auf dem Marktplatz zusammen mit vielen anderen 100 Menschen getanzt, habe Leute aus aller Welt kennen gelernt und Freundschaften geschlossen.
Ich war zweimal am Meer, war segeln, war baden (danach krank, war ja klar, sollte man vielleicht auch nicht im Oktober in der Nordsee machen).
Ich war im Atomium.
Saß alleine auf einem Platz und habe Nägel in eine Papprolle geschlagen.
Habe internationale Bekanntschaften gemacht.
Eine Mitbewohnerin ein- und ausziehen gesehen.
Französisch verfestigt.
Mich in der Kommune angemeldet.
Im Supermarkt nach Backpapier gefragt (wenn man nicht weiß, was Backpapier auf Französisch heißt ist das seeehr schwer zu erklären, auch mein Versuch es niederländisch auszusprechen ist gescheitert, erst Pantomime half), Ähnliches gilt auch für selbstklebende Klarsichtfolie und Puderzucker.
Habe ein Konto eröffnet.
Einen Vertrag für’s Handy abgeschlossen. Na ja fast, dabei hab ich mich sogar mit dem Handyladenmann nett unterhalten, was schließlich dazu führte, dass ich mit seiner Cousine telefonierte, die "Unterhachingen" Deutsch ausgesprochen hat, weil dort eine andere Cousine wohnt.
Werde unglaublich selbstständig.
Verlaufe mich nicht mehr im Brüssler Zentrum.
War bei unser aller zentralen Schaltstelle: Dem Europäischen Parlament, unerhört und unglaublich, was das ist und wie viel und vor allem wie hässlich...
Habe Bekanntschaft mit Mädchen aus dem Jungendknast gemacht.
Und mit einem Mann vom belgischen Militär.
War bei einem Halloweenumzug von 150 Kindern.
Alles so neu alles so toll! Ich liebe es, in der Fremde zu sein. Doch...
...dann kommen wieder die Momente, in denen man seine Freunde vermisst, die vertraute Umgebung, das Gewöhnliche und das Bekannte. ...da ist das Gefühl, selbst umgeben von lauter Belgiern ganz alleine zu sein, weil man niemanden versteht. ...da ist der Verlust der Persönlichkeit aufgrund mangelnder Sprachfähigkeit (auch wenn’s immer besser wird, man ist nicht die gleiche Person. Man kann der Unterhaltung von mehreren Personen kaum folgen. Wenn man es verstanden hat, dann kann man nichts dazufügen, oder braucht länger, um den Satz ins Französische umzudenken und dann ist der Moment auch schon vorbei!)
...da ist dieses sch*** Wetter, das dem November alle Ehre macht.
ABER: Bald ist Weihnachten, freue mich darauf und alle Freunde und Familienmitglieder wieder zu sehen und danach geht’s in die zweite Runde, gestärkt und gesättigt (hoffe ich doch mal). Freue mich so auf Weihnachten, wie schon seit acht Jahren nicht mehr...
Und bis dahin, mehr davon, mehr Action...