Israel auf Persisch VI: Shiraz - Familienleben im Iran
Monate der gewissenhaften und bis ins kleinste Detail ausgetüftelten Planung liegen hinter mir, denn ich habe eine aussergewöhnliche Reise unternommen: 2 Wochen Iran! Aber damit nicht genug - meine nächste Destination war ausgerechnet Israel...
Unsere letzte und suedlichste Station im Iran war die Stadt Shiraz, in der auf Grund der islamischen Gesetzgebung leider kein Wein mehr produziert wird (zumindest nicht offiziell). Auch hier hatten wir wieder mit einer netten Couchsurferin Kontakt aufgenommen - leider musste sie spontan das Wochenende in Teheran verbringen. Trotzdem erlaubte sie uns auch weiterhin, ihre Wohnung zu nutzen; ihre Eltern wohnten direkt darueber und wuerden uns bei allen Problemen helfen. So hatten wir also ein privates Apartment in zentraler Lage ganz fuer uns! Und damit wir nicht alleine waeren, hatte uns Maja auch noch einen Ersatz-Stadtfuehrer ueber Couchsurfing organisiert!
Dieser holte uns mit seinem Auto ab und fuhr mit uns zum Grab des beruehmten Poeten Hafez, eingebettet in einen wirklich schoenen Park, der ein besonders beliebter Treffpunkt fuer Paerchen ist. Im anliegenden Cafe tranken wir zunaechst Tee und versuchten, mit unseren neuen Bekannten zu kommunizieren, was uns mehr schlecht als recht gelang, da seine Englischkenntnisse nicht mit seinem Mitteilungsbedarf kompatibel schienen. Tatsaechlich war er uns eher unangenehm - selbstverstaendlich ging er davon aus, dass wir ihm alles bezahlten, und erzaehlte uns ungefragt von einer Couchsurferin, die anscheinend in Yazd vergewaltigt worden war.
So schoen der Ort also auch war, den er uns zeigte (auch wenn er ueber die Grabstaette selbst kein Wort verlor), so wenig begeistert waren wir von seinem Vorschlag, ihn anschliessend auf eine Familienfeier zu begleiten (besonders nach seiner Ankuendigung, sein Englisch sei das Beste in seiner Familie). Wir liessen uns dann doch auf eine halbe Stunde festnageln, und nachdem wir seine Frau und seinen Sohn abgeholt hatten, landeten wir im Haus seines Bruders - und alles kam ganz anders als erwartet!
Tatsaechlich war der gesamte engere Familienkreis anwesend, inklusive (gluecklicherweise) einer Nichte, die sehr gut Englisch sprach und von nun an das Uebersetzen uebernahm (bis auf unsere Brocken Farsi, wie "hallo", "danke" und "sehr lecker"). Wir wurden unglaublich lieb begruesst, und zunaechst im grossen Kreis der Familie dutzende Male fotografiert. Anschliessend wurde ein selbstgemachter Aperitiv gereicht, der im Abgang leicht an Terpentin erinnerte; zum Betaeuben des edlen Troepfchens gab es Joghurt mit Gurke. Das Essen war - zufaellig! - sehr Vegetarier-freundlich und bestand zu einem grossen Teil aus Dolma (mit Reis gefuellte Weinblaetter mit Granatapfelkernen und gemahlenen Walnuessen), Salat und Reis.
Wir blieben am Ende mehr als 4 Stunden, uebten mit der kleinsten der Nichten Englisch und unterhielten uns so gut wie moeglich mit dem Rest der Familie, was dank unserer charmanten Uebersetzerin Shima gut funktionierte. Sie und ihre Freundin nahmen uns am Ende auch mit nach Hause; unterwegs holten wir noch ihren Freund ab und fuhren so ziemlich gequetscht und gut gelaunt zurueck. Die Maedels erzaehlten uns, wie genervt sie von den Kleider- und sonstigen Vorschriften waren, wie sie am Wochenende Parties feierten und ihre Eltern es vollkommen in Ordnung fanden, dass sie Beziehungen hatten. Die beiden sahen unter ihren langen Trenchcoats auch vollkommen europaeisch aus und waren nicht einmal sehr stark geschminkt im nationalen Vergleich. (Man sieht wirklich haeufig Menschen beiden Geschlechts mit einem Pflaster auf der Nase, weil sie sich diese operieren lassen haben - angeblich hat das Land die hoechste Quote von Schoenheits-OPs der Welt!).
Am naechsten Morgen wollten wir eigentlich schoen fruehstuecken gehen; da allerdings Freitag war, waren fast alle Geschaefte und Restaurants geschlossen, und am Ende teilten wir uns eine Familienpizza auf dem Parkplatz des Restaurants (in Shiraz gibt es echt an jeder Ecke amerikanisches Fast Food). Anschliessend trafen wir uns mit Melisa von der Zugfahrt und ihrer Familie, um gemeinsam Persepolis zu besuchen (es gibt uebrigens eine gleichnamige Graphic-Novel-Verfilmung, die grossartig und zudem geeignet ist, den Iran besser zu verstehen). Ihre Schwester Solmaz, die auch mit dabei war, ist Englischlehrerin und somit war auch hier die Kommunikation gesichert.
Auf dem Gelaende angekommen zahlte Melisas Mann die Eintrittskarten fuer alle, obwohl wir als Touristen viel mehr bezahlen mussten. Von ploetzlicher Muedigkeit uebermannt kauften wir erst einmal einen Kaffee; anschliessend bemerkten wir, dass alles fuer Touristen das Dreifache kostete und liessen uns zukuenftige Getraenke von Iranern mitbringen.
Persepolis ist die ehemalige Hauptstadt des persischen Imperiums und eines der kulturellen Zentren des Landes. Da es allerdings nichts mit dem Islam zu tun hat, versteht es die Regierung eher als wirtschaftliches Projekt, teilte uns Melisa mit, und vernachlaessigt es dementsprechend; nur mit Spenden und freiwilligen Helfern kann es in diesem Masse erhalten bleiben, und Diebstaehle sind keine Seltenheit. Trotzdem ist es beeindruckend - auf dem malerisch von Bergen umgebenen Gelaende finden sich gut erhaltene Ruinen und Zeugnisse. Ein spannendes Detail war beispielsweise, dass beim Bau auch Frauen in allen erdenklichen Positionen taetig waren und gleichwertig bezahlt wurden - ganz anders als im heutigen Iran, wie Melisa bitter feststellte.
Nach dem wunderschoenen Ausflug verabredeten wir uns mit Solmaz fuer eine Stadtfuehrung am naechsten Tag und wurden von Melisa und ihrer Familie am Grab eines weiteren wichtigen Poeten abgesetzt, namentlich Said. Auch dieses Grabmahl war wirklich schoen, und ohne unseren aufdringlichen Begleiter konnten wir die Atmosphaere diesmal wirklich geniessen. Anschliessend probierten wir noch das traditionelle Eis; fuer die Veganer gab es immerhin frisch gepressten Moehrensaft.
Zum Abendessen hatten wir uns ein Restaurant in der Naehe des Bazars ausgesucht, dass wir allerdings erst nach etwa einer Stunde Suche fanden. Im Dunkeln und mit geschlossenen Staenden war der sonst so bunte Markt ploetzlich duester und unfreundlich; aermlich aussehende Maenner bevoelkerten ihn und starrten uns an, als wir an ihnen vorbei hasteten. Wir hielten uns an zwei andere (maennliche) Touristen, bis wir wieder auf der Hauptstrasse waren.
Das Sharzeh Restaurant bietet vor allen Dingen Fleischgerichte an; dazu gehoert jedoch immer ein All-You-Can-Eat Salatbuffet und natuerlich unser geliebtes Lappenbrot, das man guenstig auch ohne Hauptgericht bestellen konnte. Unter dem Klang live vorgetragener traditioneller Musik fuellten wir unsere Maegen fast bis zum Platzen und bekamen als Dessert noch einige fruchtige Pralinen gereicht.
Auf dem Rueckweg fanden wir am Fort der Stadt noch einige Falafelstaende vor und wurden auch hier noch zum Probieren "genoetigt" (lecker!); auf Grund des einsetzenden Regens nahmen wir uns ein Taxi zurueck zu Majas Wohnung. Ausgelassen wie wir waren benutzten wir unseren Sprachfuehrer dazu, unseren Taxifahrer ordentlich zu verwirren, indem wir ihn aufforderten, nicht so viel zu hupen (er hupte nicht) oder uns die Speisekarte zu bringen. Ihm gefiel das Spiel augenscheinlich so gut, dass er mitten auf der Strasse ploetzlich anhielt und fuer alle Schokoladenbonbons aus dem Kofferraum holte. Auch, dass wir uns bereits drei Mal verfahren hatten, schien in nicht zu kuemmern.
Nach einem ordentlichen Verdauungsschlaf wollten wir uns am naechsten Morgen mit Solmaz am Bazar treffen. Wir verliefen uns leider und schafften es daher nicht mehr, zu fruehstuecken; wir kauften Lappen, Oliven und die landestypische Karottenmarmelade fuer spater. Mit Solmaz besichtigten wir zunaechst das Fort, dann liessen wir uns auf dem Bazar an einem Teestand nieder und fruehstueckten. Nach einer ausgiebigen Runde ueber den wirklich schoenen Bazar fuhren wir zu Solmaz' Wohnung zum Mittagessen: Sie hatte den ganzen Morgen in der Kueche verbracht und Ghorme Sabzi, diverse Beilagen und vegetarische Pasta zubereitet.
Bei diesem ausgiebigen Essen erfuhren wir mehr ueber ihre Familie und das Leben als Nichtmuslime im Iran. Sowohl Melisa als auch Solmaz lebten die Baha'i-Religion so aktiv wie eben moeglich, Melisa besuchte sogar Versammlungen im Ausland. Der Zugang zu den meisten Universitaeten bleibt ihnen verwehrt, viele wandern jung in die USA aus; so auch Melisas Sohn. Auch Solmaz wuenschte sich fuer ihre beiden kleinen Kinder, dass sie eines Tages im Ausland frei leben koennen, auch wenn ihr die Distanz natuerlich schwer fallen wird.
Mit der ganzen Familie machten wir eine kleine Stadtfuehrung im Auto, dann beendeten wir unsere Bazarrunde und tranken am Ende noch einen Tee in einem gemuetlichen Kaffeehaus direkt am Markt. Melisas Mann fuhr uns zurueck zu Maja, und als der Vater uns hereinliess erlebten wir herrlichstes "Tar'of": Der Vater bestand darauf, die Familie ins Haus einzuladen, woraufhin Solmaz und ihr Mann vehement sagten, dass sei zu freundlich und sie koennen es nicht annehmen. Nach einigem Hin und Her verabschiedeten wir uns von ihnen, schenkten noch etwas deutsche Schokolade und bedankten uns Tausend Mal.
Majas Vater ueberraschte uns beim Packen mit Tee und iranischen Suessigkeiten und bestand schliesslich darauf, uns zum Busbahnhof zu fahren. Wir hinterliessen eine grosse Packung Schokolade und einen Abschiedsbrief auf "Farsi", den wir sicherheitshalber noch einmal auf Englisch uebersetzten, damit zumindest Maja ihn verstehen wuerde. Am Bahnhof wartete schon ein dunkelroter Bus auf uns - unser Bett fuer die Nacht auf dem Weg nach Teheran!