In die Berge!
Juliane verlässt den Beton und betritt unbekannte Pfade - mitten ins Fagarasch-Gebirge. Ein kleines Abenteuer.
Wir haben ein paar Tage frei und wollen wandern gehen; zu viert ins Fagarasch-Gebirge, dem Südausläufer der Karpaten. Mit dem Zug geht’s nach Avrig, ein Nest zwischen Fagarasch und Sibiu, aber immerhin, der Accelerat hält dort. Ein paar nette Roma nehmen uns und unsere Rucksäcke auf ihrer Pferdekaruzze für nette 100.000 Lei bis Racovitza mit. Da es in jedem noch so kleinen Dorf einen Lebensmittelladen gibt, kaufen wir hier noch Wasser und Müllsäcke (falls es regnen sollte).
Der Anfang unserer Wanderung gestaltet sich mit schlechter Karte und keinen Wegmarkierungen etwas schwierig. Wir raten uns durch die Landschaft. Aus dem Dorf hinaus, in den Wald hinein. Ein Weg ist da, wird schon stimmen. Mückengejagt gönnen wir uns kaum eine Pause. Ab und zu finden sich sogar rote Zeichen an den Bäumen, die wir gut und vor allem gerne als Wegmarken bezeichnen. Trotzdem enden immer wieder Pfade im Gebüsch, sodass wir andere Wege suchen müssen - und kein Mensch nirgends, den wir hätten um Rat fragen können.
Aber schließlich gelangen wir doch auf einen breiteren Pfad, der frisch getünchte Markierungen aufweist. Wir wollen eigentlich bis zu einer Schutzhütte wandern, aber als um 21.00 Uhr der allererste Wegweiser auftaucht und verkündet, wir müssten noch eine Stunde bis zur Schutzhütte gehen, schlagen wir doch unsere Zelte im Wald auf.
Am nächsten Morgen beim Frühstück kommen zwei ältere Männer mit einem bepackten Esel vorbei. Zu Schäfern weiter oben wollen sie. Gerne halten sie bei uns für einen Schwatz und eine Zigarette an. Oft begegnen sie wahrscheinlich keinen Wanderern und schon gar nicht welchen aus fremden Landen. Als wir die Schutzhütte schließlich erreichen, bietet sich ein eher trauriges Bild: verwahrlost sieht es aus, dreckig, Müll liegt überall herum, die Betten sind kaputt und die Matratzen versifft – wahrscheinlich hätten wir so oder so in unseren Zelten übernachtet. Wann waren wohl die letzten Wanderer hier? 2003 oder 2002? Aus dem Zustand der Zigarettenschachteln und der Plasteflaschen, die man immer wieder am Wegrand findet und aus den in die Bäume geschnittenen Namen und Daten kann man sich jedenfalls so Einiges zusammenreimen.
Nach einer kleinen Pause geht es weiter auf den Kamm, ca. 2200 Meter hoch, und schließlich - was für ein Anblick: kein Mensch weit und breit, nur wir, ein paar entfernte Schafe – und die Berge! Und: Ronja-Räubertochter-Frühlingsschreie...
Auf dem Kamm trennen wir uns, zwei gehen weiter in die Berge und Maria und ich in die entgegen gesetzte Richtung. In zwei Tagen müssen wir wieder in Bukarest sein. Auf dem Kamm geht es sich herrlich: Weite vor den Augen, Wanderstab in der Hand und alles nötige im Rucksack auf dem Rücken – ach!
Nur ab und zu Schäfer mit ihren Hunden. Letztere kommen sofort angebellt und wir versuchen ganz ruhig weiterzugehen, schauen an ihnen vorbei und murmeln vor uns hin (Guter Hund! Wir wollen kein Schaf, wir wollen nur vorbei…). Wenn man Glück hat, sorgen sich auch die Schäfer ein bisschen und pfeifen ihre Hunde zurück. Wie gesagt, wenn man Glück hat. Was muss das für ein Leben sein, den gesamten Sommer da oben in so einer armseligen Hütte. Schafe tagein, tagaus. Kaum mal eine andere Menschenseele.
Für die Nacht suchen wir uns einen netten Schlafplatz auf einer Wiese in einer kleinen Kuhle. (Tolles Panorama beim Pinkeln und Zähneputzen!) Ein bisschen bange ist uns schon, so weit weg von Dörfern und doch so nah bei fremden Schäfern zu übernachten. In unseren Schlafsäcken liegend horchen wir angestrengt nach draußen. Und schlafen ein.
Morgens in aller Frühe kommen wirklich Schafe vorbeigebimmelt, aber kein Schäfer guckt neugierig ins Zelt. Nach dem Frühstück wandern wir talabwärts, baden in einem Bergbach und finden sogar ein paar Heidelbeeren. Jetzt begegnen wir auch immer mal wieder Leuten, die uns alle fragen, ob wir gerade aus den Bergen kämen und ob wir denn allein unterwegs gewesen? – Ja. – O Gott, hattet ihr denn keine Angst? – Nein, wovor denn? – Na, vor Wolf und Bär und Vagabunden? – …?!
Nur gut, dass wir das nicht vorher wussten, dass wir noch mehr Angst hätten haben können.