"Home" ist, wenn wir Macarena tanzen
Neun Wochen ihres Freiwilligendienstes in Nordirland sind vorüber und dasfraeuleintanzt hat viel zu erzählen. Von Zweifeln und vom Angekommensein.
Zugegeben, zwei Monate Pause zwischen zwei Blogeinträgen sind schon ziemlich viel. Während andere alle zwei Wochen ein elektronisches Emotionsupdate nach Hause schicken, beginne ich in meiner neunten Woche hier vorsichtig tastende Tastaturversuche. Also Hi erstmal. Ich melde mich wieder.
Ein bisschen Routine
Neun Wochen sind lang. Da ist viel passiert. Ich habe schon viermal meine Bettwäsche gewaschen, fünfmal Spaghetti mit Tomatensoße gegessen, aber noch nicht einmal richtiges Vollkornbrot. Vorige Woche habe ich zum ersten Mal meine Winterstiefel rausgekramt. Ich nicke den Touristenführern zu, die vor dem Rathaus ihre Morgenzigarette teilen, ich weiß, wo es das billigste Bier gibt und ich kenne die Abkürzung zwischen Tesco und Bushalte. Gestern auf dem Weg zur Arbeit hat mein Atem weiße Wölkchen gebildet. Wenn ich von unserem Haus in der Rushfield Avenue spreche, dann sage ich „home“. Aber fühle ich mich hier wirklich zu Hause? Manchmal weiß ich es selber nicht. Und müsste ich einen Wetterbericht abgeben, dann wäre der durchwachsen, durchmischt, drunter und drüber. Sonne, Regen, Regenbogen – alles auf einmal.
Holprige Ankunft
Meine Ankunft in Belfast ist kalt, windig und peinlich. Nachdem meine Mitfreiwillige Clara und ich den Bus in Dublin nur knapp erreicht haben, werden wir von Tereza, meiner Mitbewohnerin und unserer Mentorin Mary abgeholt. Ich hatte Mary vorgewarnt: Die Sache mit meinem Gepäck würde schwierig werden. Schließlich zieht sie humpelnd meinen 25 Kilo schweren Trolli, der eigentlich nur noch ein Koffer mit abgebrochener Ausziehstange ist, hinter sich her, während ich meinen Rucksack karre. Clara, eine Hand lässig an ihrem Mikrominimakrotrolli mit vier einwandfrei rotierenden Rollen, grinst mich fröhlich an. Meine Backen sind feuerrot, muss an der unerwarteten Kälte hier liegen…
Willkommenswärme
Die anderen Freiwilligen begrüßen uns dafür umso wärmer. Insgesamt unterhält Bryson, meine nordirische Entsendeorganisation, drei Volunteer- Häuser in Südbelfast. Alle fügen sich gut ins sehr abwechslungsreiche Straßenbild –roter Backstein, Erker, Minivorgarten, schön in einer Reihe- und alle bieten Platz für jeweils fünf Freiwillige aus ganz Europa. Unser Haus ist voll. Ganz unten lebt Cinzia. Die Italienerin hat eine Gehbehinderung, um die Treppe zum Badezimmer hochzusteigen braucht sie fünf Minuten. Fünf Minuten, in denen sie sich sofort meinen Respekt verdient. Eigentlich ist sie schon mit ihrem EVS fertig, will aber in Belfast bleiben. Dann ist da Tereza, die Tschechin mit der ich mich auf Anhieb gut verstehe und die schon seit einem halben Jahr hier ist. Joszef, der Spanier, dessen Englisch niemand so wirklich versteht und der deutschen Gangsterrap hört, den er nicht versteht. Aber ich. Und Marion, eine Französin, die im Zimmer neben mir wohnt und selbst nachts um eins noch so laut und ansteckend lacht, dass ich grinsend in meinem Bett liege. Nach nicht mal einer Stunde in meiner neuen WG bin ich auf facebook Mitglied von „Rushfield Pride“ und Tereza macht Witze über meine Schuhe. Herzlich Willkommen.
Es geht auch so
Während der ersten Tage hier fühle ich mich wie ein Marmeladenglas ohne Deckel. Bestimmt fünfzig neue Namen, neue Gesichter, eine Stadtführung, Formulare, die ausgefüllt und Hände, die geschüttelt werden müssen aber vor allem Party um Party… Das sind so viele neue Eindrücke, dass ich das Gefühl habe, ich krieg den Deckel nicht mehr aufs Glas. Dazu kommt, dass der hygienische Standard eines Hauses, in dem seit knapp acht Jahren Menschen aus verschiedensten Nationen leben, nicht unbedingt dem deutscher Mittelstandshaushalte entspricht. Es braucht ein bisschen Zeit, bis man sich nach dem Duschen zwischen vom Schimmel schwarz gefärbten Fließen sauber fühlt, bis man herausgefunden hat, wie man auch ohne Schreibtisch produktiv schreiben und ohne Temperaturanzeige am Ofen nicht mal ganz so verbrannte Muffins backen kann. Aber: Es geht auch so. Vielleicht ist das eine der wichtigsten Erfahrungen, die ich bislang hier gemacht habe.
Grenzen überwinden
„Bis vor zwei Wochen hätte ich mich nicht unbedingt auf ein Gespräch mit einem Deutschen eingelassen“, sagt Hadrien und streckt Cornelius die Zunge raus. Der Franzose spricht auf unserem gemeinsamen „On-arrival“-Seminar über Vorurteile und Stereotypen. Sechzehn junge Europäer*innen aus sieben verschiedenen Ländern in einem Raum, angeleitet von drei waschechten Nordiren. Es sind drei Tage voller interessanter Gespräche über Europa, den EVS, Heimweh und kulturelle Unterschiede, die wir gemeinsam in einer Jugendherberge in Bushmills an der Nordküste verbringen. Und die uns zeigen: Es gibt auch in einem vereinigten Europa noch Barrieren. Kulturell, sprachlich, historisch. Aber irgendwie berührt mich das, was Hadrien sagt, auch. Der EVS überwindet solche Barrieren, da sind wir uns nach dem Wochenende einig. Auch die aus Stein. An unserem letzten Tag klettern wir gemeinsam auf den Giant`s Causeway, über die Carrick-a-Rede Bridge und schlafen bei strahlendem Sonnenschein im Hafen von Ballintoy ein. Ein paar Haupttouriattraktionen sind so schon mal abgehakt und ach ja, ich habe einen Sonnenbrand. In Irland. Dem Land, in dem es immer regnet.
Daheim sein
Das Wochenende bietet uns auch Zeit, über unsere Einsatzstellen nachzudenken. Und während Fritzi begeistert von der Jugendarbeit in der YMCA und Theresa vom Samensammeln in der Baumschule erzählt, kaue ich gedankenverloren an der Spitze meines Bleistifts (ja, ich weiß.). Der Gedanke an mein Projekt hinterlässt ein seltsames Gefühl. Die Arbeit im Frauenhaus, dem refuge, ist interessant, manchmal langweilig und manchmal wirklich belastend. Blaue Flecken, Drogen und flatternde Unionjacks - die soziale Situation hier ist so vielschichtig, dass sie sich nicht in ein paar Zeilen quetschen lässt, sondern einen eigenen Blogeintrag verdient hat.
Und auch wenn meine Arbeit nicht immer erfüllend ist, meine Freizeit ist es schon. Belfast ist ein Ort voller Möglichkeiten. Ich habe angefangen Contemporary zu tanzen und lerne Sprachen. Wir helfen als Freiwillige bei den zahlreichen Kulturveranstaltungen und versuchen jedes Freigetränk der Stadt abzugreifen… Wir feiern die Wochenenden und motivieren uns gegenseitig am Montagmorgen. Und dann verstehe ich, dass „home“ vielleicht nur ein kurzer Moment ist. Wenn zehn Menschen aus verschiedenen Nationen die spanische Macarena tanzen, zum Beispiel, oder wir lachend auf Zeichensprache versuchen „Handstaubsauger“ zu übersetzen. Es gibt diese Momente und die, in denen man lieber woanders wäre. Das ist nicht anders als daheim.
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