Helsinki III
Planlos durch die Stadt mit Samba, Hochzeit und Musik aus Senegal...
Das Hostel hat lange Flure wie ein Gefängnis und vier Leute passen in eine Zelle und auf dem Gemeinschaftsklo ganz ganz hinten am Flurende gibt es Lautsprecher. Aus denen kommt Vogelgezwitscher. Beim Augenschließen hat man dann das Gefühl, im Wald zu kacken. Und damit wir vor Müdigkeit nicht den Tag vertrödeln, gehen wir sogleich in die Stadt. Ziellos, ohne vorgeschriebene Richtung und immer die Kirchenspitze im Visier, denn no plans are good plans. Wir passieren einen Marktstand am Wasser, der viel zu teuer ist. Wir passieren einen Mc Donalds – für viele aus der Gruppe die Frühstücksquelle an diesem Tag und drei Meter weiter machen wir Rast bei Robert’s Coffee – sehr sehr gut schmeckt der Lattemacciatochino dort übrigens (was nicht nur am Namen liegt).
Die Straßen voller Leben und die Sonne durchbricht langsam die Wolkendecke, als wir aus Richtung Platz der weißen Kirche (es gibt einen zentralen Platz in Helsinki, da steht ‘ne riesige weiße Kirche) Trommelwirbel hören, der sich an Häuserfassaden entlanghangelnd unsere Ohren erreicht. Von weit weg können wir es schon hören. Und umgeben von dutzenden tanzenden Finnen feuert eine kleine Truppe Sambaspieler ihre Takte durch die Luft. Und wir tanzen mit. Über Straßen und rote Ampeln und durch die Passage, wo für fünf Minuten jeglicher Einkauf lahmgelegt wird, weil in engen Gängen sich der Schall verstärkend kraftvoll jegliche Ordnung lahmlegt. Wenn vierzig Leute tanzen, als wäre es der letzte Tag, so ist das einer dieser Momente, denen man Dankbarkeit schuldet. Man läuft durch eine fremde Stadt und trifft tanzende Menschen – was gibt es schöneres.
Die Sonne steht mittlerweile am delikatblauen Himmel, die Wolken haben sich verkrochen und vor der großen, weißen Kirche parkt ein weinroter alter Ralleywagen mit rosa Schlaufe ums Blech und einem zierlichen Schwanz aus zusammengebundenem Blechdosen. Die Kirchentür öffnet sich und die ganze feine Gesellschaft strömt aus der Kirche hinaus, der Fotograf geht in Position und so wartet man gespannt auf’s frisch mit Gottes Segen beschenkte Paar. Blumen werden nicht geworfen, Reis auch nicht. In Finnland pustet man Seifenblasen. Wohl in der Hoffnung, dass die Liebe länger hält als jene zum Platzen verurteilten Kugeln, die der Wind fünf Meter durch die Stadt trägt. Die ganze Situation hat den Anstrich einer bitteren biederen Strenge, die mir so nicht geheuer wäre – wäre es ein Film, hätte man diesen Moment gut mit einem Lied von Tom Waits untermalen können (ich denke da gerade an Heart Attack and Vine). Aber Vielleicht läuft es ja im Autoradio, wenn das Hochzeitspaar darin auf den Kopfsteinpflasterstraßen ihrer Träume davonfährt.
Weiter durch Helsinki. In einem Kiosk an einer Häuserecke kaufen wir eine Kola mit Cherryflavour, die komisch schmeckt und eigentlich wollen wir nur an einem See, der auf der Touristenkarte relativ zentral in der Mitte liegt. Aber wir kommen nicht weit, denn zwischen Hauptbahnhof und botanischem Garten ist – Gott, wie hätten wir das denn wissen sollen – ein Festival! Das Global Village Festival gastiert mitten in der Innenstadt. Geil, dort tanzen keine 40 Leute, sondern 3.000 und es kostet nix und auf der Bühne steht eine Band aus Senegal, ( Daara J Family ) die irgendwas zwischen Hip Hop und Reggae Beat Box musiziert und alle Leute ansteckt und alle recken und strecken die Arme in die Luft und rasten vor der Bühne aus. Oh herrlich, dieser Anblick feiernder Leute und dieser Moment zufällig und wahllos entdeckt und um ihn zu verschönern, hole ich mir ein Bier (exakt 568 ml) für 6 Euro und stelle mich in die Meute, nicke mit dem Kopf, steh auf einem Bein und gebe meinen Freunden einen Schluck aus meinem Becher. Das muss man sich mal vorstellen: da fährt man planlos nach Helsinki und trifft Samba, ne Hochzeit und ein Festival mit übelst vielen Fressbuden.
Und dann im Zelt, da klettern Kinder auf Stangen, um besser sehen zu können und die dürfen dann dort hängen bleiben, denn auf der Bühne stehen 5 komisch verkleidete Finnen in Militäruniformen und Strumpfhosen und machen elektronische Popmusik mit amplifierter Posaune. Eine sehr entspannte Musik, etwas wild zugleich, weil ungewöhnlich und doch sehr tanzbar. Etwas schräg die Musik und auf einmal tobt heftiger Applaus, als ein berühmter finnischer Schlagersänger die Bühne stürmt und dann alles nur noch trashig ist. Aber Finnland scheint ein Land zu sein, das durchgeknallte Musik mag. Vielleicht verlangt die Sprache danach.
Und dann abends um sieben. Wir machen uns auf den Heimweg, die Beine müde, der Kopf schläft schon, die Sonne scheint noch. Wir gehen in den Supermarkt, kaufen ein paar Bier und setzen uns an den Hafen. Der Rest der Gruppe ist in einem Restaurant verschwunden, an dessen Buffet man so viel essen kann, wie man möchte. Für neun Euro kann man sich praktisch selbst zerstören.
Kurz vor dem Hostel treffen wir auf eine alte Frau, die ihren viel zu großen Koffer hinter sich her zieht. Sie fragt uns, ob wir denn wüssten, wo sich unser Hostel befände und wir laden sie ein, uns zu folgen. Es stellt sich heraus, dass sie aus Amerika kommt und sichtlich verwirrt von den Fußgängerüberwegschildern ist, da sie in etwa so aussehen, wie das Logo vom Hostel und wenn man dann ganz viele an jeder Kreuzung entdeckt, ist das dann nicht so leicht, den Weg zu finden.
Und dann im Hostel: mit Fussball geht ein langer Tag zu Ende. Championsleage Finale. Ein paar von uns schlafen während der Rest im Zimmer mitfiebert. Und mit dem Abpfiff gehen Dizzo und ich mit noch einem Bier nach draußen ans Wasser. Die Luft ist frisch, Wasserschutzpolizisten tuckern mit ihren kleinen Booten hin und her und wir reden über Hamburg und Portugal, über Anekdoten aus unserem Leben, über Elternhaus, Geschwister und den Plätzen, die man in unserer Heimat mindestens ein Mal im Leben besuchen muss, während wir mit Steine auf Mülleimer zielen.
Aber wo ist das schon, Heimat? Wo fängt sie an, wo hört sie auf und was liegt näher oder ferner?