Göttingen in Frankreich? Wie die Chanson-Ikone Barbara ein Lied zur Völkerverständigung schrieb
Vor 20 Jahren stirbt die französische Chanson-Sängerin Barbara. Sie war „la femme qui chante“- „die Frau die singt“ elegant und schlicht, auf Augenhöhe mit den ganz Großen des französischen Chanson wie George Brassens et Jaques Brel, mit denen sie viele Mal zusammen auftrat. Mit ihrem Lied „Göttingen“ schreibt Barbara eine Hymne für die deutsch-französische Verständigung und für die Menschlichkeit.
Jede*r in Frankreich kennt sie: In schlichtem Schwarz sitzt sie an einem großen Flügel und lässt die Zuhörenden durch ihre Chansons über die Liebe und das Leben scheinbar direkt in ihr Inneres schauen. Barbara berührt mit tiefgehenden Texten, die dabei so poetisch und tiefgründig sind, ohne jemals kitschig zu werden. Ihre Musik kommt ohne große Schnörkel aus, genau wie ihre Auftritte: Elegant, schlicht, leidenschaftlich. Barbara lebt den Chanson. Mit ihren großen braunen Augen, dem präzisen schwarzen Liedstrich und den kantigen Gesichtszügen singt sie so authentisch, wie kaum eine andere über Liebe, Kummer, ihre Kindheit und den Krieg – auf Französisch und später auch auf Deutsch.
Barbara, die 1930 als Monique Andrée Serf in Paris geboren wird, ist das zweite von vier Kindern einer jüdischen Familie. Ihr Vater kommt aus dem Elsass, ihre Mutter ist Russin. Während des Zweiten Weltkriegs muss sie, gerade mal zehn Jahren alt, mit ihrer Familie aus dem von den Deutschen besetzten Frankreich fliehen. Sie überlebte, beginnt eine Gesangsausbildung und bricht ab. Dann singt sie in Pariser Cabarets, die Lieder anderer bekannter Chanson-Sänger*innen, doch der große Erfolg bleibt zunächst aus. Als Barbara beginnt ihre eigenen Lieber zu schreiben, wird sie zur umfeierten Ikone. Der musikalische Ritterschlag kommt mit Auftritten in den ganz großen Konzerthäusern in Paris, im „Bobino“ und „Olympia“, wo nur die Besten der Besten auf der Bühne stehen. Zu ihren größten Erfolgen gehören „L´Aigle Noir“ und „Göttingen“.
„Göttingen“ ist ein Lied, mit dem Barbara weit über die Grenzen Frankreichs hinaus ganz besonders berührt. Die Geschichte des Lieds ist eine politische und eine der deutsch-französischen Verständigung: Im Jahr 1964 tritt Barbara, noch kaum bekannt, in einem kleinen Pariser Cabaret auf. Im Publikum sitzt der Deutsche Hans Günther Klein, Leiter des Jungen Theaters in Göttingen. Er lädt Barbara ein, in Göttingen zu singen, sie zögert, willigt aber schließlich ein. Barbara will auf einem Konzertflügel spielen, doch als sie in Göttingen ankommt, steht da nur ein riesiges Klavier. Die Studierenden schaffen es, im letzten Moment einen Flügel zu organisieren und der Auftritt der jungen Chanson-Sängerin wird zum großen Erfolg.
Beindruckt von der Freundlichkeit der Studierenden schreibt Barbara kurzer Hand das Lied „Göttingen“, das sie dem Publikum noch am selben Abend spielt. Es ist eine Danksagung und eine Liebeserklärung an die deutsche Stadt und ihre Menschen. Und zur gleichen Zeit ist es so viel mehr: "Göttingen" ist eine Hommage an die deutsch-französische Freundschaft und ein Manifest gegen den Krieg. Barbara singt von den Rosen im Garten vor dem Theater, vom Lächeln der blonden Kinder in Göttingen und davon die Waffen liegen zu lassen: „Mais les enfants ce sont les mêmes, A Paris ou à Göttingen.” ( dt. Die Kinder sind die gleichen in Paris und in Göttingen). Nikola Obermann schreibt für arte Karambolage: „Barbara hatte damals, genau ein Jahr nach der Unterzeichnung der Elyseeverträge, sicher nicht vor, eine Hymne zur deutsch-französischen Aussöhnung zu schreiben - genau das hat sie aber getan.“ Im Jahr 1988 erhält sie für ihr Engagement für die deutsch-französische Verständigung das Bundesverdienstkreuz. Denn Barbara hat mit "Göttingen" aus dem spontanen Gefühl der Dankbarkeit heraus, eine so ehrliche Melodie geschrieben, die Menschlichkeit ohne Grenzen, Nationalität und das Geschehne denkt.
https://www.youtube.com/watch?v=s9b6E4MnCWk
Göttingen (1964)
Bien sûr, ce n'est pas la Seine,
Ce n'est pas le bois de Vincennes,
Mais c'est bien joli tout de même,
A Göttingen, à Göttingen.
Pas de quais et pas de rengaines
Qui se lamentent et qui se traînent,
Mais l'amour y fleurit quand même,
A Göttingen, à Göttingen.
Ils savent mieux que nous, je pense,
L'histoire de nos rois de France,
Herman, Peter, Helga et Hans,
A Göttingen.
Et que personne ne s'offense,
Mais les contes de notre enfance,
"Il était une fois" commence
A Göttingen.
Bien sûr nous, nous avons la Seine
Et puis notre bois de Vincennes,
Mais Dieu que les roses sont belles
A Göttingen, à Göttingen.
Nous, nous avons nos matins blêmes
Et l'âme grise de Verlaine,
Eux c'est la mélancolie même,
A Göttingen, à Göttingen.
Quand ils ne savent rien nous dire,
Ils restent là à nous sourire
Mais nous les comprenons quand même,
Les enfants blonds de Göttingen.
Et tant pis pour ceux qui s'étonnent
Et que les autres me pardonnent,
Mais les enfants ce sont les mêmes,
A Paris ou à Göttingen.
O faites que jamais ne revienne
Le temps du sang et de la haine
Car il y a des gens que j'aime,
A Göttingen, à Göttingen.
Et lorsque sonnerait l'alarme,
S'il fallait reprendre les armes,
Mon cœur verserait une larme
Pour Göttingen, pour Göttingen.
Mais c'est bien joli tout de même,
A Göttingen, à Göttingen.
Et lorsque sonnerait l'alarme,
S'il fallait reprendre les armes,
Mon cœur verserait une larme
Pour Göttingen, pour Göttingen.
Weitere Beiträge
- Bordeaux und der Sklavenhandel: Die dunkle Vergangenheit der Handelsstadt
- Vier grüne Parks, die das Leben in Bordeaux besser machen
- Was eine Schale Linsen mit Solidarität zu tun hat
- Noch einmal ankommen oder: Bordeaux 2.0
- Zwischen Styroporlebkuchen und Konsumwahnsinn: Zu Besuch in der Weihnachtshauptstadt Straßburg:
Kommentare