Geistert der Mythos des taxifahrenden Kulturwissenschaftlers immer noch in den Köpfen der Kulturwissenschaftler herum?
Einige ehemalige Freiwillige wollen sich nach ihrem Dienst gerne noch weiter mit interkulturellen Themen auseinandersetzen und studierte Kulturwissenschaft, Kulturanthropologie oder Ethnologie. Die Reaktion vieler Menschen ist es erstmal zu fragen, was man denn damit machen kann. Weniger nette Menschen machen dann Witze darüber, dass man sicherlich als Taxifahrer enden wird. Doch wie sehen KulturwissenschaftlerInnen das selbst?
„Vom Bahnhof bis in die Universitätsstraße? Das macht 11,80 € bitte.“
„Ich gebe Ihnen 12 €. Das stimmt dann so. Und ich muss nochmal bemerken, die Gespräche über diesen Kulturbegriff, holistisch, sozial, semiotisch- wie war das nochmal? Jedenfalls, Ihre Ausführungen über den Kulturbegriff waren sehr interessant. Ich meine allerdings, dass mir ein anderer Taxifahrer auch schon davon erzählt hat…“
Taxifahrerin, Rezeptionist, Kellnerin- häufig zitierte Berufsvorschläge für ein abgeschlossenens Studium der Kulturwissenschaft. Lehramt solle man doch lieber studieren, Medizin oder am besten gleich in die Wirtschaft gehen- was wolle man denn mit so einem seltsam klingenden Fach wie Kulturwissenschaft? Wobei, interessant sei es ja sicherlich, aber was bitte kann man denn später damit machen?
So die gängige Meinung der Nicht-Kulturwissenschaft-Studierenden. Aber glaubt der Kulturwissenschaftler eigentlich selbst auch an den Mythos des Taxifahrers?
Fast jeder Kulturwissenschaftler hat schon einmal so einen Dialog im Kopf gehabt. Fast jeder Kulturwissenschaftler hat schon vor seiner Studienwahl selbst gezweifelt und gezaudert. Und sich schließlich doch- trotz Zweifel seiner selbst und seiner Mitmenschen, für ein Studium ohne die Antwort auf die Frage „Was mache ich danach damit?“ schon zu Studienbeginn parat zu haben, entschieden.
Gründe dafür sind an erster Stelle meistens das persönliche Interesse und die Freude an den kulturwissenschaftlichen Themen. Aber Interesse allein reicht nicht meist nicht aus, um sich für die Kulturwissenschaft und somit gegen ein Studium mit tendenziell sicheren Berufsaussichten zu entscheiden.
Einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben von Menschen verschiedener kultureller Hintergründe- sei es als Nachbarn, Mitschüler oder Arbeitskollegen, zu leisten- das zählt für viele Kulturwissenschaftler. Ein interkulturelles Zusammenleben und –arbeiten bringt zahlreiche Vorteile, es ermöglicht eine größere Vielfalt von Produkten, vereinfacht das Reisen und fördert Sprachkenntnisse. Konflikte bleiben jedoch nicht aus. Häufig ist der Grund für ein Missverständnis aber einfach nur die Tatsache, dass jeder Mensch die Welt durch seine eigene Kulturbrille sieht und das, was über die Ränder hinaus geht, ihm zunächst einmal als seltsam und falsch erscheint. Nicht das Abnehmen, sondern das Bewusstmachen der eigenen Kulturbrille kann bei der Konfliktlösung helfen. Kritisches Hinterfragen und Offenheit gegenüber Fremdem sind Fähigkeiten, die ein konfliktarmes Miteinander ermöglichen. Zahlreiche Kulturwissenschaftler entscheiden sich für ein Studium dieses Fachs, da sie genau das lernen und erfahren wollen.
Nicht der Mensch als Hersteller von Produkten, nicht der Mensch als Täter oder Opfer von Verbrechen, nicht der Mensch als Krankheitsträger steht im Mittelpunkt, sondern der Mensch und sein Alltag selbst. Die Kulturwissenschaft ermöglicht es den Studenten sich die Zeit zu nehmen, innezuhalten und genau zu beobachten. Kulturwissenschaftler sehen somit Details, die anderen gar nicht auffallen. Diese kleinen Details helfen dann dabei, große Zusammenhänge herzustellen. Dabei wenden Kulturwissenschaftler zahlreiche verschiedene Forschungsmethoden an und sind offen auch für überraschende Ergebnisse.
Offenheit in Theorie und Praxis ist ebenfalls ein häufiger Grund für die Entscheidung für das Kulturwissenschaftsstudium. Und ebendiese Offenheit im Studium ermöglicht auch ein breites Berufsspektrum. Genau das macht den Studiengang für Kulturwissenschaftler attraktiv. Sich nicht sofort festlegen müssen, aber sich im Laufe des Studiums anhand seiner Interessen und Fähigkeiten zu spezialisieren.
Die Berufswünsche der Kulturwissenschaftler sind vielfältig- vom Journalismus über NGO-Arbeit bis hin zur politischen Bildung. Eine Promotion und die Arbeit in der Wissenschaft- sei es in Forschung oder Lehre, sind ebenfalls ein häufiger Berufswunsch. Eins ist aber allem gemeinsam: Wünsche und Vorlieben sind individuell, die Flexibilität auch einen anderen Beruf anzunehmen, universell. Kulturwissenschaftler sind die Chamäleons der Geisteswissenschaft. Sie passen sich an die gegeben Bedingungen an.
Die meisten Kulturwissenschaftler bauen keine Luftschlösser, glauben nicht daran, dass sie sofort einen unbefristeten Vertrag in einem zudem noch gut bezahlten Traumberuf bekommen, den sie fröhlich bis an ihr Lebensende ausführen werden.
Andererseits- das Gegenteil, nach monatelanger Arbeitslosigkeit einen befristeten Vertrag als unterbezahlter Taxifahrer zu unterschreiben, ist auch keine geläufige Vorstellung. Viel mehr sagen Kulturwissenschaftler, dass man seines eigenen Glückes Schmied ist. Ein Student, der sich außerhalb seines Studiums überhaupt nicht engagiert, ist in der Kulturwissenschaft eine Rarität. Sei es das ehrenamtliche Engagement in einer Menschenrechtsorganisation, die Arbeit als freiberuflicher Mitarbeiter bei der Lokalzeitung oder die Gründung einer Kunstvermittlungsagentur- all das sind Erfahrungen, die Eigeninitiative, Durchhaltevermögen und Empathie benötigen und fördern. Und genau das wird in jedem Berufsfeld gesucht.
Zahlreiche Kulturwissenschaftler werden dann genau deshalb eingestellt. Und wenn das alles zunächst einmal nicht reicht, sind Kulturwissenschaftler meist kreativ bei der Bewerbung und finden Platz in Nischen, in die sie während ihres Studiums nicht gedacht hätten, einmal hineinzurutschen.
Und doch- zahlreiche kreative, aktive, flexible Studenten suchen monatelang nach Jobs und finden sich in unterbezahlten Projekten wieder. Oder auch nicht- sie werden selbst bei unbezahlten Praktika abgelehnt und müssen sich bei zahlreichen Bewerbungsgesprächen anhören, dass man sie gerne einstellen würde- aber der konkurrierende Bewerber, der kann doch noch ein bisschen mehr in diesem und jenem Fachbereich und hat vor allem etwas studiert, was man doch irgendwie schon einmal gehört hat, BWL oder Jura. Manche Unternehmen lassen sich auch einfach von dem Namen abschrecken. Kulturwissenschaft? Kenne ich nicht, stelle ich nicht ein. Wahrscheinlich ist es aber nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das Studium mehr etabliert hat und bekannter geworden ist.
Und wenn der Kulturwissenschaftler nach einer längeren Suche dann doch eingestellt wird, hofft er, dabei keinen Taxifahrerlohn zu bekommen. Denn Unterbezahlung ist die Hauptangst der Kulturwissenschaftler. Gefolgt von der Problematik von Angebot und Nachfrage, der Angst, einen Job ausüben zu müssen, der ihnen nicht oder nur mäßig gefällt sowie ein holpriger Berufseinstieg. Doch die meisten lassen sich von Ängsten nicht unterkriegen und werden dadurch ganz im Gegenteil nur zu weiterem Engagement motiviert. Viele Nachteile lassen sich wieder in Vorteile umkehren. Die Tatsache, dass man meist nur über Kontakte an einen bestimmten Arbeitsplatz kommt, motiviert, eben diesen Kontakt zu knüpfen und sich nicht nur auf sein Glück zu verlassen.
Das Klischee des Kulturwissenschaftsstudenten am Steuer des Taxis ist unter den Kulturwissenschaftsstudenten also durchaus bekannt. Und die meisten sind der Meinung, dass es einen wahren Kern enthält. Hier zeigt sich eine vorteilhafte Eigenschaft der Studierenden der Kulturwissenschaft in der Praxis - sie hinterfragen kritisch. Das Klischee des Taxifahrers, ein Klischee, das einige Studenten möglicherweise davon abgehalten hätte, weiter zu studieren, hätten sie es nicht kritisch hinterfragt. Und es ist ein Klischee, gegen das schon viele mit Erfolg gekämpft haben. Und diese Erfolgsgeschichten sollten bekannter werden, um den möglichen angehenden Kulturwissenschaftlern, die sich noch in der Zöger- und Zauderphase befinden, den nötigen Ruck zu geben, sich doch für einen Studiengang zu entscheiden, der sie interessiert, begeistert und bewegt.