Frierbibber
"Es herrscht eine ganz besondere Stimmung: Überall knirscht und knackt der Frost und man kann richtig die Spannung in der Luft spüren". Ausgerechnet bei der Kälte machte dielene sich auf die Reise nach Riga.
Hallihallo!
Da bin ich schon wieder! Bin wieder zurück aus Riga und hab schon wieder sooo viel zu erzählen! Ihr habt ja wahrscheinlich alle mitgekriegt beziehungsweise bekommt jetzt gerade am eigenen Leib zu spüren, dass da eine Kältewelle von Russland her gekommen ist. Das war echt krass; schlagartig ist es hier letzte Woche etwa 20 Grad kälter geworden! Die letzten Wochen waren es tagsüber immer so um die 0 Grad und ich hab mich die ganze Zeit gefragt, wo denn die sibirische Kälte bleibt, von der uns hier die ganze Zeit erzählt wird. Das Eck, in dem ich wohne, ist vermutlich sogar einer der wenigen Flecken, in dem der ganze Schnee, der im Dezember gefallen ist, nicht weggetaut ist. Ich war schon fast ein bisschen enttäuscht, da es ja kaum kälter war als zu Hause in Deutschland, doch dann war die Kälte ganz plötzlich da... Ich hab ja noch nie vorher so kalte Temperaturen zu spüren bekommen und mir kam es am Anfang echt so vor, als wäre ich die einzige, die friert! In Sillamäe sind tagsüber die Mütter bei -20 Grad noch ganz gemütlich mit ihren Kinderwägen spazieren gegangen! Ich hab mich so tief eingemummelt wie nur möglich: Schal bis über die Nase gezogen und Mütze tief in die Stirn, so dass wirklich nur noch die Augen rausgucken, außerdem natürlich die Zwiebeltechnik nicht vergessen...
Es herrschte eine ganz besondere Stimmung: Überall knirscht und knackt der Frost und man kann richtig die Spannung in der Luft spüren; mein Haare waren auch die ganze Zeit ganz komisch geladen. Dann der strahlend blaue Himmel; die Straßen, Bäume und Häuser sind von weißem Frost überzogen, der im Sonnenschein wunderschön glänzt, und das alles eben kombiniert mit bissiger Kälte... Hat schon was! Nur leider waren die -20 Grad erst der Anfang! Für den Rest der Woche waren tagsüber immer bis -30 und nachts sogar -35 Grad angekündigt! Das ist fast doppelte Tiefkühltruhe! Da wird’s dann richtig unangenehm; da kann man nur noch frieren! Und so kann ich auch ziemlich sicher sagen, dass ich noch nie soviel gefroren hab wie in der letzten Woche...
Wie schon gesagt, genau in der Zeit stand unser Trip nach Riga an. Das ganze Abenteuer hat schon ziemlich gut begonnen: Ich hab am Mittwochnachmittag bei -26 Grad das Haus verlassen und der Bus nach Tartu, wo ich noch eine Nacht übernachten wollte, ist einfach nicht gekommen! Ich hatte mich schon darauf eingestellt eine Stunde auf den nächsten Bus warten zu müssen, als irgendwann ein Russe in die Bushalte reinspaziert kam (zum Glück gibt es einen etwas wärmeren Warteraum) und gemeint hat, er führe jetzt mit dem Auto nach Tartu, ob denn jemand mitwolle. Normalerweise fahre ich ja nicht mit fremden Leuten einfach so mit, aber ich hatte in diesem Moment absolut keine Lust, länger zu warten. So bin ich dann noch mit einem anderen jungen Kerl im Auto nach Tartu gefahren und hatte ein bisschen Unterhaltung und, was das Beste war, der andere junge Kerl ist in Tartu mit dem Auto von der Bushalte abgeholt worden und da haben sie mich freundlicherweise mitgenommen und mich gleich auch noch in Tartu zu meinem Zielort kutschiert. Das war schon sehr angenehm; da konnte ich mir die Sucherei nach dem richtigen Gebäude in der Eiseskälte ersparen!
Ich hab dann Gesine und Moritz getroffen, die zwei anderen Freiwilligen, mit denen ich nach Riga fahren wollte. Bei Gesine haben wir noch einmal übernachtet, bevor es am nächsten Morgen in aller Frühe wieder zur Bushalte ging. Dieses Mal kam der Bus zwar, aber diese Fahrt wird mir wohl trotzdem unvergesslich bleiben: Die Heizung war kaputt! Da saßen wir also in diesem Kleinbus mit von innen gefrorenen Fensterscheiben, einer Außentemperatur von knapp -30 Grad und, was das Schlimmste war, mit der Gewissheit, dass man alldem in den nächsten viereinhalb Stunden nicht entrinnen können wird. Horror! Wir waren alle tierisch müde und hatten eigentlich gedacht, dass wir die lange Busfahrt zum Schlafen nutzen könnten, aber das war unmöglich! Es war schlichtweg zu kalt zum Schlafen! Irgendwann kommen einem dann schon so Fragen in den Kopf, wie lange es wohl braucht, bis einem in dieser Kälte der kleine Zeh abfriert...
Zu allem Übel hatte Gesine ihren Personalausweis vergessen und durfte nicht über die Grenze nach Lettland einreisen! Sie musste also den Bus verlassen (Glück im Unglück: Sie konnte der Kälte im Bus entkommen) und an der Grenze warten, bis einer der Grenzbeamten sich ihrer erbarmte und einen LKW-Fahrer ansprach, ob er sie nicht mit zurück nach Tartu nehmen könne... Für Moritz und mich ging die schier endlose Fahrt im kalten Bus weiter und noch in Riga musste der Busfahrer jede rote Ampel nutzen, um das Eis innen von der Fahrerscheibe zu kratzen!
Als wir endlich total durchfroren den Bus verlassen konnten, setzten wir uns erstmal in das nächste Cafe, das wir auch für die nächsten zwei Stunden nicht mehr verließen, um unseren Körper mit viel Kaffee und Tee wieder einigermaßen auf Normaltemperatur zu bekommen. Später trafen wir uns mit der Lettin, in deren Wohnung wir schlafen konnten (mal wieder eine der vielen Bekannten von Moritz) und mit Britta, einer Freiwilligen in Riga (Brittux; Dank dem youth-reporter konnten wir mit ihr im Voraus Kontakt aufnehmen; echt super!). Und als wir noch gemütlich was essen waren, kam doch glatt ein Anruf von Gesine: Sie war in Riga! Wir fielen aus allen Wolken, denn der nächste Bus nach Riga wäre erst am nächsten Tag gefahren! Sie hatte, kaum zurück in Tartu, sich kurzerhand ein Pappschild gemalt und sich bei fast -30 Grad an die Straße gestellt um zu trampen! Respekt - da gehört schon einiges dazu! Immerhin hat sie Glück gehabt und musste "nur" zehn Minuten warten (zehn Minuten können bei -30 Grad unheimlich lang sein...). Und sie hatte es gesund und munter nach Riga geschafft!
Als wir dann endlich wieder "vollständig" waren ging’s noch mit paar anderen Freiwilligen in eine Kneipe und es wurde ein ganz lustiger Abend, auch wenn wir hundemüde waren... Die nächsten Tage versuchten wir, soviel wie bei diesen Temperaturen eben möglich war, von der Stadt zu sehen. Wäre es 30 Grad wärmer gewesen, hätten wir schönstes Bilderbuchwetter gehabt, aber so konnte man es maximal 15 Minuten im Freien aushalten, um sich dann die nächsten zwei Stunden in einem Cafe aufzuwärmen. Selbst aus dem Museum kamen wir total ausgekühlt wieder heraus!
Da ist es schon hart zu sehen, wie zum Beispiel die Marktfrauen an den großen Markthallen, die auf das wenige Geld, dass sie am Tag verdienen, wirklich angewiesen sind, den ganzen Tag in der Kälte stehen, um ihre Waren loszuwerden. Bei den Temperaturen kauft allerdings eh niemand was, weil niemand freiwillig in der Kälte stehen bleibt, um sich umzusehen und den Geldbeutel zücken würde man erst recht nicht, weil man dazu ja die Handschuhe ausziehen müsste. Echt heftig! Das genaue Gegenteil haben wir am nächsten Tag zu sehen bekommen: Wir waren auf dem Geburtstag einer Lettin in einem supernoblen Haus außerhalb von Riga, irgendwo ganz einsam gelegen in der Pampa. Wunderschön, aber es war eben ganz klar sichtbar, dass es hier an Geld nicht mangelt. Diese Gegensätze zwischen arm und reich sieht man hier überall viel deutlicher als bei uns in Deutschland.
An einem Abend waren wir noch mit den anderen Rigaer Freiwilligen auf einem kleinen Festival. Fünf Bands spielten da und es war soo billig: umgerechnet nur etwa zehn Euro. Die letzte Band des Abends waren die Donots aus Deutschland, die ich ja eigentlich gar nicht mag! Aber was man im Ausland nicht so alles mitmacht ;) Außerdem spielte eine schlechte amerikanische Death Metal Band; ein Ray Charles-Verschnitt war auch da und am besten hat mir eine lettische Ska-Band gefallen. Ska auf lettisch, das ist schon klasse! Leider ist die Band wohl selbst in Lettland ziemlich unbekannt. Es war echt super und ich glaub, ich hab selten soviel getanzt und gehüpft... Am nächsten Tag tat mir alles weh!
Für die Heimfahrt hatten wir uns vorsichtshalber gegen die Kälte eine Flasche Hochprozentiges gekauft, die wir dann aber glücklicherweise nicht brauchten: Die Heizung im Bus funktionierte wieder! Und wir kamen gut wieder nach Estland...
Mittlerweile sind die Temperaturen wieder im grünen Bereich (Wir waren sogar irgendwann so an die Kälte gewöhnt, dass wir -20 Grad als angenehm empfanden!) und es hat wieder ganz viel geschneit... Meine Nachbarin hat mir gestern erzählt, dass es in Estland seit mindestens zehn Jahren nicht mehr so kalt gewesen sei und in Riga soll es sogar noch viel länger her sein, dass es das letzte Mal so kalt war.
Für mich steht fest, dass ich auf jeden Fall nochmal nach Riga will; allerdings bei etwas erträglicheren Temperaturen, wenn etwas mehr Leben auf den Straßen ist und die Schüler kein "kältefrei" haben.
Das war also meine letzte Woche! Ich werd bald wieder von mir hören lassen!
Viel Glück allen Studenten, die gerade im Prüfungsstress stecken, und Ihr andern macht´s auch alle ganz gut!
Liebe Grüße Eure Lene