Flüchtlingshilfe - Lokal organisiert
Die Westküste der Türkei ist ein Brennpunkt der Flüchtlingskrise, denn die Distanz zu den griechischen Inseln ist gering und so versuchen dort tagtäglich Menschen, nach Europa zu gelangen. In Izmir, einer Hafenstadt, werden Schwimmwesten am Straßenrand verkauft, Arabisch klingt in den Gassen und schwerbeladene Familien warten auf ihre Schlepper. Ein kleiner Bericht einer lokal engagierten Gruppe von Freiwilligen...
Dicht nebeneinander hocken wir auf den Teppichboden, Kissen werden drapiert und dann werden auch schon die ersten Speisen serviert: Umhüllt von Küchendüften stellt unsere junge Gastgeberin einen Teller neben den anderen vor uns auf den Boden, Humos, Falafel, scharfe Salate, überbackene Hähnchenschenkel, und schon bald zeichnet sich ab, dass wir diese Berge an Köstlichkeiten nicht bewältigen werden können. In der Runde, eine kunterbunte Mischung aus internationalen Freiwilligen, nur lachende Gesichter, und auch die syrische Familie mit ihren drei kleinen Kindern bewirtschaften uns so herzlich, dass man fast die traurige Geschichte hinter dieser Zusammenkunft vergessen könnte.
Denn diese Familie floh vor 5 Jahren aus Aleppo, der Zukunft ihrer Kinder Willen. Rosin, das kleine Mädchen mit großen dunklen Augen, sitzt mir nun gegenüber und gemeinsam spielen wir mit den Lernmaterialien, die wir ihnen mitbrachten. Ganz souverän lässt sie sich auf Türkisch abfragen, und stolz zeigt sie mir ihre Schultasche, denn sie besucht hier in Izmir eine türkische Grundschule. Ihre Mutter erklärt mir, dass sie in Syrien 10 Jahre lang Englisch gelernt hat, aber alles vergessen hätte. Wirklich alles? Nein, nein, erwidert sie lachend und beginnt Smalltalk auf Englisch zu machen.
Man kann es förmlich mit den Händen greifen: Hoffnung liegt in der Luft, vermischt mit Stimmengewirr, Gelächter und dem dampfenden Essen. Die Idee hinter den organisierten Abendessen mit syrischen Familien ist ihnen ein einfaches Einkommen zu verschaffen – jeder Teilnehmer zahlt 20 türkische Lira, ungefähr 6,50 Euro, womit die Familie insgesamt etwas dazuverdienen kann. Aber es ist viel mehr als nur das: Es gibt den Menschen ein bisschen Würde zurück. Wie in den Zeiten vor dem Krieg, der Armut und der Flucht können sie sich wieder in die Rolle der Gastgeber versetzen, ihre Traditionen und Werte ausleben – Ihre Häuser zu öffnen und aus vollen Händen zu geben. Unser Besuch ist so auch symbolischer Natur, ein kleines Zeichen der Solidarität: „Uns berührt euer Schicksal, ihr seid nicht allein.“
GiveLeaf, eine lokale Organisation in Izmir, einem der Brennpunkte der Flüchtlingskrise, ist in den Straßen präsent: In dem ärmsten, kurdischen Viertel hinter dem Markt, wo sich zerfallende Häuser wie in Erschöpfung aneinander lehnen und schmutzige Straßenkatzen sich raufen, ziehe ich meinen kleinen Einkaufswagen voller Lebensmittel. Unzählige Augen folgen mir – Hinter zurückgeschobenen Gardinen oder ganz unverhohlen mitten auf dem Weg; man dreht sich sogar um nach der Fremden, die über die unebene Straße stolpert.
Mit dem Navigationssystem auf dem Handy suchen wir uns unseren Weg, doch nach der Hausnummer müssen wir gar nicht erst Ausschau halten, denn wir werden bereits erwartet: Kinder umringen uns, helfen uns mit den schweren Tüten und spielen mit den mitgebrachten Seifenblasen. Das ist ein anderer Arbeitsbereich der NGO: Sie sammeln online Spenden, und besorgen dann das Allernötigste für die Familien. In Hausbesuchen werden die Lebensmittel und Schulmaterialien dann verteilt, ein bisschen Unterricht gemacht und die gesamte Situation der Familie wird erfasst. Die Frauen, die wir jetzt besuchen, sind in großer Sorge: Einer der Jungen liegt im tiefen Schlaf, er hat Hepatitis und seine Leber ist stark angeschwollen. Die türkischen Ärzte im Krankenhaus konnten oder wollten ihnen anscheinend nicht weiterhelfen, die Medikamente werden mir gezeigt: Es handelt sich um Hustensaft und Schmerzmittel, was auch ich mit meinem schlechten Türkisch entziffern kann. Glücklicherweise gibt es auch einen medizinischen Notdienst der Organisation, die wir umgehend rufen damit es dem Kleinen schnell wieder bessergeht.
Das Herzstück der Organisation GiveLeaf ist aber in einem unscheinbaren Haus versteckt: Eine kleine Schule. Eine syrische Dame, die früher als Lehrerin gearbeitet hat, sowie andere Flüchtlinge und Freiwillige unterrichten dort die Kinder des Viertels: Die, die nicht zur Schule gehen können, weil sie noch kein Türkisch können aber auch die, die noch nie eine Schule besuchen konnten. Der kleine Raum ist voller Leben, Buntstifte und Wachsmaler sind über den Boden verstreut, denn gerade haben die Kinder Karten für den Muttertag gebastelt. Und auch wenn ich gar keine Mutter bin, kriege ich ein rotes Herz von einem strahlenden Mädchen überreicht und mein eigenes Herz geht mir auf.
Neben der Schule befindet sich ein kleiner Garten, in dem mit den Kindern Gemüse gepflanzt wird – Zum Lernen aber auch zum Essen. Nachhaltigkeit spielt in der Arbeit von GiveLeaf die größte Rolle: Es sollen keine Abhängigkeiten geschaffen werden, die Unterstützung ist als Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen. Und noch so viele weitere Projekte sind in Planung! Eine weitere Schule wird eingerichtet, Konzerte geplant, eine Handarbeitsgruppe formatiert sich – Ich war einfach überwältigt von dem ganzen kreativen Potential der Freiwilligen, der Energie und der Motivation! GiveLeaf hat sich erst vor ungefähr 3 Monaten gegründet, was angesichts dem Umfang der Verantwortlichkeiten unglaublich erscheint, aber die Organisation wächst mit jedem Tag.
Hier wird ein kleines Stück Normalität geschaffen, für Menschen, deren Welt zerstört wurde. Und all die ehrenamtlichen Helfer bewahren mit ihrem Engagement die Menschlichkeit in Zeiten wie diesen.
Sich lokal zu organisieren bietet die effektivste Möglichkeit zu helfen, und dafür muss man nicht unbedingt in die Krisengebiete reisen: Jeder kann vor Ort etwas beitragen!
Kleiner Guide – Wie man sich lokal engagiert
• Regionale Flüchtlingsorganisationen bzw. Vereine ausmachen, oftmals sind auch die Kirchen engagiert und sich nach Flüchtlingsunterkünften in der Nähe erkundigen
• Überregionale Verbände wie das Deutsche Rote Kreuz oder humanitäre Hilfe suchen auch oft nach Unterstützung oder initiieren Hilfsprojekte
• Hilfe selber organisieren: In kleinen Gruppen, zum Beispiel mit deinen Freunden, könnt ihr euch überlegen, wie ihr am besten zur Hilfe beitragen könntet, mit euren Fähigkeiten und Ressourcen – So könnt ihr beispielsweise Sachspenden sammeln oder Musikunterricht organisieren
• Stellung beziehen. Solidarität zu zeigen und damit ein Zeichen der Humanität zu setzen ist angesichts von steigender Hetze, Ausländerfeindlichkeit und Rechtspopulismus unbedingt nötig #RefugeesWelcome