Fira Mediterrania de Manresa
Die erste Oktoberwoche - trotz politischer Spannungen und Unterdrückung lassen sich die Katalanen ihre Lebenslust nicht nehmen
Das ich so lange nichts von mir habe hören lassen, liegt nicht etwa daran, dass hier mitten in Katalonien nichts los wäre. Ganz im Gegenteil! Neben einem sich ständig zuspitzendem Konflikt im Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens, dem Wechsel vom Sommer zum Winterplan im Bezug auf die Aktivitäten auf Arbeit und vielen Treffen mit gerade erst kennengelernten Leuten - hielt mich in der ersten Oktoberwoche das "Fira Mediterrania de Manresa" - ein großes kulturelles Fest in Manresa ganz schön auf Trab.
Denn bereits am Montagmorgen des 2. Oktobers, sollte ich endlich die Gelegenheit bekommen, die "Piscina municipales" von innen zu sehen. Gegen 10:30 fand ich mich daher am Eingang ein und traf auch schon auf die kleine Gruppe und Pau als Betreuer, die gerade im Begriff waren den Aufzug vom Parkplatz zur Rezeption zu nehmen. Mit 2 Rollstühlen und prall gefüllten Rucksäcken wurde es dann doch etwas eng, aber nach 3 Fahrten, in mehr oder weniger unbequemer Haltung, waren wir alle wohl behalten angekommen. In einem speziell abgetrennten Umkleidebereich halfen Pau und ich geschlechtergetrennt den Behinderten beim Umziehen und warfen uns anschließend selbst in Schale, wobei hier leider eine Badekappe nicht fehlen durfte. Dank einer Arbeitskollegin, die mir ihr quietschpinkes Modell netterweise zur Verfügung gestellt hat, weiß ich es nun wirklich sehr zu schätzen ohne ein unaufhörlich, überall zwickendes und drückendes Etwas auf dem Kopf, die Zeit im Schwimmbad zu verbringen.
Nach langem Zupfen, Stopfen und vorsichtigem Verstauen der letzten Härchen unter den Kappen bei uns Frauen, gingen wir schließlich fertig umgezogen, bis auf eine - die ihre Schwimmsachen nicht dabei hatte - in die Halle, wo mir gleich ein wohl bekannter, warmer Chlorgeruch entgegenströmte. Normalerweise, so erzählte mir Pau, würde uns noch das Umziehen des einen Rollstuhlfahrers "Pepp" eine lange Zeit in Anspruch nehmen, doch an diesem ersten Tag des Aktivitätenwechsels, lief noch nicht alles rund und die Gurte, um ihn an eine Art Kran hängen zu können, fehlten. So hatten jedenfalls die anderen Badefreudigen mehr Zeit im Wasser und ich die Gelegenheit beim Umgang mit dem anderen Rollstuhlfahrer "Louis" zusehen zu können. Dieser wurde auf einem Sitz, mit Hilfe einer Art Hebebühne, ins Wasser befördert, wo ihn ein Schwimmlehrer mit einer Nudel von vorn und von hinten unterhalb der Achseln fest hielt und auf diese Weise durch das Nass bewegte. Nachdem ich mich auch zu den Anderen ins Wasser gesellt und 15 min. mitgeplantscht hatte, war es auch schon wieder Zeit fürs Umziehen und eine warme Dusche.
Da diese Prozedur bei gleich mehreren Köpfen mit langen Haaren, die zu waschen, föhnen und anschließend in eine vorzeigbare Form zu bringen waren, länger als gedacht dauerte, kam unsere kleine Karavane erst 30 min. später als sonst zum Mittagessen, bei dem mir das erste Mal eine ungewohnte Ruhe auffiel. Die sonst so gesprächigen Arbeitskollegen starrten alle wie gebannt auf ihre Handys und schauten sich, bei genauerem Nachfragen, Videos und Berichte über das gestrige Referendum an, welches bei 40%iger Wahlbeteiligung mit 90% "Ja", für ein unabhängiges Katalonien ergeben hatte.
Ein Lehrer der angrenzenden, weiterführenden Schule klärte mich auch gleich über die Sachlage auf, über die ich mich aber am Abend noch genauer informierte. So unternahm die spanische Regierung alles um das "illegal" durchgeführte Referendum (Verbot vom spanischen Verfassungsgericht) zu verhindern, indem Stimmzettel, Briefumschläge und Wahlurnen beschlagnahmt wurden sowie Sicherheitsbeamte die wählende Bevölkerung, zum Teil sogar gewaltsam, an der Durchführung hinderte. Puigdemont verbuchte dieses Ergebnis zwar als klaren Sieg, der bei 40% Wahlbeteiligung allerdings angezweifelt werden kann.
Am nächsten Morgen antwortete so gleich die katalanische Regierung mit der Ausrufung eines Generalstreiks, an dem sich in ganz Katalonien Menschenmassen zu friedlichen Demonstrationen versammelten. Da auch wir Freiwillige nicht zum Arbeiten erscheinen mussten, konnten wir das Treiben in Manresa persönlich miterleben. So waren auch hier die Straßen voller Menschen, die sich in die Flagge der katalanischen Nationalisten, die "Estelada blava" hüllten, die zum Zeichern der Unabhängigkeitsbewegung geworden ist. Mit erhobenen Armen, als Symbol einer friedlichen Demonstration, versammelten sich die Menschen und sangen ihre Hymne oder riefen laute Jubelrufe. Während es in Barcelona zu Ausschreitungen, aufgrund der teilweise radikalen Eingriffe der spanischen Polizei kam, blieb hier alles ruhig und am nächsten Tag nahmen die Bewohner ihre gewohnte Arbeit wieder auf.
So konnten wir am Mittwochmorgen wie gewohnt unseren Spanischunterricht besuchen und anschließend zur Arbeit fahren, wo ich meine Kreativität voll ausschöpfen konnte. Hier in Katalonien feiert man im Oktober das Fest "Castanyada" bei dem traditionell Süßkartoffeln und Maronen gegessen werden. Überall in den Straßen riecht es nach gerösteten Esskastanien (die übrigens vorzüglich schmecken) und in meinem Centre wurden schon einige Wochen zuvor, fleißig unzählige Herbstblätter aus Papier hergestellt und anschließend bemalt. Sowie eine typische "Castanyera", die heiße Maronen verkauft und wir an diesem Tag ebenfalls an den Fenstern aufhängten. Da anschließend immer noch nicht alle freien Stellen gefüllt waren, wurde am Nachmittag kurzerhand die Arbeit gestrichen und weitere Buchen-, Eichen-, und Kastanienblätter hergestellt.
Nach diesem, wirklich sehr lustigen Arbeitstag hieß es nun für Marie und mich wieder ein wenig Zeit bis zum Katalanunterricht in Manresa totzuschlagen. Zum Glück hatte mir eine Arbeitskollegin in der Mittagspause die Nummer ihrer Neffen gegeben, von denen sich auch gleich einer an diesem Nachmittag meldete. Kurzerhand traf ich ihn und einen Freund in einer Bar. Neben üblichen Gesprächsthemen, wie Musik und Studium, fragte ich sie nach ihrer Meinung zum Referendum und der derzeitigen Situation in Katalonien. Während vieler meiner älteren Arbeitskollegen absolut pro Unabhängigkeit sind, zeigten diese eine andere Haltung und mir einen neuen Blickwinkel.
So sprach sich der Medizinstudent Carles gegen die Unabhängigkeit aus, da er ein generelles Problem in dem momentanen Trend der Zersplitterung vieler Länder in kleine Teilstaaten sieht. Auf meine Frage nach einer möglichen weiteren Entwicklung der Situation, antworteten beide, dass eine Abschwächung absolut unmöglich sei und man eher mit einer Radikalisierung rechnen muss. Im schlimmsten Fall kommt es zum Einsatz des Artikels 155, der nun auch eingetreten ist und Neuwahlen angesetzt werden. Ein großes Problem stellt weiterhin die fehlende Möglichkeit einer Gegenwehr der Katalanen dar, da diese weder Militär- noch Waffengewalt besitzen.
Was sie dagegen noch brennend interessierte war die Frage nach dem Ausgang der Bundestagswahlen in Deutschland und dem großen Zuwachs an AfD Wählern. Daraufhin hatte ich die Chance, die Vorurteile gegen rechte Kräfte in Deutschland abzubauen und die Lage objektiver darzustellen. Sie teilten meine Meinung, dass in vielen Ländern die Bevölkerung unzufrieden mit der momentanen Regierung ist und daher viele Wähler der rechten Parteien reine Protestwähler sind.
Leider mussten wir unser Gespräch an dieser Stelle abbrechen, da mein Katalankurs bald beginnen würde, aber wir wollten diese Unterhaltung unbedingt zu einer anderen Zeit weiterführen. Nach überflüssigem fast 90 minütigem Zahlenlernen mit Hilfe von Bingospielen machten wir uns auf den Rückweg und fielen erst ziemlich spät ins Bett.
An diesem Donnerstag freute ich mich schon morgens auf den ersten "Schauspielunterricht" der im "Kursaal" stattfinden würde. Wie sonst, fuhren wir auch diesmal mit dem großen Sagalées Bus in die Stadt und aufgrund einer kleinen Verspätung musste unsere Gruppe ziemlich schnell die Stufen zu unserem Proberaum erklimmen. Dort sah ich den Behinderten ungefähr eine Stunde begeistert zu, wie sie zu den verrücktesteten Songs tanzten oder kleine Schauspielübungen, geführt von einer Angestellten des Theaters, voller Freude absolvierten. Danach überbrückten wir noch die Zeit, bis der Bus uns aufsammeln würde, indem wir durch die Straßen schlenderten.
Zurück im Centre verlief das Nachmittagsprogramm dann anders als erwartet, da an diesem Tag eine Info Veranstaltung für die älteren Bewohner angesetzt war, die am nächsten Tag an einem Fest in Urpina teilnehmen würden. Leider konnte ich nicht dabei sein, da ich am Morgen wieder im Schwimmbad eingeplant war, doch glücklicherweise erhielt ich am nächsten Tag Fotos und natürlich begeisterte Berichte über gutes Essen und lustige Spiele.
Am Freitag waren nun auch endlich die Gurte vorhanden um Pepp umziehen zu können, was sich wirklich schwieriger als erwartet herausstellte. Dieser ist einerseits nicht in der Lage zu sprechen und leidet andererseits an krampfartigen Zuckungen und spastischen Anfällen. Allerdings ist es toll zu sehen, wie er lächelt, wenn er sich im Wasser befindet und das ist die beste Belohnung für den ganzen Aufwand.
Auch an diesem Tag kamen wir zu spät zurück, sogar eine Stunde, da in der Gruppe ein Mädchen dabei ist, das sich, bevor es im Wasser ist, wehemend weigert mit ins Schwimmbad zu kommen. Sie weint die ganze Zeit und öffnet ständig den Gurt während der Autofahrt, weshalb wir ständig Anhalten müssen. Obwohl die Betreuer mit den Eltern sprechen, wollen diese unbedingt, dass sie an der Aktivität teilnimmt. Doch immerhin hatte ich so einmal die Gelegenheit mit anderen Leuten zum Mittag zu essen, welches an diesem Tag unter anderem aus Tintenfischringen bestand. Mutig versuchte ich einen und ich kann nur sagen: Lecker!!
Am Nachmittag únterhielt ich mich beim Trekking mit Pau, der am Wochenende von seiner Freundin eine Berlinreise anlässlich seines Geburtstages bekommen hatte und weihte ihn in die "Must Haves" ein.
Am Abend sollte dann das große Fest in Manresa starten, wo wir natürlich nicht fehlen durften. Kurz entschlossen brachen Marie und ich auch gleich wieder auf und besuchten die ersten Veranstaltungen vor dem Kursaal. Später besuchten wir noch Cristina, die an einem Stand für das Rote Kreuz Tickets für eine Lotterie verkaufte und erst in einiger Zeit zu uns stoßen würde. Nachdem wir an den vielen Marktständen die verschiedenen Speisen und Souvenirs begutachtet hatten, kehrten wir zur nächsten Tanzgruppe zum Kursaal zurück. Bei lustiger Musik und tollen Kunststücken amüsierten wir uns prächtig und ließen später, gemeinsam mit den anderen Freiwilligen, den Abend genüsslich bei Burger und dem Besuch eines Musikauftritts in einem Festzelt ausklingen.
Denn am nächsten Tag sollten die Veranstaltungen am Nachmittag auch schon weitergehen. Gestärkt von einem Frozen Yogurt, sahen wir die beeindruckenden Türme, die "Castells", die von verschiedenen Gruppen immer wieder gebildet und aufgelöst wurden. Später am Abend begeisterten uns weitere Performances von Künstlern mit unterschiedlichsten Varianten von Tanz und Musik.
Am Sonntag wollten wir uns selbstverständlich auch keine Show entgehen lassen und trafen uns bei tollem Wetter und Temperaturen auf dem Placa de St. Domenec, wo uns 3 traditionellere Auftritte gezeigt wurden. Als dann gegen 20 Uhr alles vorbei war und wir uns in einer Bar bei einem Drink angeregt über das Gesehene unterhalten hatten, kehrten wir mit kleinen Umwegen an den Marktständen vorbei zu den Wohungen und in die Betten zurück.