European Heritage Days in Poitiers (Frankreich)
Die „Journées Européennes du Patrimoine“ – auf Deutsch Tag des Denkmals und überall European Heritage Days genannt, finden in vielen europäischen Ländern an einem Wochenende im September statt. An diesen Tagen öffnen viele, der Öffentlichkeit sonst verschlossenen Denkmäler und Gebäude ihre Türen. Ich als Neuankömmling in Poitiers habe die Chance genutzt, mir die Stadt gleich einmal etwas genauer anzuschauen
Die „Journées Européennes du Patrimoine“ – auf Deutsch Tag des Denkmals und überall European Heritage Days genannt, finden in vielen europäischen Ländern an einem Wochenende im September statt. An diesen Tagen öffnen viele, der Öffentlichkeit sonst verschlossenen Denkmäler und Gebäude ihre Türen. Ich als Neuankömmling in Poitiers habe die Chance genutzt, mir die Stadt gleich einmal etwas genauer anzuschauen
Zuerst ein wenig Hintergrundinformation: In Frankreich gab es 1984 zum ersten Mal die „Journée des portes ouvertes dans les monuments historiques“, bei der am dritten Sonntag im September überall in Frankreich Monumente und Gebäude zugänglich gemacht wurden, die sonst verschlossen blieben. Einheimischen wie Besuchern wurden außerdem kostenlose Führungen durch viele der geöffneten Gebäude angeboten. Da dieser erste Tag des Denkmals so gut ankam, führten andere europäische Länder wie die Niederlande oder Schweden schon im Folgejahr eigene Tage der offenen Tür in historischen Monumenten durch. 1991 entschied der europäische Rat, diese Tage als „European Heritage Days“ zusammenzufassen und richtete ein Koordinationsbüro ein. Über die Jahre schlossen sich immer mehr Länder dem Programm an, sodass 2010 erstmals 50 Länder an den EHD teilnahmen, darunter auch nichteuropäische Staaten wie Taiwan oder Kasachstan.
Allgemein müssen die in jedem Land bzw. auch von jeder Stadt individuell organisierten Tage bestimmten Leitlinien folgen, beispielsweise: Sie müssen an einem Septemberwochenende stattfinden, es müssen möglichst Besichtigungen angeboten werden, die es sonst nicht gibt, diese sollen für Besucher möglichst kostenlos oder so günstig wie möglich gehalten werden und es sollen besonders Besuche für Jugendliche und Schulkinder angeboten werden. Es gibt außerdem zumindest in Frankreich immer ein landesweit zentral festgelegtes Thema, in diesem Jahr war das „Art et Divertissements“ („Kunst und Unterhaltung“). Nach diesem stellen dann die Städte und Kommunen ein Programm zusammen, an dem sich verschiedenste Institutionen (z.B. auch Vereine oder Museen) beteiligen können.
Ich habe also mein zweites Wochenende hier genutzt, um die Stadt so richtig kennenzulernen.
Angefangen habe ich mit einer Führung im Rathaus, die sehr informativ war. Dort habe ich nicht nur das Gebäude erkunden können, sondern dank des wirklich guten Guides auch viel über die Geschichte der Stadt und der Gegend gelernt. Poitiers ist eine sehr alte Stadt, die schon für die Kelten und dann die Römer ein wichtiger Standort war. Begründet hat der Guide das damit, dass das Stadtzentrum im Osten und Westen von zwei Flüssen umgeben ist und auf einem Hügel liegt, was dadurch ein militärisch hervorragend zu verteidigendes Gebiet bedeutet.
So viel ich bei dieser ca. 75-minütigen Führung auch gelernt habe, so enttäuscht war ich zunächst von einem anderen Programmpunkt des Tages, als ich an einer 3-stündigen Führung durch das Viertel „trois quartiers“ teilgenommen habe. Organisiert wurde diese vom lokalen soziokulturellen Zentrum, und leider wussten die 5(!) Guides meist nicht viel mehr, als ohnehin zu sehen war. Fragen konnten sie auch selten beantworten. Doch sobald ich mich etwas daran gewöhnt hatte, habe ich diesen ausgedehnten Spaziergang genossen und bin ein wenig mit den Einheimischen (und nicht-Einheimischen) ins Gespräch gekommen.
Insgesamt haben mir die „Journées Européennes du Patrimoine“ also gut gefallen, und auch wenn die Führungen und deren Qualität sehr unterschiedlich waren, habe ich im Großen und Ganzen doch nochmal einen etwas anderen Einblick in die Stadt gewinnen können.
Wir können also festhalten, dass es es erst einmal eine tolle Sache ist, kostenlos an exklusivem Kulturprogramm teilnehmen zu können, gerade, wenn man wie ich neu in der Stadt ist. Doch es stellt sich die Frage, was eigentlich mit den European Heritage Days erreicht werden soll. Auf der offiziellen Internetseite des Programms finden sich unter anderem folgende Ziele:
- Das Bewusstsein europäischer Bürger auf den Reichtum und die kulturelle Diversität Europas lenken
- Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpfen und Toleranz in Europa über Ländergrenzen hinweg fördern
Meinem Empfinden nach können diese Ziele mit dem Programm gut erreicht werden. Die Diversität und der Zusammenhang Europas wird besonders dem jungen Publikum, welches sonst, durch den einfachen Weg, über die "neuen Medien" an Information und Bild zu gelangen abgehärtet, weniger Interesse zeigt, unmittelbar verdeutlicht. Gerade die Führungen an (teilweise SEHR alten) Monumenten, bei denen zusätzlich zur Information das Erbe direkt, ohne Medium, zu betrachten ist, sind sehr eindrücklich. Dass vor über 2000 Jahren Bevölkerungsgruppen in Europa gelebt haben und "gereist" sind, ist allgemein bekannt. Doch der direkte visuelle Eindruck der Reste des Lebens dieser Menschen, von denen heute große Teile der europäischen Bevölkerung abstammen, macht den jungen Menschen, die in Zeiten der Globalisierung aufwachsen, besonders bewusst, wie sehr ganz Europa gemeinsam schon seit über zwei Jahrtausenden wurzelt. Dieser Eindruck und das Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte ist bleibend und fördert sicherlich auch den Zusammenhalt und die Toleranz innerhalb Europas. Gerade dafür ist es wichtig, dass es europäische Tage des Denkmals sind, da Geschichte sonst schnell als nationales Gut angesehen wird, was unter Umständen eher kontraproduktiv ist. Man könnte auch so weit gehen und sich die Frage stellen, ob in dieser Hinsicht Weltkulturerbetage in der Größe und Präsenz der EHD nicht noch sinnvoller wären (um dem europäisch-zentralistischen Denken zu entkommen).
Quellen:
Journées Européennes du Patrimoine. Webseite des französischen Kultusministeriums: https://journeesdupatrimoine.culture.gouv.fr/, Abruf 22.09.2019
Journées Européennes du Patrimoine - Arts et Divertissements. Broschüre, herausgegeben von Grand Poitiers, städtische Kommune. 2019.
European Heritage Days. https://www.europeanheritagedays.com/Home.aspx, Letzter Abruf 23.09.2019
Journées européennes du patrimoine. Wikipedia auf Französisch: https://fr.wikipedia.org/wiki/Journ%C3%A9es_europ%C3%A9ennes_du_patrimoine, Abruf 22.09.2019
European Heritage Days. Wikipeida auf Deutsch: https://de.wikipedia.org/wiki/European_Heritage_Days, Abruf 22.09.2019
European Heritage Days. Wikipeida auf Englisch: https://en.wikipedia.org/wiki/European_Heritage_Days, Abruf 22.09.2019